(Achtung! Dieser Text blendet ernsthafte und wichtige Aspekte des Themas Verhütung, etwa sexuelle Gewalt und ungenügender Zugang zu Verhütungsmitteln, aus. Der Text darf also als durch und durch oberflächlich und erstweltverwahrlost betrachtet werden. Rückschlüsse auf die Autorin sind übrigens unangebracht)

1. Vorwort

2. Das Tabu der ungewollten Kinder

3. Das Prinzip Notfallverhütung

4. Grenzen seriöser Verhütung: Die unbefleckte Empfängnis

5. Anmerkungen, Danksagung

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Es gibt vier Arten, wie man angemessen über Verhütung schreiben kann.

1. In Form einer religiösen Mahnschrift, geschrieben von einer sechzigjährigen dreizehnfachen Mutter mit Hepatitis C.

2. In Form eines frechen, schlüpfrigen Essays, von einer postemanzipierten Endzwanzigerin mit rotem Lippenstift und einer unbemerkten Ureaplasma Urealytikum Infektion geschrieben.

3. In Form eines erotischen Gedichts, von einer fünfzigjährigen Töpferlehrerin mit gelegentlichem Feigwarzenausbruch geschrieben.

4. In Form von Tagebucheinträgen eines vierzigjährigen Gynäkologen, der immer wieder Reisen durch die ganze Welt macht und sich in Traditioneller Chinesischer Medizin weiterbildet.
(Der vierzigjährige Gynäkologe hat keinerlei Geschlechtskrankheiten, da er sich auf seinen Reisen gut schützt.)

Alle anderen Arten, über Verhütung zu schreiben, sind unangemessen.

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Ungewollte Kinder zu haben ist etwas Schlimmes. Das wurde mir klar, als ich als Siebenjährige bei meinen Grosseltern Fernsehen schaute.
Es war eine Sendung für Erwachsene, in einem Studio gefilmt. In dem Studio stand eine blaue Trennwand, hinter der ein Erwachsener sass und mit verstellter Stimme erzählte, dass er als Kind von seinen Eltern in der Bratpfanne gebraten worden war.
Ich fragte meine Grosseltern warum.
Die schauten weiter Richtung Fernseher und sagten synchron: «Weil das ein ungewolltes Kind ist».
Während meiner Pubertät erfuhr ich von der Existenz von zwei Halbschwestern meines Vaters und einem Halbbruder meiner Mutter.
Ich erfuhr, dass ich meine Grosseltern väterlicherseits nie kennenlernen werde, weil mein Vater ein ungewolltes Kind war. Seine Halbschwestern sind die gewollten Kinder.
Und ich erfuhr, dass ich den Halbbruder meiner Mutter nie kennenlernen werde, und dass meine Grossmutter mütterlicherseits noch nie ein Wort mit ihm, ihrem Sohn, gewechselt hat.
Das ist, weil der Halbbruder meiner Mutter ein ungewolltes Kind ist.
Ungewollte Kinder werden zuerst in der Bratpfanne gebraten, dann von ihren Eltern angeschwiegen und anschliessend aus der Familie verstossen.
Das ist für alle Beteiligten unschön, deshalb gibt es besser keine ungewollten Kinder. Meine Grossmutter: «Und darum ist es wichtig, dass der Mann eine gute Stelle hat.» Das vertraute sie mir an, weil ich ein gewolltes Kind bin.
Ein Kind ist gemäss meiner Grossmutter dann gewollt, wenn sich Mutter und Vater seit mindestens einem Jahr gemeinsam in derselben monogamen Beziehung befinden, verlobt sind und über dieselbe Postadresse verfügen.
Diese Punkte wurden von meinen Eltern bei meiner Zeugung erfüllt. Nur leider hatte mein Vater keine gute Stelle. Eigentlich hatte er gar keine Stelle. Ausserdem rauchte er Haschisch, was ein typisches Verhalten für ein ungewolltes Kind ist.
Von meiner Grossmutter weiss ich nämlich ebenfalls, dass viele ungewollte Kinder später Drogen konsumieren und keine gute Stelle haben.
Mir war also klar, dass ich kein ungewolltes Kind haben möchte.
Ich verhütete und verhüte bis zum heutigen Tag äusserst gewissenhaft.
Ich war zum Beispiel noch nie schwanger. Leider habe ich auch keine gute Stelle und rauche gelegentlich Haschisch.

Ungewollte Kinder werden in der Bratpfanne gebraten

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Wie gesagt, ich war noch nie schwanger. Seit rund zehn Jahren nutze ich in kritischen Situationen ein damals neuartiges Angebot für sexuell aktive Frauen, die keine Kinder in der Bratpfanne braten möchten. Der Vorteil daran ist, dass man nicht schwanger wird. Der Nachteil, dass man unter Umständen starke Zwischenblutungen mit Bauchkrämpfen hat, welche bis zu vier Tage andauern können.
Das Angebot heisst umgangssprachlich «Pille danach» und offiziell «Notfallverhütung».
Es greift da ein, wo ein anderes Verhütungsmittel oder die Disziplin versagt haben. In der Schweiz bekommt man die Pille danach bei der Apothekerin oder dem Apotheker, die dann fragen: «Wann war der letzte GV».
Wobei sie am Ende des Satzes mit der Stimme nicht nach oben gehen, deshalb ist auch bei der schriftlichen Wiedergabe kein Fragezeichen vonnöten. GV steht für Geschlechtsverkehr und nicht für Generalversammlung, das sollte beachtet werden.
Das erste Mal, als ich Notfallverhütung in Anspruch nahm, war etwa drei Jahre nach deren Einführung. Ich hatte davor noch nie etwas von dieser, für junge Frauen durchaus lebensrettenden Möglichkeit gehört, und bereits zwei Tage in Panik verbracht. Bis mir eine Freundin erzählte, sie wohne mit zwei ausgesprochen promiskuitiven Krankenschwestern zusammen, die des Öfteren ein neues Angebot namens Pille danach in Anspruch nähmen*. Meine Freundin und ich echauffierten uns darüber, welch liederliche Personen diese Mitbewohnerinnen seien. Danach ging ich in Bern in die Bahnhofsapotheke und betrat die Welt der Notfallverhütung.

Seither erkenne ich notfallverhütende Frauen sofort. Oft sind sie mit ihrem Freund in der Apotheke. Der Freund steht leicht abgedreht hinter der Freundin und studiert schuldig ein Gestell mit Deodorants, während die Freundin mit niedergeschlagenem Blick über den Apothekentresen flüstert. Dann verschwindet die Freundin mit der Apothekerin in einem Raum, währenddessen der Freund sein Wissen über Deodorants vertieft.

Ich muss sagen, ich wurde herzlich in die Welt der Notfallverhütung aufgenommen. Die Apothekerin war eine sympathische Frau um die Fünfzig. Nach erfolgter Einnahme der Pille übergab sie mir einen kleinen Strauss Rosen und sagte: «Vielen Dank und alles Gute zum Muttertag.» Ich schaute sie konsterniert an, sie begann zu lachen und meinte, heute sei Muttertag und sie gäben allen Frauen einen Blumenstrauss. Ich lachte mit und buchte dieses Erlebnis posititv ab.
Meine weiteren Begegnungen waren leider weniger freundlich.

Deutschland, 2008: In der Apotheke werde ich darüber informiert, dass hier die Pille danach nur nach einer ärztlichen Untersuchung verschrieben wird. Da Wochenende ist, gehe ich zum Marienkrankenhaus, da es in der Nähe meiner Wohnung liegt. Dort warte ich drei Stunden im Notfall, bis mir ein Arzt mitteilt, er würde mir kein Rezept ausstellen, da dies ein katholisches Krankenhaus sei und das Prinzip der Notfallverhütung eine Sünde.
So hatte ich das bis anhin nicht angeschaut.
Ich überdenke kurz meine Situation und komme zum Schluss, dass eine Schwangerschaft in meiner damaligen Situation die grössere Sünde wäre. Das katholische Krankenhaus befindet meine Gründe jedoch als nicht stichaltig genug, um eine eventuelle Befruchtung meiner ungläubigen Eizelle zu verhindern.
Langsam werde ich nervös, denn nach dem verunglückten GV bleiben nur 24 Stunden Zeit, in denen Notfallverhütung zu fast 100 Prozent wirksam ist. Nach 24 Stunden nimmt die Wirksamkeit stündlich ab, nach drei Tagen beträgt sie nur noch 50 Prozent.

Ich gehe also als nächstes in ein Krankenhaus, das keine Maria im Namen trägt. Mittlerweile ist es nach Mitternacht und am nächsten Tag ist wieder Unterricht. In diesem Krankenhaus erklären sie mir gleich zu Beginn, dass nur gewisse Frauenärzte dazu befugt seien, die Pille danach zu verschreiben und ein solcher befinde sich momentan nicht im Haus. Ich bin langsam verzweifelt und sage, es sei aber doch wichtig, dass ich die Pille innerhalb von 24 Stunden einnehme, worauf die Krankenschwester erwidert, es spiele keine Rolle, wann innerhalb der 63 Stunden man die Pille danach einnehme.
Zuhause frage ich meine Mitbewohnerin, eine neunzehnjährige Krankenschwester in Ausbildung, ob das stimmt. Sie bejaht.**

Am nächsten Tag bekomme ich einen Termin bei einem Frauenarzt, der sich weigert, mir ein Rezept auszustellen, wenn ich mich vorher nicht gründlich und auf äusserst grobe Art von ihm untersuchen lasse. Die Untersuchung hinterlässt ein nachhaltiges Gefühl von Übergriffigkeit. Als ich ihm sage, dass man in der Schweiz die Pille danach in der Apotheke holen kann, meint er, dass das Ergebnis eines solchen Umgangs mit Notfallverhütung eben junge Frauen wie ich seien. Ich unterlasse es, ihn zu fragen, was genau er damit meint.

Basel, 2014: Im Wissen, dass man in der Schweiz nicht solchen Behandlungen wie in Baden-Württemberg ausgesetzt ist, suche ich die Bläsi Apotheke auf. Einerseits ist sie nah, andererseits hat sie einen lustigen Namen.
Ich erkläre der Drogistin mein notfallverhütendes Anliegen, worauf diese geheminisvoll zu kichern beginnt und meint, sie hole den Apotheker.
Der Apotheker der Bläsi Apotheke ist nur knapp älter als ich, aber offensichtlich verheiratet (Ring am Finger) und tendenziell christlich (Kreuz am Hals). Er erzählt mir sofort und ungefragt, was er von diesen Frauen hält, die immer Party machen, mit unbekannten Männern ins Bett gehen, am nächsten Tag arbeiten gehen und dann nach Feierabend, wenn’s ihnen grad passt, ein bisschen die Pille danach nehmen und dann wieder Party machen.
Spätestens als er mir die Tablette gibt und sagt: «Heute Abend aber jetzt mal nicht Party, Party, Party» und dazu rythmische Bewegungen mit seiner zur Faust geballten Hand macht, weiss ich, dass die Situation in der Schweiz der in Baden-Württemberg manchmal in nichts nachsteht. Jedenfalls nicht in der Bläsi Apotheke.

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Das katholische Marienkrankenhaus, der Frauenarzt und der Apotheker der Bläsi Apotheke Basel haben alle eines gemeinsam: Sie glauben an die unbefleckte Empfängnis. Umso grössere Freude hätten sie deshalb an der folgenden Geschichte, die sich wirklich so zugetragen hat:
Im Jahr 1999, kurz vor dem Millenium und fast exakt zweitausend Jahre nachdem Maria, der späteren Mutter Gottes, ein Engel erschienen war, wiederholte sich in der Gemeinde Schaffhausen das Wunder der unbefleckten Empfängnis.
Die Protagonisten dieses neuzeitlichen Wunders heissen Steffi*** (13) und Manuel*** (13). Die beiden sind seit zwei Wochen ein Paar.
Am Mittwochnachmittag ist Manuels Mutter am Arbeiten und Steffi kommt zu Besuch. Die beiden ziehen sich bis zu den Unterhosen aus und reiben dann ihre Unterkörper durch Steffis Snoopy- und Manuels Batman-Unterhose aneinander. Irgendwie wird es oder etwas feucht, jedenfalls sind sie danach nicht sicher, ob das jetzt verhütet war oder nicht. Steffi geht mit ihrer besten Freundin Manuela**** (13) in die Migros und kauft einen Schwangerschaftstest. Der Test ist positiv. Und das nur eine Stunde nach dem nicht erfolgten Geschlechtsverkehr!

Manuel steht heute auf Männer (eigentlich damals auch schon) und was aus Steffi wurde, weiss ich nicht. «Schadeeheheheeeee» singen nun die Belegschaft des Marienkrankenhauses, der Frauenarzt und der Apotheker der Bläsi Apotheke in Basel im Chor, während sie sich im rhytmisch im Schiff der Kirche wiegen, als sich plötzlich der Boden unter ihnen auftut und sie alle verschlingt. Sie werden in den nächsten Jahren allesamt als ungewollte Kinder wiedergeboren werden. Ich empfehle deshalb im Zweifelsfall die Pille danach. Oder möchten Sie die Belegschaft des Marienkrankenhauses zum Kind haben?
Eben.

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Anmerkungen:

* Die übrigens beide jung Mütter von Zufallsbekanntschaften wurden, und das, obwohl beide gewollte Kinder waren, denn sie hatten eine gute Stelle und rauchten kein Haschisch.
** Vier Monate nach diesem Vorfall war auch diese Krankenschwester schwanger.
*** Wirkliche Namen der Autorin bekannt.
**** Wirklicher Name der Autorin nicht bekannt.

Danksagungen:
Ich danke der 24h Achillea Apotheke Bern Bahnhof für ihren Humor und das Verständnis dafür, das eine Neunzehnjährige nicht schwanger werden möchte; dem Marienhospital Stuttgart für die interessante Einführung in den angewandten Katholizismus; dem Gynäkologen Herrn Dr. P. in Ludwigsburg für seine wie-auch-immer Einschätzung der Notfallverhütung in der Schweiz und der Erkenntnis, dass ich seine Praxis nie wieder betreten werde; sowie insbesondere Herrn Dr. Cyrill. A., Apotheker und Leiter der Bläsi Apotheke Basel, für seine wertvollen Party-Tipps.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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