Frühsommer ist die Zeit für meinen jährlichen Arztbesuch. Frauen machen das ja so; gehen jedes Jahr zum Frauenarzt, der ein metallenes Gerät in sie hineinschiebt und in ihnen herumkratzt, um den potenziellen Krebs zu verscheuchen. Da ich in eine neue Stadt gezogen bin, fragte ich herum nach guten Ärztinnen und bekam immer dieselbe Antwort: «Paradies». Da sei es ein wenig anders, hiess es, aber super. Anders stimmte auf den ersten Blick: Statt Folterstühle gab es Betten, und die Frau meinte, dass sie gar keine Ärztin sei, aber die jungen Gesunden bräuchten auch keine Ärztinnen, nur Fachfrauen, die «Gyni» können. Als sie meinte, ich könne mir das Gerät auch selber einführen, war es mir dann zu informell – mach das bitte fachfrauenmässig! Aber sie wurde plötzlich verschwörerisch: «Hast du’s schon mal gesehen?» Sie gibt mir den Spiegel, ich schaue – also tief in mich hinein. Sie so: «DAS TOR DES LEBENS.»

Soweit die Anekdote. Was nun kommt, ist wichtig; es hat den Ausschlag für diese Ausgabe gegeben. Nämlich schaut sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als ich sage: «Die Pille nehm’ ich seit zehn Jahren.» Sie sagt, mein Körper sei im Dornröschenschlaf. Ich denke, stimmt, eigentlich hatte ich noch nie einen richtigen Zyklus. Wofür auch: Blut – ekelhaft viel Blut, schreckliche Schmerzen. Dagegen die Hormone: Machen schöne Haut, grössere Brüste; bei Arbeitsstress und Geburtstagen einfach die leichte Unannehmlichkeit verschieben. Extrem praktisch. Aber die Fachfrau schaut mich weiter durchdringend an und ich denke: Ja schon, diese Mädchen, die an Yasmin und Co. gestorben sind… (Allein in der Schweiz gab es zwischen 1990 und 2015 sechzehn tödliche Lungenembolien aufgrund der Anti-Baby-Pille, wie ich später nachlese.) Und meine Freundinnen, die ihre Tage gar nicht mehr kriegen.

Die Fachfrau drückt mir viele Zettel in die Hand, mit Alternativen. Ich lasse sie im Tram liegen. Krämpfe auslösende Kupferspirale – nein danke. Kondom? Pff. Temperaturmessen? So bin ich entstanden! Und wie genau soll ich täglich meine eigene Gebärmutterschleimhaut beobachten? Seh ich aus, als hätt’ ich dafür Zeit? Sowieso, bisher hat mir kein einziger Arzt oder Apotheker gesagt, dass ich keine Hormone nehmen soll. Im Gegenteil. Ich finde gut, wenn ich keinen Zyklus habe. Zyklus heisst Schmerzen, oder? Kein Zyklus heisst Badeferien für immer!

Temperaturmessen? So bin ich entstanden!

Zuhause haben mich die Bedenken eingeholt und ich lade mir die Broschüren auf der Paradies-Webseite runter. Kann doch nicht sein, dass mir Brüste, ständige Bereitschaft und Schmerzfreiheit wichtiger sind, als, naja, mein Ich ohne künstliche Hormone, meine Gesundheit? So habe ich mich nie betrachtet – bin in Wirklichkeit ein leistungssüchtiges, gefallenwollendes Mädchen? Schwierig, schwierig. Spannend, spannend.

Mein Vater rät: Abstinenz.
Mein Freund fragt: Wie funktionieren eigentlich die Hormone? Ich frage Ärzte, lese Packungsbeilagen, Internetseiten und komme zum Schluss: Eigentlich weiss es niemand genau. Überhaupt: Wo bleibt die Verhütung für den Mann? Und wie wirkt sich diese einseitige Verantwortung auf Beziehung und Kinderplanung aus? In der Redaktionssitzung hiess es schon: «Gutes Thema! Ein Freund von mir wurde gerade Vater, von einem One Night Stand. Weil sie sagte, sie würde verhüten.» Diese elendige Schuldzuweisung! Aber werden wir überhaupt noch Kinder kriegen, wenn uns die Wunderpillen doch nur von Vorteil sind?

Noch etwas zum Thema soziale Gleichberechtigung oder: Warum muss die Frau das Risiko alleine tragen? Also Männerverhütung. Es heisst, hormonelle Verhütung für den Mann herzustellen, sei schwierig. Es sei einfacher, monatlich eine Eizelle in den Griff zu kriegen, als wöchentlich eine Milliarde Spermien. Es sei eine höhere Dosierung an Hormonen nötig, weil schliesslich eine konstante Spermienproduktion zu unterdrücken sei. Ausserdem schrumpfe der Hoden dabei, das sei kosmetisch ein Problem. Oha. Eine wirksame klinische Studie, die dreimal jährlich eine Hormonspritze für die Testmänner beinhaltete, wurde abgebrochen, da der Pikser für die Männer zu «unangenehm» sei. Dabei heisst es doch, ein gesellschaftlicher Wandel hätte stattgefunden, und Männer würden auch in Sachen Verhütung Verantwortung übernehmen wollen. «Fairness», sagen befragte Basler Männer in einer aufschlussreichen Sendung des SRF, und: «Opfersymmetrie».
Eine andere, für die stellvertretenden Testmänner ehrenrettendere Erklärung wäre, dass ein neues Medikament teurer ist, da es erst noch die ganzen Forschungskosten reinbringen muss; der Anreiz, es zu kaufen, also wahrscheinlich eher tief wäre. So scheuen sich die Konzerne davor, in etwas zu investieren, womit lange kein Gewinn gemacht werden kann. Während sich die Pille für die Frau ja immer noch sehr gut verkauft – obwohl sie in den letzten Jahren schon merklich weniger verschrieben worden ist. Offensichtlich ist Frauen in diesen Belangen mehr zumutbar. Warum? Weil sie in letzter Konsequenz das Kind austragen müsste? Aber wenn wir schon bei Gleichberechtigung sind: Wäre es nicht auch an der Zeit für den Mann, sich von der Rolle des reingelegten Opfers zu verabschieden und die Sache selber in die Hand zu nehmen?
Ich jedenfalls bin gespannt auf 2018. Dann soll das «Vasalgel» auf den Markt kommen: Ein nicht-hormonelles Gel, das in den Samenleiter gespritzt wird und dort die Spermien filtert. Wenn sich die Memmenmänner trauen, alle zehn (!) Jahre eine Spritze an einer unangenehmen Stelle zu kriegen, würde der Pillen-Umsatz von Bayer und Co. wohl ein wenig zurückgehen. Und damit der Hormonspiegel im Trinkwasser. Und damit das Vogelsterben. Usw.

Die folgenden Texte haben Frauen und Männer geschrieben. Sie beschreiben, wie es sein kann, in einem katholischen Krankenhaus die «Pille danach» nicht zu bekommen. Sie geleiten durch die Geschichte der Verhütung, die lange eine verzweifelte war – und die Frage stellt: Wie ist es heute? Sie erkennen an, dass Frauen Schmerzen haben, zuweilen unsägliche, die Männer so nicht haben, und zeigen ansatzweise auf, was Frauen dagegen tun (– und sich gleichzeitig fragen, was sie sich dabei antun). Sie protestieren gegen Anpassung und Fremdsteuerung und plädieren für «Luna Yoga». Sie präsentieren ein neues Produkt, eine mögliche Lösung, ein Forschungsgebiet. Sie berichten davon, wie es sich anfühlen kann, nach einer Vasektomie Rad zu fahren. Und nicht zuletzt diskutieren sie auch darüber, was geschehen soll, wenn die Verhütung versagt hat. Die Texte haben dabei gemein, dass sie alltägliche Selbstverständlichkeiten für einmal hinterfragen. Wahrscheinlich sollten wir das alle häufiger tun.

* Hinweis: Verhütung behandelt hier nur die sogenannte Empfängnisverhütung. Die Verhütung von sexuell übertragbaren Krankheiten haben wir aus Spargründen leider ausser Acht lassen müssen.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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