Das Feministische Frauen Gesundheitszentrum e.V. Berlin ist, wie ich per Mail vorgewarnt werde, «kritisch gegenüber Hormonen und Spiralen» eingestellt. Sozialpädagogin Cornelia Burgert erklärt, wieso viele Feministinnen heute die Pille ablehnen.

Es ist ein Kampf gegen die Windmühle

In ihren Anfängen in den 1960ern war die Pille als Verhütungsmittel revolutionär. Nie zuvor konnten Frauen so sicher selbst über ihre Fruchtbarkeit und damit ihr Leben bestimmen. Was hat sich geändert?

Inzwischen sind einfach die vielen Nachteile klar. In Deutschland ist es heutzutage üblich, dass Mädchen mit 13, 14 Jahren zum Gynäkologen gehen. Warum eigentlich? Würde ein Junge in diesem Alter zum Urologen? Diese Pathologisierung von Frauen! Immer nachschauen müssen, ob «alles ok» sei. Also, da kriegen sie ihre erste Pille verordnet – aus nichtigen Gründen, wegen einem Pickel; und mit Verhütung hat das gar nichts mehr zu tun.
Viele dieser Mädchen landen später – 10 Jahre später, mit Mitte zwanzig – bei uns und sagen: «Es steht mir bis hier!» Und das mit den sogenannt dritten und vierten Generationspillen, die angeblich so supertollniedrig dosiert sind, aber letztendlich genauso das Thrombosen- und Lungenembolie-Risiko hochtreiben. Aber nicht nur: Die Frauen, die kommen, sind antriebslos, lustlos usw. Wenn sie die Hormone abgesetzt haben, merken viele, dass sie nun eine andere Persönlichkeit haben. Bis Mitte zwanzig dachten sie, sie seien Typ «antriebsgeschwächte Depressive». Und plötzlich haben sie wieder Energie und Laune! Gleichzeitig haben sie Angst vor ihrem eigenen Körper, weil der eigentlich ein unbekanntes Wesen ist. Da arbeiten wir gegen an, aber es ist ein Kampf gegen die Windmühle.

Ihr seid ein Gesundheitszentrum ohne Ärztinnen. Wie funktioniert das?

Wir sind eine reine Beratungseinrichtung, das hat seit 40 Jahren Tradition. Bei uns sollen Frauen Informationen zu ihren Fragen bekomme; Verhütung ist dabei nur ein kleiner Ausschnitt unserer Arbeit. Wir stellen immer wieder fest, dass sich in den ganzen Jahren nicht gross verändert hat, was Frauen umtreibt, was ihre Bedürfnisse sind – die aber die Medizin überhaupt nicht befriedigt. In den 80ern überlegten wir noch, uns mit einer Gynäkologin zusammenzutun, aber es gab keine, die dazu bereitgewesen wäre; und wir letztendlich auch nicht. Unsere Ansprüche gehen mit dem normalen Praxisalltag nicht zusammen. Es wird ja Geld gemacht mit der Verordnung von Pillen, dem Einlegen von Spiralen.

Auf eurer Homepage schreibt ihr: «Unsere Arbeit basiert auf der Erkenntnis, dass Gesundheit und Krankheit geschlechtsspezifisch geprägt sind.»

Klar, es ist nachgewiesen, dass Frauen zum Beispiel Medikamente anders verstoffwechseln als Männer. Die Medizin versucht es immer auf diese rein biologische Schiene zu reduzieren. Aber es gibt auch das Gesellschaftliche: Du wirst, wenn du als Frau zum Arzt gehst, anders behandelt als ein Mann. Wenn dein Freund zum Doktor sagt: «Mir geht es nicht so gut», kriegt er eine Herzstärkung – du würdest für dasselbe wahrscheinlich ein Antidepressiva kriegen. Frauen werden leider immer noch in diese Psycho-Ecke gedrängt, das «schwache Geschlecht». Gleichzeitig gehen Frauen anders um mit ihren Beschwerden, und das hat wiederum mit gesellschaftlichen Bedingungen zu tun.

Studien zur hormonellen Verhütung für Männer werden immer wieder abgebrochen…

… da heisst es, die Nebenwirkungen sind nicht zumutbar, dabei werden genau dieselben den Frauen zugemutet! Frauen sind auch viel eher bereit, sich das anzutun. Warum eigentlich? Klar, weil sie ungewollt schwanger werden. Aber das Ganze funktioniert ja auch nur so, weil Frauen sich letztendlich dazu hingeben, es eben doch zu nehmen.

Du hast angesprochen, Frauen hätten häufig, wenn sie nach Jahren die Hormone absetzen, Angst vor dem eigenen Körper. Ich verstehe das; wenn ich an meine «hormonfreie Zeit» zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an starke, für Tage ausser Gefecht setzende Blutungen.

Das ist so in den Köpfen drin: Hilfe, ich bin – zum Beispiel während der Menstruation –meinem Körper ausgeliefert. Aber der Körper ist ja Teil von dir! Und nur weil du mit 16 starke Periodenschmerzen hattest, heisst das noch lange nicht, dass es mit Mitte zwanzig immer noch so sein muss. Bei vielen Frauen, die absetzen, passieren ganz wilde Sachen, hormonell und im Kopf. Es gibt solche, bei denen der Zyklus sofort wieder einsetzt, und andere, bei denen es ewig braucht, weil der lange fremdgesteuerte Körper erstmal wieder begreifen muss, dass er jetzt selber dran ist.

In Gesprächen mit Freundinnen und Bekannten, die auch schon lange Hormone zur Verhütung nehmen, höre ich heraus, dass niemand wirklich zum «echten Zyklus» zurück möchte.

Ist doch Wahnsinn! Diese totale Distanzierung zum Frauenkörper, zur eigenen Weiblichkeit! Läuft es darauf raus, dass Menstruation abgeschafft werden soll? Männer und Frauen sind biologisch unterschiedlich und haben an diesem Punkt tatsächlich verschiedene Aufgaben. Frauen müssen ja einen Zyklus haben, um potenziell gebären zu können – ob sie sich dafür entscheiden oder nicht. Wenn du seit Jahren Hormone nimmst, das ist fremdbestimmt – in dem Sinn, dass du Angst vor dir selber hast.

Manchmal frage ich mich, ob heutzutage eine Frau ihren Zyklus fast hormonell regeln muss, damit sie in der männerdominierten Leistungsgesellschaft überhaupt bestehen kann?

Ja hat denn hier die Frauenbewegung überhaupt stattgefunden? Kritiklos zu glauben, Männer seien der Standard und Frauen die Opfer. Ist doch Schwachsinn! Dass Männer besser funktionieren und mehr leisten. Wer macht denn die ganze andere Arbeit, die unbezahlte und die schlecht bezahlte? Man kann’s auch genau andersrum sehen: dass Frauen nämlich viel mehr arbeiten, viel mehr balancieren.
Es gibt auch Veränderung und die hat immer mit einem selber zu tun. Wenn ich mich nur anpasse, wird sich nie etwas ändern. Und was ist das überhaupt für ein Begriff von Leistung? Warum kann ich als Frau, wenn ich menstruiere, nicht leistungsfähig sein?

Wenn man im Bett liegt und sich krümmt? Oder so viele Schmerzmittel schluckt, bis einem schwindlig wird?

Da kann man ja Abhilfe schaffen: Kräuter, Luna-Yoga, Akupunktur, Sport, Entspannung… Das funktioniert nicht nach dem Motto: Ich muss die Pille nehmen oder sonst leiden. Dazu kommt die Frage, inwieweit diese starken Probleme auch mit dem Kopf zu tun haben können. Mit dem nicht mit sich Einssein, weil ich in ständiger Abwehrhaltung gegen meinen Körper bin.

Soviel zu den Hormonen, was ist denn gegen Spiralen zu sagen?

Spiralen sind vor allem Fremdkörper in der Gebärmutter, der Verhütungseffekt beruht auf einer chronischen Entzündung. Die Kupferspirale macht darum bei jeder Frau zuerst mal eine sehr starke Blutung. Wie auch «Gynefix», diese Kupferkette, die oben in der Gebärmutter richtig festgetackert wird. Dazu ist es in unseren Augen nicht sinnvoll, etwas zu nehmen, was ich nicht selber kontrollieren kann. Beim Nuvaring oder der Pille kannst du selber sagen: Raus damit, kein Bock mehr. Aber mit der Spirale musst du zum Arzt – Gynäkologen lieben das ja, weil sie damit richtig gut Geld machen können. Dann wirst du bequatscht: «Aber alle andern vertragen es problemlos.» Und typischerweise denken viele Frauen: Ich bin die Einzige, bei der es nicht funktioniert.
Bei der gestagenhaltigen Hormonspirale gibt es für Ärzte eine Aufklärungspflicht: Sie müssen darüber informieren, dass dieses Mittel starke psychische Auswirkungen wie Panikattacken, Angstzustände und depressive Verstimmungen haben kann. Meist wird darüber aber nicht informiert, und Frauen, denen es nicht gut geht, wissen nicht, dass es mit der Spirale zu tun hat. Durch die Hormone wird der Testosteronspiegel gesenkt, mit ihm sinkt die Libido oft ins Bodenlose, und auch die Stimmungslage. Viele Frauen landen dann ironischerweise bei Psychopharmaka, weil sie glauben, depressiv zu sein.

Welche Alternativen bleiben dann noch?

Barrieremethoden – wie das Kondom. Da gibt’s oft das Problem, dass Männer nicht dazu bereit sind – und oft auch verwöhnt von Frauen, die immer schön brav die Pille geschluckt haben. Diese Männer sehen sich gar nicht in Verantwortung.
Für Frauen gibt es Diaphragmen und Portiokappen. Beide müssen einmal angepasst werden – darauf haben wir uns spezialisiert. Gynäkologen haben das in ihrer Ausbildung nicht gelernt, darum sind sie auch nicht davon überzeugt. Bei uns gibt es erst eine theoretische Einführung in die beiden Verhütungsmittel, dann die Anpassung. Danach nehmen die Frauen das, was sie gewählt haben, zum Ausprobieren nachhause. Schliesslich kommen sie wieder und es wird geschaut: Passt das Mittel gut? Wie kommen sie damit klar? Wenn du weisst, wie es geht, haben beide eine hohe Sicherheit, 97 Prozent, wie das Kondom – bei richtiger Anwendung! Männer sind halt oft nicht geübt darin; so etwas wie eine Kondom-Einführung findet ja kaum statt – entweder aus politischen, religiösen, konservativen Gründen, oder weil viele denken, die Mädels kümmern sich ja drum.
Hier in Berlin gibt’s die Regelung, dass Menschen mit geringem Einkommen die Verhütungsmittel umsonst bekommen. Eine sehr schöne Geschichte, leider steht Berlin damit in ganz Deutschland allein da. Aber noch ein Grund mehr, sich dafür zu entscheiden: Weil es billig ist! Das Diaphragma kostet 40 Euro (Anm. d. Red: In der Schweiz ca. 50 Franken). Wie viel zahlst du für den Verhütungsring, pro Monat?

30 Franken.

Na dann rechne’s dir aus. Diaphragmen halten Jahre! Du kannst sie jederzeit selber rein-raus befördern und sie haben keinerlei gesundheitlichen Nebenwirkungen. Die Portiokappe ist besonders praktisch am Wochenende – die kannst du etwa zwei Tage drinlassen. Wenn du ausgehst und denkst: «Hm naja, könnte ja sein…» Wenn’s nicht dazu kommt, nimmst raus, wäschst aus, und wenn’s dann drei Stunden später doch noch Sex geben soll, machst du’s einfach wieder rein.

Aber wenn ich doch gar keine Probleme mit den Hormonen habe…

Es gibt auch Frauen, welche sie gut vertragen. Da bleibt die Frage: Bist du bereit, deinen Körper einer ständigen Beeinflussung durch synthetische Hormone auszusetzen, die zentral im Gehirn eingreifen, deine Hormonausschüttung und damit deinen Zyklus blockieren, mit potenziellen gesundheitlichen Nebenwirkungen, die auch gefährlich sein können?

www.ffgz.de

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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