Der landesweite Generalstreik vom November 1918, der sogenannte Landesstreik, war nicht nur eine der schwersten politischen Krisen in der Schweiz, er hatte auch nachhaltige Folgen für die gesellschaftspolitische Konstellation bis in den Zweiten Weltkrieg hinein. Neben einigen sozialpolitischen Konzessionen an die Arbeiterschaft hatte der Landesstreik von 1918 vor allem repressive Folgen. Die systematische Ausgrenzung der Sozialdemokratie in den Jahren nach dem Landesstreik, die jahrelange, staatsschützerische Überwachung der Linken, die Entstehung rechtsbürgerlicher Gruppierungen wie auch das Eingehen von Allianzen der Regierung mit ebensolchen Gruppierungen zur Bekämpfung des Kommunismus können als Folgen des Landesstreiks genannt werden. Die Jahre um den Landesstreik gelten damit auch als politische Weichenstellung für die schweizerische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, in dem die liberale Schweiz des 19. Jahrhunderts zunehmend durch einen antikommunistischen, reaktionären Diskurs verdrängt wurde.

Verschwörungstheorien über die Arbeiterbewegung und Ängste vor einem Umsturz bestanden in Teilen des Bürgertums schon Jahrzehnte vor dem Streik. In verschiedenen Orten wurden Bürgerwehren zur Abwehr der angeblich bevorstehenden Revolution gegründet und die Armeeführung liess bekanntlich schon am 5. November 1918 in Zürich Truppen einmarschieren. Als Grund für den Militäraufmarsch nannte sie Putschgerüchte anlässlich des ersten Jahrestages der Russischen Revolution. Schon vor dem Landesstreik standen auf Seiten des Bürgertums also alle Zeichen auf Sturm. Der Landesstreik von 1918 vermochte diese seit längerem brodelnden Vorstellungen, die Arbeiterschaft bereite die Revolution vor, zu bündeln und führte zu einer massiven Mobilisierung des Bürgertums. In mehreren Städten wurden mit der Ausrufung des Landesstreiks Bürgerwehren gegründet, die grossen Anklang fanden. In Basel folgten noch während des Streiks rund 6’000 Mitglieder dem Aufruf, in Zürich waren es gar 10’000 Männer, die sich in die in den Zunfthäusern aufgelegten Listen einschrieben. Neben Zürich und Basel wurden etwa auch in Genf, Bern, Luzern und im Kanton Aargau Bürgerwehren aufgestellt. Mehrere SAC-Sektionen organisierten zudem Protestveranstaltungen gegen den Landesstreik. Und kurz nach dem Streik, am 24. November 1918, fand im Amphitheater Vindonissa, im aargauischen Windisch, eine bürgerliche Gegenveranstaltung zum Landesstreik statt, an der rund 12’000 Personen teilnahmen. Hier wurde beschlossen, alle Bürgerwehren und patriotischen Gruppierungen in einem Verband zu vereinen: dies war die Geburtsstunde des Schweizerischen Vaterländischen Verbandes (SVV), der im April 1919 gegründet wurde und der Politik und Gesellschaft während der kommenden 30 Jahre im Sinne seiner antikommunistischen Grundsätze massiv beeinflussen sollte. Bürgerwehren und vaterländische Organisationen konnten dem Verband als Sektionen beitreten, damit gelang dem SVV eine fast vollständige Abdeckung aller Kantone.
Zwar wurden überall Bürgerwehren gegründet – zu Einsätzen kam es jedoch kaum: In Genf haben sich die Bürgerwehr-Freiwilligen für die Aufrechterhaltung des Trambetriebs und der Milchversorgung eingesetzt, im Aargau wurde ein Kurier- und Meldedienst eingerichtet und in Basel verteidigte die mit Stöcken bewaffnete Bürgerwehr einzelne Geschäfte. Weitere Einsätze von Bürgerwehren haben 1918 jedoch nicht stattgefunden und auch in den folgenden Jahren sind kaum Einsätze überliefert. Die Forschung zu den mit den schweizerischen Bürgerwehren vergleichbaren Einwohnerwehren in Deutschland zeigt denn auch, dass der tatsächliche militärische und ordnungspolitische Wert solcher Milizwehren gering war, was auch für die Bürgerwehren in der Schweiz gilt. Es war ein überdimensioniertes Militäraufgebot und nicht die Bürgerwehr, mit welchem die Streikenden in Schach gehalten und wichtige Dienste aufrechterhalten wurden.

Unabhängig von der Frage des militärischen Nutzens der Milizwehren stellte sich für Militär und Bundesrat nach Beendigung des Landesstreiks die Frage nach der rechtlichen Stellung der neu entstandenen Organisationen. Der Bundesrat befürchtete eine unnötige Provokation der Arbeiterschaft und lehnte eine finanzielle Unterstützung der Bürgerwehren ab. Auch General Wille äusserte sich tendenziell skeptisch gegenüber den Bürgerwehren. Generalstabschef Theophil Sprecher sah in ihnen hingegen eine wichtige Ergänzung der militärischen Ordnungs-truppen, ebenso der Kommandant der Zürcher Ordnungstruppen und spätere Generalstabschef Emil Sonderegger. Sprecher und Sonderegger formulierten schliesslich mögliche Einsatzgebiete – die Bewachung von Gebäuden, den Schutz von Arbeitswilligen und die Übernahme von Hilfsdiensten – und legten fest, dass die Frage nach der rechtlichen Anerkennung der Bürgerwehren bei Kantonen und Gemeinden und nicht beim Bund liegen soll. In den Kantonen Luzern, Freiburg, Aargau, Zürich, dem Tessin und der Waadt wurden den Bürgerwehren in der Folge halboffizielle, hilfspolizeiliche Funktionen zugewiesen. Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) rüstete die kantonal anerkannten Bürgerwehren mit Waffen und Munition des Bundes aus. Zugleich wurden an verschiedenen Orten im Land Munitionsdepots für die Bürgerwehren errichtet. Die Entdeckung solcher Lager führte zu einigen linken Interpellationen. Die militärische Ausrüstung der Bürgerwehren wurde in der Beantwortung von EMD-Chef Karl Scheurer jedoch nicht etwa kleingeredet, sondern als legitim deklariert und die Bürgerwehren damit nachträglich auch von Seiten des Bundes anerkannt.

Bereits Ende 1920 begann jedoch der Niedergang der Bürgerwehrbewegung. Viele Bürgerwehren verloren ab den frühen 1920er Jahren die Mehrzahl ihrer Mitglieder und spätestens seit 1930 bestanden die sie in den meisten Kantonen nur noch auf dem Papier. Die Bürgerwehren waren somit zwar eine «eindrückliche» Demonstration bürgerlicher Kampfbereitschaft, hatten letztlich aber wenig Konsequenzen. Viel effektiver war die anschliessenden Verlagerung der Aktivitäten des SVV in den Bereich des Streikbrecherdienstes wie auch des Staatsschutzes: Es kam gewissermassen zu einer Verlagerung von der Strasse weg, hinein in die Institutionen, wo sie für die Öffentlichkeit weniger sichtbar waren.

Der SVV verfügte über drei Dienstzweige: Einen Pressedienst, einen Werkdienst sowie einen politischen Nachrichtendienst. Der Werkdienst des SVV hatte die Funktion eines Streikbrecherdienstes und stellte für verschiedene, als lebensnotwendig eingestufte Betriebe wie Bahn, Elektrizitätswerke oder Telefonzentralen Streikbrecher zur Verfügung. Ab 1922 baute der SVV im Bereich der Streikbekämpfung eine Kooperation mit den Behörden und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf. Ein erster Einsatz des Werkdienstes fand während des gesamtschweizerischen Typographenstreiks 1922 statt, im selben Jahr konnte der SVV die bestehende Streikbrecher-Organisation der SBB übernehmen. Die SBB finanzierten zusammen mit dem EMD von 1927 bis 1931 auch Ausbildungskurse für die Werkdienstfreiwilligen. Neben den SBB war auch die Schweizerische Post am Werkdienst des SVV beteiligt. Bereits in den 1930er Jahren sind – unter anderem aufgrund eines Rückgangs des Streikaufkommens in den späten 1920er Jahren und dem Bekenntnis der Sozialdemokratie zur militärischen Landesverteidigung 1935 – keine weiteren Einsätze des Werkdienstes mehr bekannt und die Behörden beendeten die Kooperation mit dem SVV.
Es wurden hier jedoch die Grundlagen für ein Netzwerk zwischen dem SVV und den Behörden gelegt, welches in den 1930er Jahren im Bereich des Staatsschutzes und des Nachrichtendienstes nachhaltig wirken sollte. Hauptziel des SVV in den 1930er Jahren war der Ausbau des Staatsschutzes und damit eine präventive Abwehr des Kommunismus, die der Öffentlichkeit – anders als mit den Bürgerwehren – in aller Regel verborgen blieb. Ab etwa 1930 war der politische Nachrichtendienst des SVV voll einsatzfähig und sekundierte in Zukunft die Tätigkeiten der Bundesanwaltschaft. Der Nachrichtendienst lieferte den Bundesbehörden, vor allem der Bundesanwaltschaft, über Jahre hinweg Meldungen zu Kommunisten, zu angeblichen Umsturzvorbereitungen und anderen potentiellen Gefahren. Hierfür arbeitete er mit Vertrauensleuten aus dem Verbandsumfeld zusammen. Daneben unterhielt der SVV auch Kontakte zu Spitzeln, welche die KPS infiltrierten. Einige davon waren bereits vor ihrer Anheuerung als Spitzel Mitglied der KPS gewesen, andere traten mutmasslich eigens für den Spitzeldienst in die Partei ein. Die Spitzel wurden für ihre Dienste bezahlt, die verbandsinternen Vertrauensmänner arbeiteten unentgeltlich, konnten jedoch ihre Spesen für Bahnreisen und Telefongespräche geltend machen. Sowohl die Vertrauensmänner als auch die Spitzel hatten zur Aufgabe, Mitglieder der KPS und der SPS wie auch deren Versammlungen zu beobachten und verdächtige Entwicklungen zu melden. Den Spitzeln des SVV gelang es immer wieder, in wichtige Entscheide der KPS eingeweiht zu werden oder geheimes Material (etwa zu Abstimmungskämpfen) in die Hände zu bekommen. Für die Vertrauensmänner, die nicht Mitglieder der Partei waren, war die Überwachungstätigkeit schwieriger zu bewerkstelligen: Sie versuchten sich etwa «als Arbeiter verkleidet» in Versammlungen einzuschleichen, gaben sich als Kommunisten aus und suchten so das Gespräch mit Parteimitgliedern oder beobachteten Versammlungen von benachbarten Gebäuden aus.
Spitzel und Vertrauensmänner schickten ihre Beobachtungen an das Nachrichtendienstsekretariat des SVV, von wo aus die relevanten Meldungen an die betreffenden Bundesbehörden weitergereicht wurden. Die meisten Nachrichtendienstmeldungen gingen aufgrund ihrer Aufgabe als Anklagebehörde sowie als Leitung der politischen Fremdenpolizei an die Bundesanwaltschaft. Diese übertrug die gemeldeten Informationen des SVV konsequent in bereits vorhandene Personenfichen oder eröffnete neue Fichen und leitete die SVV-Meldung zudem zu weiteren Abklärungen an die betreffenden politischen Polizeistellen der Kantone weiter. So sind zahlreiche polizeiliche Massnahmen festzustellen, die indirekt auf Meldungen des SVV zurückzuführen sind: Mehrere Personen wurden polizeilich überwacht, einige im Laufe der gegen sie erhobenen Ermittlungen verhört, ihre Häuser oder Wohnungen durchsucht und ihre Post zensiert. Darüber hinaus kam es vereinzelt auch zu drastischeren Massnahmen wie Gefängnisstrafen, Nichterteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung oder erneute Überprüfung von bereits erteilten Einbürgerungsbewilligungen. Es gibt zudem mehrere Hinweise darauf, dass aufgrund einer Meldung des SVV die Ausweisung der gemeldeten Personen angeordnet wurde.
Aus Sicht der Bundesanwaltschaft bot vor allem der – bis zur Gründung der Bundespolizei 1935 – fehlende nationale Nachrichtendienst eine Grundlage für die Zusammenarbeit mit den privaten, antikommunistischen Ermittlern des SVV. So gab der Chef des Polizeidienstes der Bundesanwaltschaft Werner Balsinger anlässlich einer Befragung zur Zusammenarbeit mit dem SVV 1948 zu Protokoll, dass die Meldungen des SVV die Funktion eines national tätigen Nachrichtendienstes übernommen hatten: «Meine direkten Beziehungen zum [S]VV liegen hauptsächlich in der Zeit vor der Errichtung der Bundespolizei. Damals war die politisch-polizeiliche Information im allgemeinen in der Schweiz wenig entwickelt. Die Bundesanwaltschaft hatte Mühe, sich eine gründliche politisch-polizeiliche Information zu beschaffen […]. Gerade in dieser Zeitspanne waren die Informationen des [S]VV als Ergänzung oder vielmehr als Ausgangspunkt für amtliche Erhebungen besonders willkommen.»
Gerade durch diese sich hier offenbarende, extensive Zusammenarbeit der Behörden mit dem zivilgesellschaftlichen Akteur SVV war Antikommunismus in dieser Zeit nicht nur ein zentrales Element des schweizerischen Staatsschutzes, sondern auch des schweizerischen Selbstverständnisses, das einer kritischen Hinterfragung antikommunistischer Praktiken im Weg stand. Der Aufbau eines präventiv tätigen, auf die innere Sicherheit fokussierten, tendenziell repressiven Staatsschutzes, der die Überwachung und Verfolgung politischer Gesinnung im Fokus hatte, war Teil eines antikommunistischen Sicherheitsdispositivs mit nachhaltigen Folgen für das Verhältnis von Staatsschutz und Grundrechten.

Erst ab 1946 wurde die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit des SVV mit dem Bundesrat und der Bundesanwaltschaft Gegenstand öffentlicher Debatten und eines veritablen Skandals. Mehrmalige Interpellationen und Kleine Anfragen linker Politiker führten zu einer schrittweisen Aufdeckung des privaten Nachrichtendienstes, welcher notabene über Jahre hinweg einen Beamten der Stadtpolizei Zürich bestochen hatte und so zu zusätzlichem Nachrichtenmaterial gekommen war. Nach der Verurteilung und dem darauffolgenden Rücktritt seines Nachrichtendienstsekretärs war der SVV auf nationaler Ebene am Ende seiner seit 1919 dauernden Tätigkeit angelangt. Einzelne Sektionen blieben auf kantonaler Ebene aber noch weiter aktiv, darunter die Zürcher Vaterländische Vereinigung, deren Existenz bis mindestens 1955 belegt ist oder die Aargauische Vaterländische Vereinigung, die heute unter dem Präsidium von SVP-Nationalrat Andreas Glarner steht und mit dem Slogan «Wachsam seit 1918» für sich wirbt.

Dr. des. Dorothe Zimmermann ist Historikerin. Sie schrieb ihre Dissertation über den Schweizerischen Vaterländischen Verband, Antikommunismus und den Staatsschutz. Sie ist Sammlungsleiterin und Kuratorin am Institut für Medizingeschichte der Universität Bern.
Dieser Artikel ist die stark gekürzte Fassung eines Aufsatzes, welcher im Herbst 2018 in einer Publikation zum Landesstreik bei Hier + Jetzt erscheint.

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