Im Rahmen der rasch voranschreitenden Verschmelzung von Technik und menschlichem Körper hat der Kampf um das Menschenbild begonnen. Im Spannungsfeld zwischen Humanismus und Transhumanismus erreicht er nun erstmals die konkrete Gestaltungssphäre internationaler Politik. Neue «Transhumanistische Parteien», die ausgehend von den USA mittels körper-inversiver Techniken den bisherigen Menschen zu einem cyborgisierten «neuen Menschen» umbauen wollen, streben nach einer ersten Weltpartei jenseits gewohnter Muster von links und rechts – mit derzeit noch unabsehbaren Folgen. Wird sich der gescheiterte Traum der ideologisch-linken (kommunistischen) und grünen «Internationalen» des 19. und 20. Jahrhunderts im Hinblick auf eine transnational geeinte, erste weltpolitische Partei der Menschheit in den kommenden Jahren ironischerweise als radikal-pragmatische Technikpartei der «Transhumanisten» realisieren? Das wäre im Zeitalter von Brain-Computer-Interfaces (BCI’s), Internet und global ausgreifenden «Neuen Sozialen Medien» zwar kaum überraschend – könnte aber Auswirkungen auf praktisch alle Parameter bisheriger nationaler und internationaler Politiken haben.

Eine globale politische Bewegung zur biotechnologischen «Aufrüstung» des Menschen

In vielen Ländern Europas gründen sich derzeit Parteien, die jenseits traditioneller Parteilogiken von links und rechts das Verhältnis von Mensch und Technologie in den politischen Fokus rücken. Der Name «Transhumanismus» ist dabei Programm: Vertreter der neuen globalen «Transhumanist Parties» wollen über den bisherigen Menschen hinausgehen, seine physischen, kognitiven und vielleicht auch «geistigen» Grenzen überschreiten und das Altern – im Maximalanspruch sogar den Tod – abschaffen.

Die in Europa zuerst gegründete und bisher am weitesten institutionalisierte «Transhumanistische Partei» ist die britische UKTP (UK Transhumanist Party), die seit Januar 2015 auf Hochtouren an ihrem transhumanistischen Manifest arbeitet und sich auf die Parlamentswahlen am 7. Mai 2015 vorbereitet.[1] Auch in Deutschland werden aktuell Maßnahmen zur Registrierung der «Transhumanistischen Partei Deutschland» getroffen. Die Organisation will bis April 2015 als Partei offiziell auftreten.[2]

Die politische Agenda der Transhumanistischen Parteien sieht vor, eine Akzeptanz für radikale Technologien zur Optimierung des Menschen in der Bevölkerung zu schaffen und Technologie als Motor für positiven gesellschaftlichen Wandel zu propagieren. Technologie ist für diese Parteien der Hebel für praktisch alle Probleme: Gesundheit, Ungleichheit, Klimawandel, internationale Verständigung, Friedenssicherung, Individualisierung. Das weite Spektrum «transhumanistischer» Technologien umfasst die breite Anwendung von Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interfaces, BCI’s) nun nicht nur in medizinischen, sondern auch in alltäglichen Lebensbereichen, Implantate zur Steigerung der kognitiven Fähigkeiten, Neural Engineering zur Erweiterung menschlichen Bewusstseins und Cyborgisierung auch gesunden Körpergewebes, um Widerstandsfähigkeit und Lebensdauer zu steigern.[3] Ziel ist die biotechnologische «Aufrüstung» des Menschen.[4]

Eine Partei mit Weltanspruch

Die Transhumanist Party Global (TPG) hat ihren Ursprung in Kalifornien, der Heimat führender Forschungseinrichtungen und Riesenkonzerne der Technologiebranche. Der amerikanische Philosoph und Futurist Zoltan Istvan hat dort im Oktober 2014 die weltweit erste (nationale) Transhumanistische Partei, die «Transhumanist Party» der USA[5] gegründet und will 2016 für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidieren.[6]

Doch Istvans Ambitionen reichen weit über eine politische Karriere in den USA hinaus. Zusammen mit dem Philosophen Dr. Amon Twyman, Mitbegründer der Organisation «UK Humanity+»[7] und Gründer des «Institute for Social Futurism: Positive Social Change Through Technology» (ISF)[8], hat er Ende 2014 die «Transhumanist Party Global» (TPG)[9] ins Leben gerufen – eine Initiative, die technikprogressive Graswurzelbewegungen weltweit in einer einzigen Bewegung einen will und die systematische Gründung Transhumanistischer Parteien unterstützt.[10]

Die ersten Schritte zur Internationalisierung und Institutionalisierung sind bereits genommen. Auf allen Kontinenten entstehen derzeit Dachorganisationen, die zunächst die Gründung von Transhumanistischen Parteien auf nationaler Ebene unterstützen sowie den Austausch und die Kooperation zwischen diesen fördern sollen.[11] Die kontinentalen Dachorganisationen sollen sich dabei zu regionalen Diskussionsforen der formell registrierten nationalen Parteien entwickeln. Die europäische Trägerorganisation TP-EU hat bereits Arbeitsgruppen in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Kroatien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, Spanien, Schweden und der Türkei initiiert. Das langfristige Ziel ist, auf Basis der TP-EU Strukturen eine europäische Partei zu gründen, die die Interessen der Transhumanisten im Europäischen Parlament vertritt.[12]

Jenseits der Logiken von «links» und «rechts»: Eine neue «Dritter-Weg»-Politik?

Die politische Mobilmachung der Transhumanisten könnte der Beginn eines tiefgreifenden kultur-technologischen Paradigmenwandels sein. Durch Anbindung an die Ideen eines «Dritten Weges», der seit den 1970er Jahren das Beste von «links» und «rechts» zu vereinen vorgab und in den 1990er Jahren etwa durch Bill Clinton und Tony Blair auf der weltpolitischen Bühne Furore machte[13], heute unter anderem von Italiens jungem Ministerpräsidenten Matteo Renzi vertreten wird, versucht die «Transhumanistische Partei» zur Sicherung von Wählerstimmen eine gewisse Kontinuität zu signalisieren. Diese Kontinuität ist aber, sofern sie überhaupt besteht, nicht politisch, sondern höchstens ideologisch. Wohin die Entwicklung genau geht, lässt sich im gegenwärtigen Moment schwer sagen, denn die sogenannten «Transhumanisten» konstituieren in Wirklichkeit eine höchst heterogene Gruppe mit unterschiedlichen politischen Idealen. Bereits die beiden Gründer von TPG, Amon Twyman und Zoltan Istvan, haben zuweilen recht unterschiedliche Vorstellungen über eine ideale künftige Gesellschaft.

Amon Twyman publiziert zahlreiche Artikel zu sozialem Wandel[14], politischen Umbrüchen[15] sowie Weltfrieden[16] und ist Begründer der Initiative «Social Futurism», die die ideologische Basis der globalen Transhumanistischen Parteien maßgeblich beeinflussen soll:

«Der «soziale» Aspekt des Sozialen Futurismus bezieht sich auf den breiten Bereich generell linksliberaler Positionen. Mit anderen Worten: Sozialismus mit einer Betonung persönlicher und gesellschaftlicher Freiheiten. Futurismus meint keine passive Zukunftsforschung, sondern vielmehr aktives Engagement für neue Technologien, um uns Menschen und unsere Welt zu verbessern. Demzufolge ist Futurismus eine breite Aktionskategorie, die spezifischere, aber kompatible Strömungen wie den Transhumanismus oder Singularismus einschließen.»[17] Singularismus ist das Streben nach menschenähnlicher oder gar dem Menschen überlegener künstlicher Intelligenz, die auch dazu dienen soll, menschliches Bewußtsein zu reproduzieren.

Nach Twyman sind die wichtigsten Eckpfeiler des Social Futurism

1. Die breitestmögliche Förderung von Wissenschaft, Technologie und freiwilliger «Optimierung» des menschlichen Körpers durch dessen technologischen Aus- und Umbau (Human Enhancement), wohinein die meisten Mittel des Staates fliessen sollen;

2. Anwendungsorientierte Gesellschafts- und Parteipolitik, die von den Kräften des globalisierten Finanzwesens getrennt ist;

3. Sicherung der Grundbedürfnisse aller Bürger unter dem (an sich linkstypischen) Motto: «Keiner bleibt zurück». Dies zum Beispiel durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das die meisten radikalen Technophilen aktiv befürworten. Es soll von Maschinen erwirtschaftet werden, die künftig statt Menschen Arbeit auf Natur und Organisation auf Arbeit anwenden und dabei «freie Überschüsse» erzielen;

4. Intelligenter (das heisst nicht auf internationale Abkommen, sondern auf die Entwicklung und Verbesserung sauberer Technologien konzentrierter) und nachhaltiger Umweltschutz;

5. Anti-autoritäre und sozial-liberale Ausrichtung des Gemeinwesens;

6. Vollständige politische Dezentralisierung und freiwilliges Militär, das ausschliesslich der Verteidigung dienen soll.[18]

Dazu kommt die Verkleinerung der Verwaltungs- und Staatsapparate durch die Nutzung neuer technologischer Möglichkeiten sowie der Verringerung der Zahl herkömmlicher «Arbeitskräfte», die – wie bereits heute von Firmen wie etwa VW angekündigt[19] – auf breiter Ebene durch intelligente Maschinen ersetzt werden sollen.[20] Davon versprechen sich die «Sozialen Futuristen» in der Transhumanistischen Politikbewegung nicht nur die schrittweise Lösung der Probleme des Arbeitsmarktes, sondern des Problems des Arbeitsmarkts an sich, der – wie viele andere Mechanismen und Einrichtungen der Moderne – künftig in ihrer Vision aufgrund der technologischen Entwicklung obsolet wird.

Im Interview mit The Telegraph sagte Zoltan Istvan, dass wir in Zeiten politischer Radikalisierung lebten und seine Partei versuchte, die Frustration vieler Wähler mit den traditionellen Links/Rechts-Parteien zu kapitalisieren:

«In Europa und den USA sinken seit Jahren die Wählerstimmen für die großen Mainstream-Parteien. Die Anderswähler werden dann von der Tea Party (USA), den antieuropäischen Ukippers (UK), der Fünf-Sterne-Bewegung (Italien) und so weiter aufgelesen.»[21] Laut Istvan sind die heutigen Anti-Establishmen-Parteien großteils irrationale Protestbewegungen, während die technophile Transhumanistische Partei ihrer Natur nach rational, progressiv und partizipatorisch wie die neuen Technologien selbst sei und sich jenseits der Kleinkämpfe zwischen Links und Rechts bewege. Transhumanismus überwinde in Form der Technologie Grenzen und stelle menschheitliche Einheit her, sei also eine Kraft gegen die Renationalisierungstendenzen der Gegenwart.

Drei Maximen

Die Ziele der US-Präsidentschaftskandidatur Istvans sind dementsprechend, in «drei Gesetze» gefasst, die er in seinem Nr. 1 Bestseller ‹The Transhumanist Wager› als Grundlagen des transhumanistischen Weltbildes formulierte:

«

1. Ein Transhumanist muss die Sorge um seine eigene Existenz über alles andere stellen.

2. Ein Transhumanist muss danach streben, Allmacht (omnipotence) so zweckdienlich wie möglich zu erlangen – und zwar so weit, wie die eigenen Aktionen nicht in Konflikt mit dem ersten Gesetz eintreten.

3. Ein Transhumanist muss Sorge tragen für universalen Wert – und zwar so weit, wie die eigenen Aktionen nicht in Konflikt mit dem ersten und zweiten Gesetz geraten.

Wenn diese nur scheinbar einfachen Maximen energisch verwirklicht werden, führen sie das Individuum dazu, ein technologisch verbessertes und verlängertes Leben anzustreben.» Istvan und andere Unterstützer des Transhumanismus sehen inzwischen die Wahl, diese Prinzipien entweder anzunehmen oder abzulehnen als etwas an, das weit fundamentaler ist als die Wahl zwischen liberalen oder konservativen Prinzipien. Mit anderen Worten, es handelt sich um einen kompakteren Einflusswert, eine einfachere Erklärung von Weltsicht, Motivationen und Handlungen, als sie irgendeine der heutigen Parteien liefert. [22]

Freilich: Als Grundlagen eines prinzipiellen Menschenbildes sind diese Maximen eines – als Ausgangspunkt für ein politisches Programm etwas anderes. Während sie philosophisch die Strömung eines «Teleologischen egozentrischen Funktionalismus»[23] grundlegen, der sich zumindest in den USA in eine lange Geschichte ähnlich «produktiv selbstbezogener» Ansätze einreiht, wie etwa den «Objektivismus» einer Ayn Rand mit seinem Ideal der «Selfishness»[24] – eine Philosophie, die führende US-Führungsfiguren wie Rands Schüler, den ehemaligen Federal Reserve Chef Alan Greenspan (1987-2006) oder die Reagan-Ära (1967-1989) massgeblich beeinflusst hat –, muten sie in der politischen Gegenwartskonstellation wie die Legitimation einer imperialen, expansiven Politik an. Allmachtsansprüche, die von den USA ausgehen, sind derzeit ausserhalb von «god’s own country» nicht besonders populär.

Technologie für den Weltfrieden – oder für den nächsten grossen «Krieg»?

Während auch Amon Twyman stets die Potentiale von Technologie zur Abmilderung von Leid, Konflikt und struktureller Gewalt durch technologiebasierter Dezentralisierung und direkt-demokratischen Elementen betont, hagelte es heftige Kritik auf Istvan, der in ‹The Transhumanist Wager›[25] den Beginn des 3. Weltkrieges zwischen Transhumanisten und Nicht-Transhumanisten beschreibt. Damit meinte er, dass der Kampf um das Menschenbild, ob humanistisch oder transhumanistisch, pro oder gegen Cyborgisierung, technikkritisch oder technophil, in den kommenden Jahren weltweit nicht eine Frage unter vielen, sondern «die» Frage werde, die erstens unvermeidlich sei und zweitens die Geister scheiden wird. Wie Istvan ausführt, «werden die Politiker die transhumanistische Agenda zweifellos bedenken müssen. Transhumanismus ist nicht gemacht, um zu verschwinden, sondern um zu bleiben. In den nächsten zehn Jahren wird jeder von uns gezwungen sein, damit umzugehen, wie wir mit Künstlicher Intelligenz verfahren wollen, jeder von uns wird gezwungen sein, mit der Verlängerung der Lebensspanne umzugehen, weil die Menschen immer länger leben werden, und jeder von uns wird gezwungen sein, mit einigen Aspekten der Biotik umzugehen, etwa Chip-Implantate und Mind-Uploading. Das sind sehr schwierige bioethische Fragen… und jede Regierung wird ihre konkreten Politiken dazu entwickeln müssen.»[26]

Mit dieser Erwartung könnte Istvan durchaus Recht haben, obwohl das Potential der Entwicklung noch längst nicht in der Breite erkannt und von vielen Humanisten verdrängt oder sogar aktiv geleugnet wird – nicht selten aus unterschwelliger Angst. Trotz seiner allzu ehrlichen Darstellung des Kommenden wurde Istvan deshalb angegriffen, weil er damit, so seine Kritiker, das heraufbeschwöre, was er beschreibe – und Unfrieden säe. Das sahen auch einige in der «Transhumanistischen Bewegung» so. Laut Istvan kamen scharfe Anmerkungen besonders aus den «eigenen» Reihen.

Jamie Bartlett meinte im Interview mit Zoltan Istvan, dass es häufig ein ganzes Leben dauere, bis sich eine radikale politische Bewegung vom Rand in den politischen Mainstream bewegt. Istvan antwortete darauf, das sei völlig in Ordnung, er habe ohnehin vor, 10.000 Jahre zu leben, da er das Ziel, den Alterungsprozess zunächst hinauszuzögern bis auf eine Lebenszeit von 250 Jahren, um schliesslich den Tod selbst zu besiegen, für durchaus realistisch halte.[27]

«Altern ist eine Krankheit, die besiegt werden kann»

Das ist konsistent mit der transhumanistischen Lehre selbst. Denn die Transhumanisten sind von einem Faktum mehr als von allem anderen überzeugt, das sich in einem ihrer wichtigsten Slogans formuliert: «Altern ist eine Krankheit, die besiegt werden kann.»[28] Diese Überzeugung vertreten mittlerweile Wissenschaftler an führenden Universitäten und Forschungseinrichtungen, so etwa Aubrey de Grey von der Universität Cambridge und William H. Andrews, Präsident der der Telomerase-Technologie gewidmeten Biotechfirma Sierra Sciences[29] in Nevada (Wahlspruch: «Curing Aging») und früherer Protagonist des Pionierunternehmens Geron, der das vermeintliche «Unsterblichkeitsenzym» Telomerase 1997 erstmals nachweisen konnte.[30] Beide spielen sich selbst im US-amerikanischen Film «The Immortalists»[31] und schicken so die Botschaft der «Unsterblichkeit» ganz persönlich ins Mainstream-Publikum.

Mediale Aufmerksamkeit in der «transhumanistischen Szene» erfährt letzthin auch der deutsche Sozialpsychologie Bertolt Meyer von der Universität Zürich.[32] Er wurde ohne linken Unterarm geboren und verfügt heute über eines der innovativsten Modelle bionischer Hände. Mithilfe intelligenter Sensoren kann seine künstliche Hand Objekte greifen und halten und kommt somit der Funktionalität einer «natürlichen» Hand recht nahe.[33] Seine Prothese führt pragmatisch die positiven Potentiale der Technologie vor Augen, vor allem für behinderte und kranke Menschen. Meyer diente außerdem als Modell für eine ihm nachgebildete Vollsimulation eines ersten vollständig «bionischen» Körpers («The Bionic Man»[34]), in der manche die Zukunft des menschlichen Körpers im Zeitalter des Transhumanismus erkennen.[35] Als Gesicht des 1 Millionen Dollar teuren Roboters wurde er zu einer Ikone transhumanistischer Parteigründungen.[36] Interessanterweise ist es aber gerade Meyer selbst, der in öffentlichen Auftritten häufig vor den ethischen Problemen transhumanistischer Entwicklungen warnt.[37] Seine bionische Hand kostet so viel wie ein Kleinwagen, und ein künstliches Herz kann man gegenwärtig für circa 100.000 Dollar erwerben.

Das lässt natürlich Fragen bezüglich des gleichen und gerechten Zugangs zu neuen Technologien aufkommen, die ähnlich im übrigen auch der Direktor des Instituts für die Zukunft der Menschheit, Nick Bostrom, bei einer Anhörung vor der BRAIN-Initiative des US-Präsidenten in Washington im Sommer 2014 zu einer der Hauptfragen für eine gesellschaftlich ausgewogene und friedliche Entwicklung der bereits in vollem Gang befindlichen biotechnologischen Revolution erklärte.[38] Aktuell handelt es sich bei biotechnologischen Prothesen noch um Nischenprodukte für Kranke und Behinderte, für die in Europa größtenteils Krankenversicherungen aufkommen. Wenn transhumanistische Technologien jedoch im Mainstream ankommen, das heisst kommerziell zur Erweiterung und Optimierung des gesunden Menschen angeboten werden, womit innerhalb des kommenden Jahrzehnts zu rechnen ist, wird auch hier die Marktlogik greifen und neue Ungleichheiten produzieren – nicht mehr nur sozio-ökonomische, sondern dann vor allem auch biotechnologische – und, wenn man Nick Bostrom glauben mag, in erster Linie über die Gehirnmodifikation auch eine der Intelligenz, die dann alle anderen Bereiche ebenfalls betreffen und die Universität als Ort der Bildung und entscheidenden Qualifikation ablösen würde.[39]

Erwartet uns eine «Brave New Transhumanist World»?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Überzeugungen breiter in die Gegenwartskultur einlagern und sich deutlicher politisch auswirken. Offen bleibt aber, wie das geschehen wird, und welche Diskussion daraus zwischen Humanismus und Transhumanismus entstehen kann. Die Zeit bis zu einem tiefgreifenden technologischen Paradigmenwandel, der sich unwillkürlich auf alle anderen Gesellschaftsbereiche auswirkt und damit in jedem Fall politisch sein wird, ob und wann sich die «Transhumanistische Partei» weltweit an den Urnen durchsetzt oder nicht, könnte in der Tat viel kürzer sein, als die meisten glauben. Die Geschwindigkeit, mit der sich Technologie entwickelt und neue transnationale Initiativen zur Verbreitung transhumanistischer Visionen gestartet werden, hat bereits heute ungeahnte – und vor allem in Europa noch zu wenig beachtete – Ausmaße angenommen. Am 14. März 2015 startete nun auch die Rekrutierung von Parteimitgliedern der entstehenden «Transhumanistische Partei Deutschland. Bildung. Innovation. Leben. Zukunft»[40] in sozialen Netzwerken. Im Aufruf heißt es: «Unsere Unterstützer sind in der Regel zur Reflexion fähige, intelligente und individualistische Menschen mit einer ausgeprägten Meinung… Die Kraft zur Veränderung kommt immer aus einer Begeisterung – in diesem Fall aus der Begeisterung von Tausenden Menschen, welche Technik und Innovation, die bestmögliche Befähigung und Förderung des Individuums im Einklang mit der Natur und ein soziales, gemeinschaftliches Miteinander in der Gesellschaft wünschen, welches jedem Menschen Freiheit, Sicherheit und Wohlbefinden, verbunden mit einem sehr langem, gesunden Leben ermöglicht.»[41]

Gewiss, Europa braucht dringend Innovationen – vor allem im Bildungsbereich –, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Freiheit, Sicherheit und Wohlbefinden sind ebenfalls positive Werte, und ein langes und gesundes Leben in Harmonie mit der Natur wünschen sich auch die meisten. Leider blendet diese sozialutopische Rhetorik aber die möglichen Gefahren radikaler Technologie aus, die sich mit dem menschlichen Körper und – in Gestalt etwa der sich rasch verbreiternden Anwendungen von Neurotechnologie – auch mit dem menschlichen Bewußtsein und seinem Alltag immer direkter verbindet.[42] Eben die entsprechende Zweischneidigkeit der Entwicklung am Schnittpunkt zwischen Mensch, Bewußtsein und «inversiver» Technologie wird zu einer der wichtigsten – wenn nicht gar zur wichtigsten politischen Frage der kommenden Jahre werden.[43] Und zwar unabhängig davon, ob traditionelle Links-Rechts-Parteien, Humanisten oder Transhumanisten die Oberhand in ihrer politischen Steuerung gewinnen werden. Sicher ist dabei auch, dass die traditionellen politischen Parteien von diesen drei Akteuren am vergleichsweise schlechtesten auf die bevorstehende Entwicklung vorbereitet sind – und dass eine «rationale Öffentlichkeit» dazu in Europa noch kaum existiert, aber dringend notwendig wird.

Fazit? Die Problematik der politischen Selbstorganisation des «Transhumanismus» und seiner Seitenzweige als «Dritter Weg» und als Alternative zu traditionellen Parteien auf die Problematiken jener «Internationalen» des 19. und 20. Jahrhunderts zu reduzieren, hiesse, das Neue der Entwicklung jenseits von links und rechts zu verkennen. Ebenso verhält es sich mit der Befürchtung, dass die Internationalisierung der Politiken des Transhumanismus eine Entnationalisierung samt Unterminierung des souveränen Staates heraufbeschwöre. In einem Augenblick, in dem Vergessen von der neuen Gehirnforschung, die bereits stark transhumanistische Einflüsse zeigt, so intensiv wie nie zuvor erforscht und als technologisch in den Griff zu kriegende «Kunst» propagiert wird, um unerwünschte Erinnerungen zu eliminieren und dadurch angeblich die mentale Gesundheit zu fördern[44]; in einem Augenblick, in dem «mentale Gesundheit» an sich zu einem Kernelement der modernen «Sorge für das Selbst» und zugleich zum zentralen gesellschaftlichen Legitimationsargument des Transhumanismus wird[45]; und in einem Augenblick, in dem eine transhumanistische Ästhetik allmählich auch in der Breitenkultur um sich greift, wie etwa bei der Pop-Künstlerin Björk[46], ist die Politik Europas gut beraten, die Politisierung des Transhumanismus weit ernster zu nehmen als bisher.

[1] G. Volpicelli: Transhumanists Are Writing Their Own Manifesto for the UK General Election. In: Motherboard, January 14, 2015, http://motherboard.vice.com/read/a-transhumanist-manifesto-for-the-uk-general-election.

[2] Transhumanistische Partei Deutschland: https://www.facebook.com/tpdeutschland.

[3] R. Benedikter: 2014: Drei Schritte zum Transhumanismus. Die radikale Technikcommunity wird zur globalen politischen Kraft – mit ungewissem Ausgang, sagt der Politologe und Soziologe Roland Benedikter. Interview mit Katja Siepmann und Annabella Macintosh. In: Telepolis. Zeitschrift für Neue Medien, Netzkultur und Politik, herausgegeben von Dr. habil. Florian Rötzer. 19. Jahrgang, Heinz Heise Verlag Hannover, 11.01.2015, http://www.heise.de/tp/artikel/43/43788/1.html.

[4] R. Benedikter und K. Fathi: Der Kampf um das menschliche Ich. Die globale Bewußtseinsindustrie entsteht: Was wird aus dem Menschen unter dem Einfluß von Neurotechnologie und Transhumanismus? In: Telepolis. Zeitschrift für Neue Medien, Netzkultur und Politik, herausgegeben von Dr. habil. Florian Rötzer. 17. Jahrgang, Nr. 38/2013, 24.02.2013, Heinz Heise Verlag Hannover 2013, http://www.heise.de/tp/artikel/38/38597/1.html.

[5] Transhumanist Party of the USA: Putting Science, Health and Technology at the Forefront of American Politics: http://www.transhumanistparty.org.

[6] J. Bartlett: Meet the Transhumanist Party: «Want to live forever? Vote for me». Jamie Bartlett meets Zoltan Istvan, the man behind a political movement in America that wants to make us all more than human. The Telegraph, December 23, 2014, http://www.telegraph.co.uk/technology/11310031/Meet-the-Transhumanist-Party-Want-to-live-forever-Vote-for-me.html.

[7] Humanity+: http://humanityplus.org/.

[8] Institute for Social Futurism: https://wavism.wordpress.com/tag/institute-for-social-futurism/.

[9] Transhumanist Party Global: http://transhumanistpartyglobal.org/.

[10] M.A. Twyman: What is Social Futurism? In: http://transhumanistpartyglobal.org/initiatives/isf/what-is-social-futurism/dr-m-amon-twyman/.

[11] What is TPG? In: http://transhumanistpartyglobal.org.

[12] Transhumanist Parties in Europe (TP-EU): http://transhumanistpartyglobal.org/europe/.

[13] R. Benedikter: Third Way Movements. In: M. Juergensmeyer and H. K. Anheimer (ed.s): The SAGE Encyclopaedia Of Global Studies. 4 Volumes, SAGE Publishers London and Thousand Oaks 2012, Volume 4, pp. 1647-1650.

[14] M.A. Twyman: Social Futurist Revolution and the Zero State. Institute for Ethics and Emerging Technologies 2014, http://ieet.org/index.php/IEET/more/twyman20140416.

[15] M.A. Twyman: Liberal Democracy, The Third Way, & Social Futurism (pt. 1 of 3). Institute for Ethics and Emerging Technologies 2014, http://ieet.org/index.php/IEET/more/twyman20140707.

[16] M.A. Twyman: World Peace Through Technology. Institute for Ethics and Emerging Technologies 2014, http://ieet.org/index.php/IEET/print/9734.

[17] M.A. Twyman: What is Social Futurism?, http://transhumanistpartyglobal.org/initiatives/isf/what-is-social-futurism/.

[18] M.A. Twyman: SF elevator pitch: Social Futurism in six points. Blog on Social Futurism – about positive societal change trough technology, https://wavism.wordpress.com/2014/12/28/sf-elevator-pitch-social-futurism-in-six-points/.

[19] Leber, J.: At Volkswagen, Robots are coming out of their cages. In: Fastcoexist Magazine, September 9, 2013, http://www.fastcoexist.com/3016848/at-volkswagen-robots-are-coming-out-of-their-cages. Cf. Financial Times: Volkswagen to replace Germany’s retiring baby boomers with robots. In: Financial Times, October 6, 2014, http://www.ft.com/cms/s/0/4337b9a0-4d6b-11e4-bf60-00144feab7de.html#axzz3Qt2NbxPG.

[20] R. Foroohar: Hard Math in the New Economy. In: Time, March 5, 2015, http://time.com/3733113/hard-math-in-the-new-economy/

[21] J. Bartlett: Meet the Transhumanist Party, loc cit.

[22] J. Hewitt: An Interview with Zoltan Istvan, leader of the Transhumanist Party and 2016 presidential contender. In: Extremtech, October 31, 2014, http://www.extremetech.com/extreme/192385-an-interview-with-zoltan-istvan-leader-of-the-transhumanist-party-and-2016-presidential-contender.

[23] Teleological Egocentric functionalism (TEF): http://www.transhumanistwager.com/ThePhilosophy.html.

[24] A. Rand: The Virtue of Selfishness: A New Concept of Egoism, New York 1964, https://www.aynrand.org/novels/virtue-of-selfishness und http://aynrandlexicon.com/lexicon/selfishness.html.

[25] Z. Istvan: The Transhumanist Wager, Futurity Imagine Media 2013, http://www.transhumanistwager.com/ sowie http://www.amazon.de/The-Transhumanist-Wager-Zoltan-Istvan/dp/0988616114.

[26] D. Wood: Q&A with Zoltan Istvan, Transhumanist Party candidate for the US president, 11.01.2015, https://www.youtube.com/watch?v=Xk4olY4qIjg.

[27] Ibid.

[28] A. de Grey: A roadmap to end aging. In: TED, July 2005, http://www.ted.com/talks/aubrey_de_grey_says_we_can_avoid_aging. Vgl. K. Kelland: Who wants to live forever? Scientist sees aging cured. In: Reuters, July 4, 2011, http://www.reuters.com/article/2011/07/04/us-ageing-cure-idUSTRE7632ID20110704.

[29] Sierra Sciences: http://www.sierrasci.com/.

[30] Bill Andrews on Telomere Basics: Curing Aging (Second Edition), Sierra Sciences 2014.

[31] Youtube: The Immortalists. Official Trailer (2014), https://www.youtube.com/watch?v=BDlVY8iLCek.

[32] B. Meyer: Social Psychologist Bertold Meyer on the future of prosthetics and bionics, 03.10.2013, https://www.youtube.com/watch?v=AuRgF9Wh_8w.

[33] Youtube: Bertolt Meyer shows us his bionic arm, 14.02.2013, https://www.youtube.com/watch?v=rktMclRORBg.

[34] T. Lewis: 1st Fully Bionic Man Walks, Talks and Breathes. In: Live Science, 18.10.2013,

http://www.livescience.com/40535-show-unveils-worlds-first-bionic-man.html.

[35] A. Kaplan: The world’s first fully functional bionic man, 12.10.2013, https://www.youtube.com/watch?v=iHhKhZQ-APc.

[36] Vgl. J. Bartlett: Meet the Transhumanist Party, loc cit.; sowie Touch Bionics: Bertolt Meyer, http://www.touchbionics.com/patients-families/patient-stories/bertolt-meyer.

[37] B. Meyer: Social psychologist Bertolt Meyer on the future of prosthetics and bionics, loc cit.

[38] Institute for Ethics & Emerging Technologies: Nick Bostrom Testifies on Cognitive Enhancement for Obama BRAIN Initiative, August 22, 2014, http://ieet.org/index.php/IEET/more/bostrom20140822.

[39] Ibid.

[40] Transhumanistische Partei Deutschland: https://www.facebook.com/tpdeutschland.

[41] Ibid.

[42] R. Benedikter: Neue Medien? Die globalisierten Kommunikationstechnologien werden zu Körpertechnologien – und ihre Zukunft birgt viele Fragen. In: Telepolis. Zeitschrift für Neue Medien, Netzkultur und Politik, herausgegeben von Dr. habil. Florian Rötzer. 15. Jahrgang, Nr. 52/2011, 27.11.2011, http://www.heise.de/tp/artikel/35/35925/1.html, S. 1-11.

[43] Siehe dazu ausführlich R. Benedikter and J. Giordano: Neuroscience and Neuroethics: Impacting Human Futures, Springer New York 2015.

[44] J. Webb: Remembering «wipes similar memories». Using brain scans, neuroscientists describe how recalling a particular memory can cause us to forget a related one. In: BBC Science and Environment, 17 March 2015, http://www.bbc.co.uk/news/science-environment-31909935.

[45] M. Oaklander: Changing Your Mind. A new initiative wants to make mental health a priority. In: Time, March 16, 2015, p. 14.

[46] http://bjork.com/.

Roland Benedikter, Dr. Dr. Dr., ist Research Scholar für Politische Analyse am Orfalea Zentrum für Globale und Internationale Studien der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, Trustee der Toynbee Prize Foundation Boston und Vollmitglied des Club of Rome. 2009-13 war er Research Affiliate am Europa-Zentrum des Freeman Spogli Institute for International Studies der Stanford Universität. Er ist Autor von zahlreichen Büchern zu globalen strategischen Fragen, darunter des 2015 erscheinenden Buches ‹Neuroscience and Neuroethics: Impacting Human Futures› (Springer Verlag New York, gemeinsam mit James Giordano, Georgetown Universität), Co-Autor von zwei Pentagon und U.S. Generalstab ‹White Papers› zur Zukunft von Neurotechnologie und Ethik (2013 und 2014) sowie von Ernst Ulrich von Weizsäckers ‹Bericht an den Club of Rome› 2003. Er schreibt unter anderem für Foreign Affairs, Harvard International Review (in deren Advisory Board er ist), European Foreign Affairs Review und Challenge: The Magazine of Economic Affairs. E-mail: rolandbenedikter@yahoo.de.
Katja Siepmann, MA, ist Lehrbeauftragte zum Thema Transhumanismus und neue Technologien an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Forscherin am Marktforschungsinstitut Opina in Santiago de Chile und Senior Scholar des Council on Hemispheric Affairs (COHA) in Washington DC. Sie hat für Fachzeitschriften wie Foreign Affairs, Harvard International Review und Challenge geschrieben. E-mail: katja.siepmann@googlemail.com.

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