Der Clown Ueli Bichsel verlässt nach Jahrzehnten seit Atelier in der Roten Fabrik. Als Abschiedszeremonie wird im März eine Werkschau gefeiert: Das Ueli Bichsel Superstar Festival. Mit alten Hits des Duos «Lufthunde» und neuen Selbstreflektionen über alternde Künstler und die eigene Zeugung. Immer dabei ist der Tanz auf dem Seil zwischen Lachen und Traurigkeit. Warum die Clownsnase nur selten zu sehen sein wird und inwiefern Trump eigentlich ein Schmetterling ist, erzählt Ueli Bichsel im Interview.

Vielleicht schwimmt der Mensch gerne in Becken, wo sich Haifische tummeln

Sophie Steinbeck: In der Roten Fabrik wird diesen Monat zu deinem Abschied mit diversen Produktionen die «Ueli Bichsel Superstar Show» gefeiert. Fühlst du dich als Superstar?

Ueli Bichsel: Das ist ironisch gemeint, mich kennt ja niemand. Ein unbekannter Superstar ist wohl eher keiner, oder? Eine andere Idee war «Ueli Bichsel, ein zäher Hund».

Du hast über 35 Jahre in der Roten Fabrik logiert. Wohin zieht es dich als Nächstes? Was war das Besondere an dieser Zeit? Was hat sich geändert seit deinen Anfängen dort?

«Mein» Atelier wurde die ersten 17 Jahre von der Theatergruppe «Zwischen den Zeilen Theater» und dann von den «Lufthunden» genutzt. Die Situation hat sich seither stark verändert, was ja auch logisch ist. Die Zeiten waren damals weit politischer und unabhängiger. Wir haben ja für diesen Ort kämpfen müssen, da wurde uns nix geschenkt. Und so war natürlich auch der Zusammenhalt ein gänzlich anderer. Das kann man mit heute gar nicht vergleichen. Jetzt ist dieser Kulturort etabliert und weiter spannend, aber eben anders. Früher wurde viel stärker, durch sämtliche Bereiche hindurch, zusammen gearbeitet. Dies kostete natürlich auch viel Energie, wozu unter Umständen heute die Motivation fehlt, auch irgendwie logisch. Der Leistungsdruck ist ein völlig Anderer.

Wo stehen Clowns ausserhalb der fahrenden Zirkuswelt? Und wo trittst du am Liebsten auf?

Ach, es gibt nicht DEN Clown, das ist Blödsinn. Das ist wie DER Schauspieler, DER Komiker. Ein Clown ist eine Figur, welche sich durch den Anspruch an sich und seine politische Mitteilung definiert. Es gibt ja bekanntlich saumässig schlechte Clowns, wie auch in allen anderen Darstellungskünsten. Persönlich finde ich diese Figur mit der  kleinsten Maske der Welt eine sehr spannende. So war ja auch schon der Narr in den Königshäusern ein gefragter Anarchist, welcher ohne eine gehörige Portion Intelligenz dem Galgen recht nah stand.

Du performst auch in klassischem Clownskostüm mit Karohemd und roter Nase. Wie wichtig ist die Kleidung für eine Aufführung? Fühlt es sich anders an, in Alltagskleidung aufzutreten? Oder: braucht die Rolle als Clown die klassische Verkleidung?

Ne. Wenn du das Prinzip des Scheiterns verstanden hast und dich diesem ausliefern kannst, brauchst du die Nase nicht. Ich find sie nett, brauche sie aber selten.

Lügen ist halt auch eine grosse Kunst

Am Festival führst sowohl alte als auch neue Stücke auf, wie z.B. die 1981 gegründeten Lufthunde. Was wird das Highlight der Ueli Bichsel Superstar Show? Und wie fühlt es sich an, Performances nach jahre-, sogar jahrzentelanger Pause wiederaufzunehmen?

Ich mache keine Highlight Touren. Es sind alles Kreationen, welche hoffentlich immer noch zugänglich sind. Mir bedeuten sie viel, sind aber total verschieden. Eventuell auch irritierend. Wie halt das Leben so mit einem spielt.

Du bist schon seit Jahrzehnten Clown. Erinnerst du dich noch an deine erste Show? Würdest du sie noch aufführen?

Ich erinnere mich sehr gut. War auch in der Roten Fabrik. Eine Aufführung ist nicht mehr möglich. Ich habe viel davon vergessen, war zu nervös damals.

Wie erarbeitest du dir neue Stücke?

Mit Freundinnen, Freunden, eine Vision und unter sehr guten Umständen finanzielle Hilfe.

In «Nichtsnutz» spielst du zusammen mit Silvana Gargiulo mit der Frage, was Freisein und ein besseres Leben haben bedeutet. Was bedeutet Freiheit für dich? Soll man aus einem Gefängnis ausbrechen, auch wenn man darin ein besseres Leben als draussen hat?

Mich fasziniert die Tatsache, dass es inhaftierte Menschen gibt, welche nach ihrer Freilassung wieder diese «Geborgenheit» der Haft suchen, indem sie wiederholt straffällig werden. Auch tauchten in der Stückenwicklung Fragen auf, inwiefern sich Klostermauern ähnlich verhalten im Bezug auf Sicherheit und Ruhe. Vielleicht schwimmt der Mensch gerne in Becken, wo sich Haifische tummeln?

Was ist das Schöne am alleine arbeiten und an der Arbeit zu mehreren?

Theaterarbeit ist für mich persönlich wunderbar und ebenso wunderbar anstrengend. Gerne nicht alleine, aber manchmal ist auch das wichtig, der Fokus ist ein ganz anderer.

Leben wir in einer traurigen Zeit?

Sicher, das war schon immer so. Ich hab nichts gegen Traurigkeit.

In «Log.» erzählst du deine eigene Geschichte, angefangen bei deiner Zeugung. Wie war es, sich in dieser Weise mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen? Was für Reaktionen erwartest du dir darauf aus deinem Umfeld? Ab wann darf man seine Lebensgeschichte in Szene setzen?

Meine Mutter war an der Premiere. Sie fand, dass sie gut wegkomme. Vermutlich hat sie nicht richtig zugehört, gefreut hat es mich trotzdem. Schon lustig. Reaktionen erwarte ich nie, ansonsten würde ich gar keine Stücke mehr machen. Ich passe mich keinem Markt an, und gleichzeitig darf ich nicht stehen bleiben. Das erwartet der Beruf von mir.

Leben wir in einer traurigen Zeit?

Was hältst du von Fake News? Wie gehst du als Clown mit der Realität um?

Lügen ist halt auch eine grosse Kunst und erfordert ein hohes Mass an Sensibilität. Das haben nicht alle. Wenn Volksvertreter das Volk vertreten, können Zitronenfalter auch Zitronen falten.

Beim Brand 2012 in der Roten Fabrik wurden einige Ateliers zerstört. Warst du davon betroffen? Wenn ja, hat sich das auf deine künstlerische Arbeit ausgewirkt?

Ich musste in der Folge mein Atelier ins Parterre verlegen, da mir 6 Meter an vorgeschriebenem Fluchtweg fehlten. Dies wurde später wieder aufgehoben. Wenn du die Feuerpolizei im Haus hast, suchst du am besten schnell eine neue Bleibe. Wenn es nach denen gehen würde, müsste man die ganze Altstadt von Zürich niederreissen. Auf eine künstlerische Arbeit kann sich sowas nicht auswirken. Solche Prozesse sind viel zu anstrengend, auch dadurch weil sie nicht verstanden werden können.

In der neusten Produktion «Selber Schuld» spielst du einen Aussteiger, der gegen eine Neuangekommene im Business kämpft. Ist das wirklich das Letzte, was man von dir sehen wird? Wenn ja – wie freiwillig trittst du ab?

Das Letzte? Wieso denn? Ich bin seit 37 Jahren freiwillig in diesem Beruf, ich werde unfreiwillig aufhören, aber nicht den Tod auf den Bühnenbrettern suchen, ne ne, das dann schon nicht, zu beweisen gibt’s ja nix… Die Freude wird entscheiden. :O)

Wenn Volksvertreter das Volk vertreten, können Zitronenfalter auch Zitronen falten.

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».

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