Die Generation Y, auch Digital Natives oder Millennials genannt, ist die erste, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Seit einigen Jahren haben sie, die Jahrgänge 1985 bis 1995, ihre Kinderschuhe abgestreift und befinden sich nun in ihrem jungen Erwachsenendasein. Themen wie Sex, Verhütung und Pornografie sind entsprechend präsent, werden umfangreich diskutiert – und so uneingeschränkt wie gelassen konsumiert. Denn während ältere Generationen heimlich den Playboy aus Mülltonnen (oder Papas Sockenschublade) holten oder mit der Bravo unter der Bettdecke auf erste Erkundungstouren gingen, bedienen sich die Digital Natives natürlich des Internets und sind so schnell am Ziel wie keine Generation vor ihnen. Ich bin einer von ihnen. Ein Einblick in unsere Welt.

Spätestens seit Youporn und ähnlichen Seiten müssen wir nicht mehr lange suchen: Kurz bestätigen, dass man über 18 Jahre alt ist – und schon ist man drin in der Welt des schnellen Sex, der sicher kommenden Darsteller, der stets rasierten Körper. Die Auswahl ist so immens wie undurchsichtig, da findet sich schnell mal ein Gangbang- oder Ekelporno zwischen den «klassischen» Paarsex-Darstellungen; selten ist etwas sortiert oder markiert, das «Cover» bzw. der Screenshot umso mehr «auf den Punkt gebracht». Nun gut, man kann nicht alles haben – bzw. eben doch, absolut alles. Aber durchdrehen wird von uns deshalb niemand. Und genau damit stiften wir noch mehr Verwirrung in der Altersklasse unserer Eltern.
Als Generation Y gelten wir bereits seit einigen Jahren als Phänomen – natürlich nicht nur wegen unseres Pornokonsums. Mal wurde gespottet, wir seien altkluge und feedbackheischende «Wunderkinder», mal unterstellt, wir wären spiessig, sicherheitsbedürftig und nicht kritikfähig. Dabei ist unsere Vorstellung vom Leben die Konsequenz unserer digitalen, sozialen und historischen Umstände. Entsprechend befremdlich haben wir zunächst gewirkt, weil alle Generationen vor uns noch mit dem Internet haderten, während wir schon fröhlich posteten, twitterten, chatteten – und Internetpornos konsumierten. Dies taten wir weder als Akt der Rebellion noch aus Gründen der Gleichschaltung. Es war einfach die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Unbeschränkt, unkompliziert, unerforscht.

Warum wir die neuen Medien so intensiv nutzen und lieben? Sie ermöglichen eine enorme Zugänglichkeit zu Information, Inhalten und Wissen. Und diese ist schier unbegrenzt – innerhalb kürzester Zeit und an beinahe jedem Ort können wir auf alle weltweit verfügbaren Daten und Informationen zugreifen – mit einem Klick. Wir suchen nicht, wir finden. Und wir sind auch nicht nur schnell, sondern vielmehr überall und gleichzeitig. Das Entscheidende hierbei ist: Dieser zeit- und raumlose Zugang zu allem – und mit allem meine ich alles: von Wikipedia und Katzenvideos über Pornos und Pädophilie, über Horror und Terror zu Mobbing und Überwachung – führte zur Perfektionierung unserer Selektionierungsfähigkeit. Durch die Unmenge an Informationen mussten wir lernen, schnell zu wählen und zu entscheiden, was Sinn macht, was uns weiterbringt – oder einfach Spaß macht. Vielleicht mussten wir dadurch die Leichtigkeit der Jugend schneller verlassen: Unsere Reifeprüfung scheint das Erwachsenwerden in der digitalisierten Welt zu sein – und zwar ohne Anleitung. Denn während es bei der digitalen Informationsflut und der dafür notwendigen Auswahlfähigkeit bisher wenig bis keine Erfahrungswerte gibt, kommt beim Thema Porno noch Unsicherheit und Prüderie hinzu. Uns blieb also nichts anderes übrig als «learning by doing».

In der Tat ist der Zugang zu Pornos so einfach wie nie zuvor. Wir wissen, was im Internet passiert; wir kennen die berühmten – und auch die berüchtigten – Seiten und tummeln uns dort, wenn es gerade passt. Laut diverser Studien haben 60 bis 80 Prozent aller Zehnjährigen schon einen Porno im Internet gesehen. Diese Zahlen mögen ältere Generationen schockieren, doch der große Schaden ist ausgeblieben: Wir sind als Generation weder abgeschreckt noch asexuell, geschweige denn traumatisiert oder missioniert. Ja, wir können Pornos mit wenigen Klicks erreichen. Und ja, wir machen diese Klicks. Doch genauso, wie all die Generationen vor uns durch Masturbation nicht impotent geworden sind, können wir unser Leben trotz Internetpornografie einfach weiterführen.

Natürlich spielen Pornos in unserem Leben eine Rolle. Vor allem männliche Digital Natives scheinen das Angebot im Internet rege zu nutzen, alleine, mit Kumpeln und gerne auch mit der Partnerin. Bei uns gibt’s kein verschämtes Durchs-Schlüsselloch-Schauen, kein Getuschel auf dem Schulhof. Ganz im Gegenteil ist das Konsumieren von Pornos für Jungs ein Statussymbol, das man nicht verheimlichen muss, sondern zelebrieren kann. Bei den Mädchen sieht das ein wenig anders aus: Sie konsumieren Pornos durchaus auch, geben damit aber nicht an.
Einige mögen diese Geschlechterverteilung als klassisch diffamieren, doch darüber können wir nur schmunzeln. Wir sind zwar die erste in der digitalisierten Welt aufgewachsene Generation, aber das bedeutet nicht, dass wir in ein soziokulturelles Vakuum gefallen sind und von unserer Umwelt und den Vorgängergenerationen absolut unbeeinflusst bleiben. Im Gegenteil: Dass die Darstellungen von Frauen in Pornos nicht sehr realitätsnah sind, ist uns wahrscheinlich klarer als vielen anderen. Im richtigen Leben und unter unserer Bettdecke wissen wir nämlich sehr genau, was Gleichberechtigung bedeutet. Mädchen und Frauen erwarten und fordern hierbei ihre vollwertige Mitsprache als selbstverständlich ein – und erhalten sie ebenso selbstverständlich. Beide Partner bestimmen gemeinsam, wo es lang geht, wie es läuft, wann was passiert.
Und wir setzen noch einen drauf: Nicht nur haben die Frauen unserer Generation die Verhütung wesentlich besser im Griff als alle vor ihnen – auch das andere Geschlecht steht hier seinen Mann. Verhütung ist zumindest in meinem Umfeld zu einer gemeinsamen Aufgabe mit fairer Teilung geworden, die von uns Jungs und Männern gerne angenommen wird; schließlich sind wir realistisch und pragmatisch genug, um die Konsequenzen abzusehen. Kopflose Sexorgien? Bleiben im Netz.

Zudem gehören für uns Sex und Beziehung relativ eng zusammen. Unsere Beziehungen halten nicht ewig, sie sind aber meistens monogam – und werden durch Sex nach spätestens zwei, drei Monaten geprüft und bestätigt. Die sprichwörtliche Katze im Sack ist bei uns auf sexueller wie auch auf menschlicher Ebene nicht angesagt. Außerdem wird der Sex mit einem festen Partner mit der Zeit ja auch immer besser.
Hierbei spielt die Internetpornografie insofern eine Rolle, als dass wir früher mehr ausprobieren, früher mehr kennen – und zum Beispiel Analverkehr in unserer Generation wesentlich bekannter und weniger verpönt ist als bei älteren Generationen. Pornos sind auch für die Phasen zwischen den Beziehungen ein netter Freizeitausgleich. Denn auch wenn das Singledasein völlig normal ist, ist es nicht unbedingt erstrebenswert: Es bleibt die Zeit nach einer und vor einer Beziehung, in der wir nicht unbedingt auf flotte One-Night-Stands aus sind. Da kann ein guter Porno durchaus den einen oder anderen Abend versüßen.

Dass Internetpornografie uns komplett verwirrt, sexualisiert oder gar beziehungsunfähig macht, belegen meine Studien nicht. Ganz im Gegenteil, wir trennen meist ziemlich gut zwischen der Youporn-Welt und der Realität – und nehmen von ersterer das in den Alltag mit, was uns gerade passt.
Intimrasuren oder Sexualpartner, die immer können und wollen, mögen durch Pornos als normal und unbedingt erstrebenswert wahrgenommen werden. Das scheint mir jedoch nicht irrwitziger oder gefährlicher zu sein, als «Scripted Reality» nicht als solche zu erkennen. Komplikationen an den Grenzen zwischen Realität und Fiktion gab es schon früher, man denke zum Beispiel an so manche Patienten in den 80er Jahren, die versuchten den TV-Doktor Brinkmann von der Serie «Die Schwarzwaldklinik» als ihren tatsächlichen Arzt zu gewinnen. Solche Verwirrungen gehören scheinbar dazu. Nichtsdestotrotz ist uns der Unterschied zwischen unseren Schlafzimmern und den Porno-Studios durchaus bekannt und bewusst.

Wir sind also ganz entspannt, während die Gesellschaft panisch umherrennt und uns mal wieder vor uns selbst und der digitalen Welt schützen will. Was uns dazu einfällt? Dass jede Generation ihre Form von Bravo oder Playboy hat, und dass offener Umgang mit Sex und Sexualität nicht gravierender sein kann als Verbote und Dämonisierungen. Dass Pornos schon wesentlich länger produziert und konsumiert werden, als wir leben oder an Sex denken können. Und dass Chat-Foren wie beispielsweise Chat-Roulette geschlossen wurden, weil «alte Säcke» dort ihre Penisse präsentierten, bevor jemand zu Wort kommen konnte.
Natürlich müssen wir uns mit einigen unserer Konzepte und Tendenzen auch kritisch auseinandersetzen: Der Zugang zu schnellem Sex via Tinder & Co. lässt selbst Großstädter staunen, so zahlreich sind die Angebote in Ballungsgebieten. Ebenso hat das manchmal arg voreilige Verschicken «nicht jugendfreier Selfies» schon so manchen der Generation Y zu einem Erpressungs- oder Mobbingopfer gemacht und in eine tiefe Krise gestürzt. Dies sind ebenfalls Konsequenzen der unbegrenzten Zugänglichkeit, der schnellen digitalen Verfügbarkeit – und unserem ungelernten Umgang mit diesen Phänomenen. Unser «learning by doing» verläuft in der Tat nicht geradlinig, sondern beinhaltet diverse Kurven in allen Formen.
Die meisten der Generation Y haben jedoch einfach nur Spaß an Internetpornografie – ohne süchtig zu werden, «kleine Fehler» mit unaufhaltsamen Kettenreaktionen zu begehen oder den Bezug zur Realität zu verlieren. Wir lernen dazu, übernehmen, was uns gefällt, und lehnen ab, was nicht in unser Weltbild passt oder uns schlicht nicht stimuliert. Der Konsum pendelt sich nach dem ersten Hype meist auf ein gesundes Maß ein und lässt mit steigenden eigenen Erfahrungen ohnehin weiter nach. Unsere echte Sexualität soll nicht durch die digitale ersetzt werden. Denn Sex spielt für uns eine Rolle, und zwar nicht nur auf dem Bildschirm, sondern vor allem in Zusammenhang mit Liebe und Beziehung. Warum wir jedoch dabei nicht auch ab und zu einen guten Porno gucken können, kann niemand wirklich sagen. Wir auch nicht, also machen wir es einfach.

Philipp Riederle ist seines Zeichens Entrepreneur, Keynote-Speaker und Digital Native. Mit 13 Jahren gründete er den Internetblog «Ich und mein Iphone», nun spricht er auf Fachkongressen, Medienkonferenzen und Unternehmensveranstaltungen zu seinen Herzensthemen Social Media, Generation Y und «Zukunft der Arbeit». 2013 erschien sein Buch ‹Wer wir sind und was wir wollen›.

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