New York New York
deine einzig wahre Geliebte
irische Ministranten in Soho
treffen 22 Cousinen im Village
und unglückliche Dozenten
die Jungfrauen aus Little Rock lüsterne Blicke zuwerfen in New York wollen immer alle aufs Land
und das Land ist überall
schon 5 Kilometer hinter Manhattan
eben einfach nicht die Stadt
dein dicker Onkel greift beim Tango Üben zu
und Serge reicht dir einen strammen Martini
er (Serge) riecht nach Russisch Leder
und Pepperidge Farm Cockies
das Russel Wright Geschirr klirrt
als es sweet William seiner Schwester besorgt
ein blasser Mond über der Ausflugsgesellschaft
die sich schon bald zu Tode langweilt
und wieder weg will vom Land

New York New York
crispy Himmel überm Washington Square
im klaren Licht kommen Träume angeritten greifbar
real
als seist du endlich an einem Ziel
das du gar nicht angesteuert hattest
du verfehlst sie, knapp, klar
sie galoppieren vorbei
ein Stück Hoffnung mit sich reissend
weil du unentschlossen warst
gezögert hast
doch:
… IF YOU CAN MAKE IT THERE,
YOU WILL MAKE IT ANYWHERE …
das Leben ist eine Off-Off-Broadway-Show und du nur die Zweitbesetzung
leise und launisch kommt die Nacht
durch deinen Kopf schiesst die Farbe Blau Träume gehüllt in Seidenroben
ein Zimmer
dessen Wände dich mit gelben Zähnen angrinsen die Heizung rattert den Sound dazu unstet
ein bisschen neben dem Takt unerbittlich
während der eisige Wind durch die Ritzen zieht und an deinen freigelegten Hüften
eine unvollzogene Erinnerung hinterlässt deine Hand auf einem Hintern

auf den glänzenden Strassen tanzen stumme Heere der Sturm kommt die enge Wendeltreppe rauf fiebrig hockst du wie auf Kohlen
gleitest auf Nebeln dahin
als paddele weisses Puder durch dein Blut 25-Cent-Sandwiches im MoMa
dicke Bohnen und Haferflocken zum Frühstück

vor erkalteten Kaminen
hinter eingeworfenen Fensterscheiben

little, big und dirty John
alle arbeiteten sich an dir ab
auf schmierigen Küchenböden
in durchgelegenen Betten
auf der Chaiselongue
und auf schweren Teppichen
in Lofts schwerreicher Gönner
Jack Kerouac himself taucht in dich ein während der alte Plattenspieler
eine Stan-Getz-Scheibe nudelt
und Leslie Allen Ginsberg einen bläst überall Zuhälter
und Stricher
und Drogenhändler
und Hausfrauen
tschechische Gesangslehrer
Russen, die bei Jung studieren Bratschenspieler vom Balkan
und lettische Übersetzer
Models Gangster Callgirls Spieler Hafenarbeiter Klempner Drucker Puffmütter Komponisten Werbemenschen Frisöre aus Ohio
Schwarze Mädels in grellen Perücken chartreusegrün und lavendelblau
in der Lower East Side
Klienten für alle Fälle
und alle warten auf die grosse Rolle
im Theater des Lebens
und Raphael Soyer malt dich nackt
und Marlon Brando ist genervt
während Peggy Lee von Fieber singt
und Ezra Pound erklärt dir die Selbstvermarktung Nervenzusammenbrüche und Verfolgungswahn Winterdepression und Sommerfrische Organe und Orgasmen

du liest Lunch Poems
im abgewetzten Ledersessel
für die Stadt würdest du
deine Lieblingskakerlake killen
und den Zen-Buddhismus
und die Alchemie aufgeben
du bist die Wölfin
die Unbezähmbare
in einer Stadt voller Hyänen
es gibt nichts mehr zu leugnen
diese Stadt
ein Lebensgefühl formvollendet
und schön wie einsames Frühlingserwachen immer und immer wieder
New York ist auf deiner Seite

Susann Klossek, Autorin, Journalistin, Bloggerin und Künstlerin. Stammt aus Leipzig, lebt seit 1990 in der Schweiz, heute in Thalwil. Gilt als weiblicher Bukowski der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Zuletzt erschienen ihr Indien-Rezital «Varanasi – Endstation Ganges» (Gonzo Verlag, 2020) und ihre politisch fantastisch inkorrekten Verse im «Tut-Tut-Magazin» #13 (Köln 2020).