Es ist still, kühl, die Luft riecht nach nichts. Der Betonboden ist grau lackiert, das Wellblech der Wände weiss. Ich befinde mich im Selfstorage-Lager der Firma Pickens in Berlin-Lichtenberg. Pickens-Mitarbeiter Matthias Awege schliesst eine der grünen Türen auf. Mit den Farben Grün und Gelb setzt sich Pickens vom Blau-Weiss-Rot des Berliner Marktführers Myplace ab. Ich trete in den kleinen, dunklen Raum. Licht kommt vom Flur, eigene Beleuchtung haben nur die grösseren Räume. Das Blech der Wände schimmert silbrig, der Boden ist glatt und sauber. Der Raum ist 3,45 Quadratmeter gross und 3 Meter hoch.
Er wird für 90,46 Euro pro Monat vermietet. Hier kann man die Skiausrüstung unterstellen, die im Schlafzimmer nervt oder für die der Berliner Altbaukeller zu feucht ist, hier kann man seinen Hausstand während eines Auslandjahrs zwischenlagern. Zurzeit zwingt die Wohnungsnot in Berlin viele Menschen dazu, ihre Habseligkeiten einzulagern. Millionäre gehören wie Obdachlose zu den Kunden von Pickens, erklärt Awege. Die Räume sind zwischen 6 und 22 Uhr zu betreten, sie werden beheizt, sie sind von Kameras überwacht und als besonderes Feature des Anbieter Pickens hat jede Box eine eigene Alarmanlage. Pflanzen, Tiere, verderbliche Lebensmittel, giftige und explosive Stoffe dürfen nicht eingelagert werden. Es gibt keinen Strom: «Man soll hier nicht arbeiten, heimwerken oder Geräte ausprobieren. Das ist nicht Sinn und Zweck eines Lagers.» Ebenso wenig ist es erlaubt, in der Box zu übernachten.

Beim Konkurrenten Myplace ist die Decke ein wenig niedriger, und die Miete wird wochenweise abgerechnet. Die einzelnen Anbieter setzen sich durch geringe Unterschiede voneinander ab. Im Grossen und Ganzen ist das Angebot identisch. Die kleinen Anbieter, die nur eine Anlage betreiben, versuchen die Preise zu unterbieten, indem sie auf Neubauten in zentralen Lagen verzichten und Verschläge in alte Plattenbauten oder Lagerhallen einrichten.

Die Ladefläche des Pickens-Hauses ist durch ein grosses Metall-Tor geschützt. Der Vertreter eines Kaffeemaschinen-Herstellers lädt Geräte aus. Dreimal muss man seinen Code eingeben, bis man vor seinem Lager steht. Dieses ist dann nochmal durch ein Vorhängeschloss gesichert. Um 22 Uhr begeht der Wachdienst das Gebäude und schliesst es noch einmal ab.

«Unser Schmuckstückchen ist das Weinlager», lächelt Awege. Hinter einer codegeschützten Glastür befindet sich ein Gang mit Kammern auf der einen Seite und verschieden grossen Schränken auf der anderen Seite. Hier kann man zwischen 72 und 1680 Flaschen lagern. Die Luft ist konstant auf 13 Grad temperiert, die Luftfeuchtigkeit beträgt 73%. Ein angenehmer Korkgeruch liegt in der kühlen, feuchten Luft. Ein Tisch mit Weingläsern lädt zur Verkostung ein. Ein junger Mann lädt gerade Kisten in seine Kammer. Dort lagern auf der einen Seite Weinkisten in einem Regal, in der anderen liegen einzelne Flaschen in Styroporwaben. Vor den Kisten stehen weitere Flaschen. Viel mehr Wein passt da nicht rein. Der Mann ist nicht etwa Sommelier, der Wein sei sein Hobby, erklärt er und lächelt zufrieden.

Die 3. bis 5. Etage des Hauses ist den grossen Räumen vorbehalten. Durch die Doppeltüren passen ganze Europaletten. Eine Firma hat hier Kühlschränke gelagert, eine andere Bestuhlungen, eine weitere Zigarren & Zigaretten. Dann ist der Rundgang vorbei. Wir stehen im Büro vor dem Umzugsmaterial, das Pickens auch verkauft. Die Auslastung in dieser Filiale liegt zurzeit bei 75%. «Sie glauben nicht, wie offen die Leute manchmal sind», sagt Awege. «Wir fragen: Warum brauchen Sie das Lager? Wir wollen auch wissen, mit wem wir es zu tun haben. Die Leute geben offen zu: ich habe mich gerade vom Partner getrennt. Oder der Partner ist jetzt noch auf Arbeit, ich ziehe aus, und der soll das nicht sehen. Solche krasse Geschichten haben wir auch.»

Heulende Frauen, heulende Männer

Ich besuche auch den zweiten, zentraleren Berliner Standort von Pickens in Tempelhof. Der silber-grüne Kasten mit der Aluminiumverkleidung ist direkt an der Stadtautobahn gelegen. Wegen der günstigen Verkehrslage hat diese Filiale viele Aussendienstler als Kunden. Sie lagern hier ihre Muster, erklärt Dirk Krammer. Mit einer Kollegin ist er für diese Niederlassung verantwortlich. Ein Monteur bekommt jeden Tag Duschen geliefert. Die holt er ab und baut sie direkt ein. Der Spediteur hat seine Zugangsdaten und stellt die Ware direkt in das betreffende Lager: «Der hat einen Garagenvertrag mit dem Spediteur, das geht dann nochmal einfacher. Von uns braucht der keine Erlaubnis. Wem sie den Code und den Schlüssel der Box geben, ist ihre Angelegenheit. Wir haben Kunden, die kein Büro mehr brauchen. Die kommen mit dem Auto rangefahren, erledigen hier alles und nehmen nur ihre Ware mit.»

Dabei geht es hier weniger anonym zu, als man vielleicht vermutet: manche Kunden kommen jeden Tag im Büro vorbei und trinken einen Kaffee. Etwa 70 bis 80% der Kunden sind Privatleute. Es gibt Touristen auf Europareise, die ihre Sache zwischenlagern, die sie auf einer bestimmten Etappe nicht brauchen. Andere lagern ihre Winterreifen ein, wieder andere antike Möbel oder alte Bücher: «Da stecken immer interessante Geschichte dahinter», sagt Krammer. «Es gibt temporäre Nutzer, es gibt Leute, die unsere Räume langfristig als Abstellfläche nutzen. Im Schnitt sind die Leute 9 bis 10 Monate da. Es gibt Trennungen, heulende Frauen, heulende Männer. Fächer, wo die Dinge zwischen zwei Parteien aufgeteilt werden müssen. Und Leute, die ein Lager haben, sind natürlich auch nicht vor dem Tod verschont.»

Durch sämtliche Gespräche mit Mitarbeitern und Besitzern von Selfstorages zieht sich die Beobachtung, dass die eingelagerten Gegenstände oft kaum mehr Wert seien als die Kosten für die Einlagerung: «Es gibt es auch Fälle, wo man sich fragt: Wenn du die Einrichtung neu kaufen würdest, wärst du eventuell günstiger weggekommen? Bei manchen Lagern denkt man sich: Da hätten sich die Kunden die Miete für drei Jahre auch sparen können.» Natürlich haben die Dinge manchmal sentimentale Bedeutung, manchmal kann man sich auch nicht eingestehen, dass etwas, das mal einen Wert hatte, diesen nicht mehr hat.

Gelegentlich hören Mieter auf, ihre Miete zu zahlen. Irgendwann muss dann das betreffende Lager geöffnet werden: «Oft findet man Sachen, wo man denkt: Toll. Das hättest du besser entsorgt. Dann hättest du ein bisschen weniger Stress gehabt. Es ist auch mühselig, in den Sachen anderer Leute herumzuwühlen.» Und dazu sind die Mitarbeiter der Lager verpflichtet, denn sie müssen für ihre Mieter die beste Lösung finden. Ohne Sichtung versteigert werden wie in der US-amerikanischen Reality-TV-Show «Storage Wars» darf der Lagerinhalt hierzulande nicht.

Krammer hatte eine Kundin, die ein Jahr lang ein Lager aus dem Ausland bezahlt hat: «Die kam dann her und sagte: Ich will kündigen. Haben Sie Ihren Raum schon gestern leer gemacht, hab ich gefragt. Nein, der ist schon das ganze Jahr leer. Die war einfach zu faul zu kündigen.»

Oft ist das Müll

In den USA werden etwa zwei Drittel der Selfstorages als einzelne, unabhängige Unternehmen betrieben. Den Berliner Markt teilen sich weitgehend drei Grossanbieter. Pickens aus Hamburg betreibt drei Lager, der US-amerikanische Konzern Shurgard verfügt über zwei Anlagen. Die österreichische Firma Myplace dominiert mit zehn Häusern den Markt.

In den US-amerikanischen Städten liegen die Selfstorages oft in der Peripherie, wo grosse Flächen verfügbar sind. Die Anlagen bestehen dort meistens aus Labyrinthen von Garagen, die mit breiten Rolltoren verschlossen sind, die wie eine Miniaturversion von Suburbia aussehen. Die Berliner Selfstorage-Anlagen spiegeln die Mietshausarchitektur der Stadt. In den Häusern sind auf fünf oder sechs Etagen mit einer Gesamtfläche in der Grössenordnung von 5000 Quadratmetern etwa 1000 Boxen untergebracht.

Ein paar unabhängige Anbieter gibt es aber auch. Einer heisst Abstellbox, er befindet sich im Osten der Stadt zwischen Lichtenberg und Marzahn. Im Eingang der grossen Lagerhalle wickeln ein Mann und eine Frau Plastikfolie um Paletten mit Kosmetikartikeln, die nach Georgien exportiert werden. In die weitläufige, hohe Halle aus Beton ist ein Labyrinth aus Storage-Boxen eingebaut. Wilfried Mahlke betreibt eigentlich eine Vertriebs- und Reparaturfirma für Werkzeug; das Selfstorage-Gewerbe ist sein zweites Standbein, denn die Werkzeuge beanspruchen nur einen Teil der dreischiffigen Halle. Vom Selfstorage hat er zum ersten Mal in einer Verbandszeitschrift gelesen. «Ich war dann auch mal in den USA und habe gesehen, dass es das in jedem Dorf gibt. Ich habe gedacht: Das machen wir auch.»

Mit dem weissen Wellblech sehen die Boxen ähnlich professionell aus wie bei den grossen Anbietern, bloss gibt es kein farbliches Branding. Die typischen Rolltore verwendet Mahlke nicht, die Kunden könnten da zu viel kaputt machen. Die Auslastung ist fantastisch, zurzeit sind nur zwei oder drei Boxen frei. Deshalb stattet er jetzt auch noch den dritten Teil der Halle als Lager aus. «Das ist unkompliziert, eine einfache Angelegenheit, ein ruhiges Geschäft», erklärt er. «Unser Werkzeughandel ist eine schnelldrehende Angelegenheit, alles muss von gleich auf jetzt passieren. Wir liefern dem Kunden da zigtausend Artikel zum nächsten Tag. Das Storage-Geschäft ist dagegen sehr entspannt.»

Seine Kunden sind ähnlich breit gefächert wie die der anderen Anbieter. Eine lokale Schule lagert Sportgeräte ein, das Bezirksamt Marzahn Aufsteller für Strassenfeste. Es gibt eine Künstleragentur mit Skulpturen, die 1 ½ Tonnen wiegen. «Da sind wir gut ausgestattet mit Gabelstaplern», lacht er. Das besondere Feature seines Angebots liegt darin, dass das gesamte Lager ebenerdig ist. Es ist ideal für Leute, die ihre Sachen Euro-Paletten anliefern, wie die beiden Georgier.

Über den Wert vieler der von Privatleuten eingelagerten Dinge macht sich auch Mahlke keine Illusionen: «Oft ist das Müll. Da müssen wir uns nichts vormachen. Oft kommen die Dinge aus Situationen, in denen es schnell gehen musste. Da packt man alles ein, was einem in die Hände fällt. Wir haben oft Kunden, die sagen irgendwann: Habt ihr hier einen Container? Die Hälfte davon will ich entsorgen. Ich hatte einen Mieter mit einer grossen Box. Letztlich hat der alles in den Müll geworfen.» Für Mahlke ist das Lager nicht nur ein Geschäft, ihm macht auch der Kontakt mit den Menschen Spass: «Wir kennen fast alle unsere Mieter persönlich, da steckt immer eine Story dahinter. Man könnte darüber ein Buch schreiben. Wir hatten hier mal einen jungen Mann aus Wien, der ist nach Berlin gekommen, weil Wien ihm viel zu eng war. Der fand Berlin total geil und ist dann einfach hergekommen, so ganz spontan. Der wollte eigentlich mal Fotograf werden, jetzt arbeitet er in einem österreichischen Restaurant. Mancher Traum platzt da auch, das ist schon so. Der ist aber trotzdem total happy, Berlin ist genau sein Ding. Der war über ein Jahr bei uns.»

Mein kleiner Rucksack

Bei den grossen Anbietern ist der erste Monat meistens kostenlos. Dieses Marketing-Angebot nutzen die sogenannten «Storage-Nomaden», die immer nur für den einen, ersten Monat bleiben, erzählt eine Mitarbeiterin des Selfstorage Discount in zwei alten Plattenbauten in der Nähe von Mahlkes Halle. Deshalb berechnen sie vom ersten Tag an. Das sei letztlich auch transparenter. In der DDR wurden die Gebäude als Büros genutzt, die Lagerräume wurden nachträglich eingebaut. In den Fenstern türmen sich Kartons und Möbel. Der Selfstorage Discount liegt preislich noch ein wenig unter dem Angebot von Mahlke, hier wird nur etwa die Hälfte der Miete der grossen Anbieter fällig. Dafür sieht es in den Plattenbauten nicht sauber und neu aus und in die Fahrstühle passen keine Euro-Paletten. Der DDR-Charme ist aber ziemlich authentisch. Der Fahrstuhl fährt leider nur bis in den 8. Stock. Wer seine Habseligkeiten in den 9. Stock schleppt, bekommt 20% Rabatt.

Das krudeste Storage-Angebot Berlins gibt es aber in Pankow: Bei Lex kann man das Innere von LKWs und Zugmaschinen mieten, die auf dem Gelände gewartet und repariert werden. Am Ende des grossen Parkplatzes stehen Schiffs- und Baucontainer, die zweifach aufeinander gestapelt sind. 15 Quadratmeter kosten da 160 Euro plus Mehrwertsteuer. Auch hier ist man freundlich; elekt-ronische Schlösser, Videoüberwachung und Heizung gibt es nicht.

Thekla Liebnitz arbeitet seit 2006 für den Berliner Marktführer Myplace. Sie hat den Standort in Charlottenburg mit aufgebaut und wurde später Regionalleiterin für Berlin. Jeder Berliner soll ein Lager der Firma in zehn Autominuten erreichen können. In absehbarer Zeit sollen fünf weitere Häuser dazukommen. Liebnitz beschreibt ihre Lager poetisch als «Hotels für Dinge».

Liebnitz hat selbst in verschiedenen Filialen gearbeitet. Einen besonderen Eindruck hat ein Ehepaar aus Holland hinterlassen. Die beiden kauften sich in Berlin Fahrräder, um jeden Sommer eine Tour durch Berlin und Brandenburg zu machen. Weil sie die Fahrräder nicht mit nach Hause nehmen wollten, lagerten sie sie ein. Finanziell macht das kaum Sinn, da gehe es eher um «den Koffer in Berlin», wie sie meint. Ein Bauingenieur sei nach Norwegen ausgewandert und habe nur eine alte Singer-Nähmaschine eingelagert. Die passte nicht mehr in seinen Wagen. «Er sagte zu mir: Frau Liebnitz, ich hole die innerhalb eines halben Jahres ab. Passen sie gut drauf auf.»

Liebnitz erzählt auch von Begegnungen, die sie mitgenommen haben. Etwa von einer Kundin, die Opfer häuslicher Gewalt wurde und ins Frauenhaus flüchten musste. Die Mitarbeiter mussten ihr versichern, ihrem Ex-Mann keine Auskünfte zu leisten. «Ich mache keinen Hehl daraus, dass hier auch Menschen sind, für die wir die letzte Zuflucht darstellen, die keine Wohnung mehr haben, die das bisschen, was sie noch besitzen, bei uns einlagern. Auch dieser Mensch hat eine Würde.»

Dass viele der eingelagerten Dinge wertlos wirken, bestätigt auch Liebnitz. Sie hat eine Erklärung für dieses Phänomen: «Es geht um Entscheidungen und Prioritäten. Manche sind gar nicht im Stande darüber nachzudenken, weil sie etwas anderes regeln müssen. Dann wird das erstmal eingelagert, ehe man in Ruhe überlegen kann. Was ist mir wichtig? Das kann ich jetzt noch nicht entscheiden. Man handelt etwas mit den Dingen aus, die einen bisher begleitet haben.»

Liebnitz legt Wert darauf, dass die Mitarbeitenden lange im Unternehmen bleiben. Im besten Fall lösen Kunden ihre Lager bei derselben Person auf, bei der sie es angemietet hat. «Wenn bei uns die Tür aufgeht, haben die Menschen meistens ein Problem», erklärt sie. «Man muss zuhören können, Begleiter sein können. Da kommt vielleicht jemand, der gerade einen Verlust erlebt hat, wo jemand gestorben ist. Der muss den Nachlass einlagern. Da kann man nicht einfach den Vertrag aufsetzen. Das ist uns auch wichtig bei der Auswahl der Mitarbeiter, dass die schon etwas durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangen sind, dass die wissen, dass es Trauer gibt, dass es Trennung gibt. Ich sag gerne, dass die selbst ihren kleinen Rucksack haben müssen.»

Alexis Waltz ist Kulturwissenschaftler und Journalist. Besonders interessiert er sich für elektronische Musik, aber auch für die Geschichte der Gegenkulturen und Avantgarden, Kultur und Politik der USA, die Geschichte der Arbeit und die Geschichte der Geschlechter. Seine Texte sind in Groove, Spex, taz oder in der Süddeutschen Zeitung zu lesen und wurden ins Englische, Russische, Polnische und Französische übersetzt. 

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