Wir steigen in den Bus und einer grüsst meinen Mann. Ich denke: entweder «Schütteler» oder Musiker, meistens Musiker. Manchmal beides. Ich sage kein Wort und verstehe kein Wort. Ich werde auch nicht vorgestellt, wer macht das noch, vor allem Musiker nicht: Hier, das ist meine Frau, Gaia. Nein. Der Typ nimmt mich auch gar nicht wahr. Ich gehöre nicht zum «Kueche». Ich «luege», ich «lose» aber «nüt zmache». Während sie reden, halte ich unsere Tochter still auf dem Sitz. Der Typ steigt aus. Wir fahren noch zwei Stationen weiter und auf der Strasse frage ich nach, wer war das? Eigentlich ist mir das egal, denn von «Putsmarie» oder «Pegasus» habe ich keine Ahnung. Bieuischvollörben. sagt er zu mir. Wie so oft, wenn er den Dialekt wechselt, verstehe ich kein Wort. Ah man ds isch jetz ämu nid so kompliziert. Wer ist was? Frage ich. Biel, sagt er langsam und genau artikulierend, ist voll urban. Es macht mich wahnsinnig, wenn er anfängt hochdeutsch fédéral zu reden. Ich kann sehen, was er denkt, dass mein «wovon redest du Blick» ihn wahnsinnig macht, dass er dadurch anfängt an sich zu zweifeln, als hätte er gerade etwas unfassbar Dummes gesagt.

Wieder einmal erzählt er von seiner Begegnung in Zürich mit einer Zürcherin in dieser Gotthardbar. Sie so, woher chunsch du. I so: us Biu. Si so: Ah Biel isch voll örben, ich säg immer al mine Lüt: Hey mir müänd ali uf Biel zügle Biel isch so rough.

Ich denke oft, dass dieses immer alles wiederholen und übersetzen müssen, die Magie der Liebe killen wird. Örben, was soll das bedeuten, bitte schön? Und wieso sollten alle ZürcherInnen nach Biel ziehen? Ist nicht eine Stadt per se urban, frage ich, bedeutet das Adjektiv urban nicht einfach städtisch? Keine Antwort. Gebildet, weltgewandt, weltmännisch. Mondain, sagt Le grand Robert. Mondän, also. Eine extravagante Eleganz zeigend. Biel? Er schaut mich an, als ob ich etwas unfassbar Dummes gesagt hätte, ich könnte ihn schlagen. Witze sind halt das Schwierigste in einer Fremdsprache, sagt man.

Als ich von Genf nach Biel zog, habe ich mich schon zu alt und zu systemkonform für das AJZ gefühlt. Immerhin habe ich vor meinem Studium am Literaturinsitut die Hälfte meines Schädu abrasiert. Ich war schon ein bisschen spät dran, modisch war es nicht mehr. Und rebel ist eine Lebenshaltung, keine Frisur. Niemand fragte mich «Ist das nicht zu gefährlich dort?» Ich hatte zwar in den Zeitungen gelesen, Biel sei die Drehscheibe der Drogueszene der Schweiz, und es brennen dort ständig Autos. Aber es waren Nachrichten vor über 10 Jahren, vor meinem Exod in die urbanste Stadt der Städte.

Sebastian, sage ich noch, wenn alle Lüt dieser mondänen Zürcherin nach Biel ziehen, wo gehen wir hin?

Gaia Grandin und Sebastian Steffen haben beide am Literaturinsitut in Biel studiert. Diese Information definiert ihr Leben.
Sebastian und Gaia vertreten für drei Monate Anaïs Meier in der Kolumne. In diesen wichtigen Beiträgen gehen sie der Frage nach: Was bringt es, eine Stadt zu porträtieren? Und machen sich auf die Suche nach der urbansten Person in Biel.

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