In der Schweiz hört man beim Warten auf den Bus oft interessante Diskussionsfetzen. Z.B.: Person 1 hatte offenbar eine Rückführung erlebt oder mit einem Menschen Kontakt gehabt, der oder die Reinkarnationstherapien anbietet. Person 2 schien von solch unwissenschaftlichen Praktiken nichts zu halten. «Nei also da cha ja jedä cho! Denn chasch au grad säge du heigisch vor hundert Jahr gläbt und sigsch e Ritter gsi!»

Sofort fühlte ich mich in jene Zeit vor hundert Jahren versetzt, als Bern und Zürich noch Burgen waren, vor deren Toren Banden marodierender Dinosaurier vorbeizogen. Die Dinosaurier trugen Fackeln und hatten oft einen deutschen Akzent. Ausser im Graubünden, dort sprachen die Dinosaurierbanden Zürideutsch und fuhren Snowboard. Das waren noch Zeiten. Ich erinnerte mich der Entstehung der Schweiz.

Vor langer Zeit, als es die Schweiz offiziell noch nicht gab, gab es bereits den Käse. Die Urkühe, schön geschmückte Tiere wie zum Alpabzug, gingen damals noch ohne uns Menschen auf die Berge und wieder hinunter. Sie frassen das gute Gras der Alpen und auch das Gras vom Maiensäss und auch das Gras des Mittellandes. Die Urkühe wackelten immer etwas mit Kopf und Rumpf, damit ihre prunkvollen goldenen Glocken bimmelten und dabei tropfte immer wieder etwas Milch auf den reichen, nahrhaften Schweizer Boden. So wuchs der Urkäse, dessen Mycel exakt dieselben Umrisse wie die Schweiz hat.

Bald darauf entstand die Bevölkerung der Schweiz.

Immer wenn eine stolz geschmückte Urkuh über den käsehaltigen Boden wackelte und ihre kostbare Milch beifügte, entwuchsen dem Boden die ersten Menschen der Schweiz. Die ersten Menschen waren aus Käse.

Noch heute hat jede Region der Schweiz anderen Käse. Es ist die Kombination aus der Zusammensetzung des dortigen Bodens und der momentan emotionalen Stimmung der jeweiligen Urkuh, während sie den Urkäsemenschen schuf. Die Urkäsemenschen und die Urkühe führten von da an ein super Leben zusammen. Die Urkühe zeigten ihnen die Berge und zogen mit ihnen auf den Maiensäss und die Alp. Die Urkäsemenschen himmelten die Urkühe an, weil die so schön geschmückt waren und den totalen Durchblick hatten. Wenn die Urkäsemenschen hungrig wurden, frassen sie einfach einander auf. Von da kommt die Liebe des Schweizers zum Schweizer Käse; der Schweizer erkennt sich selbst in seinem Käse.

Es waren glückliche Zeiten bis Friedrich Schiller erschien. In einer Kutsche, einem Vierspänner, der von vier Tyrannosauriern gezogen wurde, erreichte er die Schweiz über die Deutsche Grenze. Leider verbreiteten sich die Tyrannosaurier sofort endemisch und verdrängten die Urkühe, bis diese fast ausgestorben waren. Die Urkäsemenschen bauten daraufhin Burgen und wurden Ritter. Die letzten Urkühe hielten sie in ihren Burgen zu deren Schutz gefangen und begannen sie systematisch auszunutzen. Das war vor etwa hundert Jahren. Nach einiger Zeit wurde es den Urkäsemenschen in ihren Burgen langweilig und sie begannen, Rückführungen zu machen. Dank der Reinkarnationstherapie wissen wir so viel über unsere Geschichte. Kritische Stimmen sagen aber, das sei unwissenschaftlich.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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