Kürzlich in Italien in einem Hotelzimmer mit einer Freundin, taten wir, was man eben tut, wenn man nach einer langen Reise für sonst alles zu müde ist: Wir starrten in den überdimensionierten Flachbildschirm und rieben uns die Augen. Nun ist es nichts Neues, dass im italienischen Fernsehen, sei es nun RAI (das «öffentlichrechtliche») oder einer der aberhunderten Privatsender – berlusconisiert sind sie ohnehin alle –, vorwiegend Schrott in Endlosschlaufe läuft. Unterbrochen wird dieser Niveau-Limbo lediglich von Werbespots, wahlweise schrill und laut, vermeintlich komisch oder «sexy». Neu sind auch nicht die Veline, jene halbnackten, stark geschminkten, meist operierten Frauen, die ohne einen Ton zu sagen irgendwo herumstehen, einmal in die Kamera lächeln, ihren Arsch und ihre Brüste vorführen, während ein paar Männer über irgendetwas reden, Witze machen oder einfach rumblödeln – und dann wieder sang- und klanglos einen Abgang auf Highheels machen. Erstaunlich ist höchstens, dass sich diese weiblichen Fernseh-Dekorations-Figuren ohne jegliche inhaltliche Funktion so lange halten können. Hängen blieben wir bei einer Art Quiz-Sendung von zwei ergrauten Show-Biz-Typen, Luca Laurenti und Paolo Bonolis, die sich etwa auf Canale 5 zum Affen machen und jeweils nach maximal sieben Minuten (man muss das Publikum bei Stange halten) eine neue Velina aufbitten. Mal blond, mal brünett, mal ein Bikini, mal ein durchsichtiges mit Glitzer besetztes Body, mal Tanga und Wonderbra. Zur Abwechslung darf auch mal eine Fee mit Zauberstab eine Runde drehen oder einem männlichen Quiz-Gast von hinten den Rücken kraulen, was selbstredend ein Steilpass ist für eine Serie von Kameraeinstellungen, die den Hintern der Frau ins Zentrum rücken. Gleichermassen ohne Inhalt ist denn auch die Sendung selbst, die alle 15 Minuten (man muss die Sponsoren bei Stange halten) von Werbespots unterbrochen werden, in denen Laurenti und Bonolis gleich selbst für Kaffee, Turnschuhe oder Einbauküchen werben. Non capisco un cazzo! Wir schalteten auf Rai, Italia Uno, Rete 4 und kamen nach zwei, drei Stunden italienischem Fernsehen zum Schluss, dass für Frauen lediglich drei Rollen vorgesehen sind: Sexbombe, Karrieristin oder natürlich la Mamma.

Obwohl Italien im Allgemeinen, was den Mainstream betrifft, gefühlt 20 – 30 Jahre hinterherhinkt (Musik, Mode, Rollenbilder) – fürs Feriengefühl kurzzeitig durchaus charmant – waren wir irritiert bis schockiert über dieses rückständige Überbleibsel der Velina als ultimatives Symbol eines überkommenen Frauenbilds. «Was bei euch ist das nicht so?» meinten ein paar Männer, die wir in einem alternativen Student*innenviertel, bei einer Bar-Tour auf das Phänomen Veline ansprachen. Non capisco un cazzo! Man stelle sich das Ganze einmal kurz vor: Veline im Schweizer Fernsehen oder bei Tele Züri oder TeleBlocher. Es kann nicht schaden, sich ab und an zu vergegenwärtigen, was in den nahen Nachbarländern über die Bildschirme flimmert. Dass in den Programmen von Schweizer TV-Sendern (abgesehen von Werbespots) nicht halbnackte Frauen vor der Kamera posieren, ist aber kein Grund zur Selbstgerechtigkeit. Man vergegenwärtige sich die Frauenrollen. Nur weil sie nicht überzeichnet sind, mit Deux-Piece, Highheels und greller Schminke daherkommen, bedeutet dies nicht, dass sie nicht da sind.

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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