Aus der Roten Fabrik sollten Alterswohnungen werden – das wünschten sich im Jahr 2003 Vertreter*innen des Vereins Aktiver Senioren mit einer Motion im Gemeinderat. Gemeinderat Kurt Krebs erklärte damals in einem Interview mit der WOZ, wie er sich das vorstellte.

WOZ: Herr Krebs, Sie wollen die Rote Fabrik beanspruchen. Wird es das erste Altersheim inklusive Kulturzentrum für SeniorInnen werden?

Nein, es gibt kein Kulturzentrum! Das möchten wir ja gerade an einen anderen Ort hintun. Es gibt genug Möglichkeiten. Zum Beispiel die Katakomben im Werdhochhaus. Der Stadtrat weiss auch gar nicht, was er mit denen machen soll. Arthur Bernet (Präsident des «Vereins für aktive Senioren», Anm. d. Redaktion) hat die schon gesehen.

Was sollen Kulturinteressierte mit einem unterirdischen Labyrinth anfangen?

Für Veranstaltungen würden die sich sicher eignen. Da unten ist es ja dunkel.

Und in den Ateliers und Übungsräumen der Roten Fabrik werden dafür künftig SeniorInnen hausen?

Nein! Die Rote Fabrik müsste zu einer Alterswohnsiedlung umgebaut werden. Anstoss für diese Idee war die alte Wäscherei gleich nebenan, die ja auch umgenutzt wurde.

Genau, da wohnt jetzt Patricia Kaas. In einer ziemlich teuren Wohnung übrigens. Haben die RentnerInnen denn so viel Geld?

Das müssen ja nicht so teure Wohnungen werden.

Stimmt, die könnte man ja auch von der Stadt
subventionieren lassen.

Ja, genau. Irgendwo findet man immer wieder Geld!

Das Stimmvolk hat sich 1987 für ein Kulturzentrum Rote Fabrik ausgesprochen.

Das stimmt, aber es ist schon oft über vieles abgestimmt worden. Man kann ja wieder mal abstimmen.

Was würde mit all den Leuten passieren, die jetzt in der Roten Fabrik arbeiten? Die Zeiten sind hart, die Arbeitslosenquote steigt. Ist das nicht verantwortungslos?

Die würden ja nicht arbeitslos. Die hätten ja dann ihr Kulturzentrum anderswo.

Könnte man die nicht weiter beschäftigen, zum Beispiel um SeniorInnen mit Kultur bei Laune zu halten?

Nein, das braucht es gar nicht. Es soll ja nur Wohnungen geben.

Würden Sie gar nichts von der Infrastruktur übernehmen wollen? Zum Beispiel die Soundanlage, den Töggelikasten oder Jasskarten?

Nein. Ich glaube nicht, dass Töggelen ein
Bedürfnis wäre.

Aber das hält fit!

Ja, aber trotzdem nicht.

Ihnen ist die verkehrstechnische Erschliessung wichtig, und die sei bei der Roten Fabrik gewährleistet. Es gibt aber Orte, die noch besser erschlossen wären, zum Beispiel das Opernhaus. Das ist zentraler. Und Ausblick auf den Zürichsee hat man dort ebenfalls. Weshalb wollen Sie nicht das zu Alterswohnungen umbauen lassen?

Das ist schon etwas anderes.

Es ist auch ein Kulturhaus.

Aber es gehört dem Kanton.

Richtig. Und die Rote Fabrik gehört der Stadt.

Ja. Aber das Opernhaus sähe ich nicht an einem anderen Ort. Das Opernhaus ist etwas Festes. In der Roten Fabrik hingegen gibt es viele Gruppierungen.

Eine andere Idee wäre, die Rote Fabrik abzureissen und einen Park zu errichten, der nur für alte Leute zugänglich ist. Davon würden mehr alte Leute profitieren als von ein paar wenigen Wohnungen. Wäre das wahltechnisch nicht besser für Sie?

Mit einem Park wohnen sie noch nirgends. Ein Heim müssen sie haben, das ist wichtig!

Und noch wichtiger: mit Seeanstoss!

Ja, Wohnungen für Alte wären die sinnvollere Nutzung des Geländes. Die jungen Leute könnten in den Schiffbau.

Dort gibt es aber keinen Seeanstoss.

Das stimmt, aber die Jungen schauen ja nicht auf den See.

Ach so.

Ja, die sind ja in der Halle drin, wo es dunkel ist.

Das stimmt nur bedingt. Im Sommer, wenn Openair-Konzerte stattfinden, wagen sich die Jungen an den See.

Ja. Neinei.

Doch. Aber lassen wir das. Werden Sie selber einmal in der Roten Fabrik wohnen?

Es wäre sicher schön da draussen. Aber ich werde das wohl nicht mehr erleben.

Das Interview erschien am 6. Februar 2003. Kurt Krebs sass noch bis zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2006 im Gemeinderat, als Vertreter der SVP-nahen Seniorenliste (SL). In seinen vier Jahren als Gemeinderat reichte er drei Vorstösse ein – in allen ging es um Altersheime. In der Zwischenzeit ist Kurt Krebs verstorben.
Sein damaliger Mitstreiter Arthur Bernet (SVP) lebt noch. Wir erreichen ihn an einem Nachmittag im September. Bernet lebt am Zürichberg. An die Motion, die er mitunterzeichnet hat, mag er sich nicht mehr erinnern. Von einem Altersheim heutzutage erwartet der 86-Jährige nicht mehr unbedingt direkten Seeanstoss, aber dass es Ehepaaren wenigstens mehr Platz biete, als dies derzeit oft der Fall sei: «Ein einziges Zimmer für zwei, das geht nicht mehr, das ist auf die Dauer zu eng. Ich würde mir wünschen, dass es in den Zürcher Altersheimen heutzutage zwei Zimmer für ein Ehepaar gäbe.» Das ist gut nachvollziehbar.

Derweil sind in der Roten Fabrik erste langjährige Kollektiv-Mitglieder im Pensionsalter angekommen, und die Idee eines Rote-Fabrik-Altersheims scheint plötzlich gar nicht mehr so abwegig: Wo, wenn nicht hier, würde man als 80er-Bewegte*r am liebsten alt werden und seinen Lebensabend verbringen? Die Kantine Ziegel Oh Lac ist zudem ebenerdig und barrierefrei eingerichtet, es hat zwischen den Tischen sogar genügend Platz für Rollatoren, Corona sei dank. Und auch bei zeitlich ausufernden Jassrunden mit Gleichaltrigen oder bei Facetime-Konferenzen mit Enkelkindern gibt es keinen Konsumationszwang; möchte eine doch etwas trinken, kann sie sicher sein, dass das Angebot noch immer mehr oder weniger dasselbe ist wie anno dazumal, und auch die Preise haben sich nicht gross verändert – alte Menschen mögen diese Beständigkeit, schnelle Veränderungen sind ihnen ein Graus. Diesbezüglich ist noch zu erwähnen, dass auch Stammgast F, seinerseits im Pensionsalter, für maximale Kontinuität sorgt. Für ihn ist die Rote Fabrik bereits das Altersheim, das andere sich wünschen. Das Beste aber an der Roten Fabrik ist die hohe Frequenz von Besucherinnen und Besuchern: In welchem andern Alters- und Pflegeheim kommen jeden Tag so viele junge Menschen zu Gast, und wo gibt es so viel Unterhaltung, für die Gäste und die Stammgäste? Es wird einem hier wahrlich nie langweilig oder gar einsam.
Bleibt als letztes absolutes Plus noch der auch von den Aktiven Senioren 2003 erkannte Luxus des Seeanstosses. Doch ausgerechnet den geniesst man im Alter gar nicht mehr unbedingt so sehr – es zieht, so nah am Wasser. Und in der Nacht zeigt sich der See düster schwarz. Da könnte man ja genau so gut in einer Halle wohnen. Das werden sich auch die über 50-Jährigen gedacht haben, die bald im Genossenschafts-Neubau an der Zollstrasse einziehen werden: Hallenwohnen, das ist es! Da kann nicht mal ein Altersheim mit Seeanstoss mithalten.

Esther Banz ist freischaffende Journalistin in Zürich.

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