Vor 100 Jahren machten die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Russland eine Revolution und vor 150 Jahren veröffentlichte Marx ‹Das Kapital›. Diese zwei Jubiläen stehen sinnbildlich für die Notwendigkeit, sich gerade heute an die Essenz des Marxismus zu erinnern.

Inspiriert durch die Schriften von Karl Marx und seinem Freund Friedrich Engels erhob sich 1917 die russische ArbeiterInnenklasse, um die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal zu übernehmen. Neben der Aufhebung aller Diskriminierungen veränderten sie die Produktionsweise: Das anarchische Profitstreben Einzelner wurde abgelöst durch eine gesellschaftliche Planwirtschaft.

Die anfangs blühende Demokratie der Massen wurde jedoch schon in den 20er Jahren von Stalin und seiner Clique auf den bürokratischen Irrweg gezerrt. Die politische und ökonomische Macht konzentrierte sich nun in den Händen einer bürokratischen Kaste, der Marxismus verkam zu einem Alibi. Der eingeschlagene Weg der Planwirtschaft liess die sowjetische Wirtschaft während der Grossen Depression hohe Wachstumsraten verzeichnen. Diese Entwicklungen ermöglichten den Aufbau der Roten Armee, die letztlich Hitler stürzte, und den Aufstieg zu einer Weltmacht.

Trotzdem war die soziale und ökonomische Situation der Sowjetunion langfristig im Sinkflug; 1991 brach sie mit dem Fall der Berliner Mauer endgültig zusammen. In ‹The End of History› schrieb Francis Fukuyama 1992, der Kapitalismus habe endgültig über den «Sozialismus» gesiegt und sich als die effizienteste und beste gesellschaftliche Organisation erwiesen. Von nun an sollte es nur noch Prosperität, Frieden und Stabilität geben.

Der Sozialismus ist zurück auf der Agenda

Spätestens der Börsencrash von 2008 strafte diese Prophezeihungen Lügen. Nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA breitete sich die Krise mit verschiedensten Erscheinungsformen über den ganzen Planeten aus. Selbst eingefleischte Bürgerliche liessen sich dazu verleiten, wieder zu den Schriften von Karl Marx zu greifen. So schrieb ein Senior-Wirtschaftsberater der UBS, man solle Marx eine Chance geben, die Welt zu retten.

Mit der anhaltenden Krise des Kapitalismus schwindet auch zunehmend das Vertrauen in dieses System, besonders in der jungen Generation: 2014 gaben 69% der befragten US-AmerikanerInnen im Alter von 18-24 Jahren an, den Sozialismus gegenüber dem Status Quo zu bevorzugen. Sozialistische Parolen werden wieder zum Trend: Um Bernie Sanders, der sich als Sozialist versteht, formierte sich eine enthusiastische Massenbewegung. Daraus stammt seit Trumps Wahl der Kern der Opposition. Ähnlich in Grossbritannien: Die Kampagne um den neuen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn, der mit dem Slogan «Sozialismus» für seine Positionen wirbt, begeisterte Hunderttausende. Unter seiner Führung ist die Labour Party von 200’000 auf mehr als 700’000 Mitglieder angewachsen. Weiter beobachteten wir in den vergangenen Jahren den Aufstieg von radikalen linken Bewegungen wie der Syriza in Griechenland, PODEMOS in Spanien und «La France Insoumise» in Frankreich. Es bleibt kein Zweifel: Der Sozialismus ist zurück auf der Agenda. Um jedoch eine wirkliche Alternative zum kapitalistischen System zu formulieren, kommen um Marx wir nicht herum.

Die kapitalistische Produktion ist nicht auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, sondern auf das Streben nach Profit

Sein Hauptwerk ‹Das Kapital› ist kein ökonomisches Lehrbuch. Vielmehr verkörpert es eine wissenschaftlich untermauerte Kritik der kapitalistischen Produktionsweise. Die wichtigste These darin besagt, dass die Besitzenden von Produktionsmitteln – die KapitalistInnen – die Arbeitskraft der ArbeiterInnen ausbeuten. Dies nicht etwa aus Bosheit; vielmehr beinhalten laut Marx diese Produktionsverhältnisse und das Zusammenspiel zwischen Arbeit und Kapital per se eine Ausbeutung in sich. Die kapitalistische Produktionsweise provoziert durch ihre inneren Bewegungsgesetze unweigerlich Überproduktionskrisen. Das bedeutet jedoch nicht, dass mehr produziert wird, als die Menschen benötigen, vielmehr wird mehr produziert, als profitabel verkauft werden kann. Die kapitalistische Produktion ist nicht auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, sondern auf das Streben nach Profit.

Marx beschreibt das so: «Die ungeheure, stossweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen notwendig fieberhafte Produktion und darauf folgende Überfüllung der Märkte, mit deren Kontraktion Lähmung eintritt.»

Genau das erleben wir heute. Eine Studie der EU-Handelskammer von 2016 zeigt anhand von acht Sektoren (Stahl, Zement, Schiffbau, Aluminium, Raffinerie, Glas, Papier und Chemie) auf, dass die Auslastung dieser Sektoren von 2008 bis 2014 im Durchschnitt von 81% auf 74% gesunken ist. In weiteren 12 Sektoren sank die Auslastung zwischen 2010 und 2015 im Durchschnitt gar von 78.3% auf 66.6%. Es wurden also Fabriken und andere Produktionsanlagen errichtet, die nun gar nicht verwendet werden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, welche diese Maschinen bedienen und überwachen sollen, werden daher auch nicht mehr gebraucht und verlieren ihren Job – was die momentane rekordhohe Arbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas erklärt.

Acht Einzelpersonen besitzen gleich viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit

Durch seine tiefgreifende Analyse der kapitalistischen Produktion, gelangt Marx zu Schlussfolgerungen, deren Auswirkungen sich heute noch viel deutlicher zeigen als damals: «Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.»

Tatsächlich erreichte die globale soziale Ungleichheit bis heute unglaubliche Ausmasse. Die Oxfam Studie berichtete, dass acht Einzelpersonen gleich viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Menschheit. 2010 waren es noch 388 Milliardäre. In der Schweiz besassen 2016 die reichsten 2.1% gleich viel Vermögen wie der Rest der ganzen Bevölkerung. Die Einkommen (fast ausschliesslich Kapitalgewinne) des reichsten Prozents sind seit den 1990er Jahren um 43% gestiegen. Die Löhne der grossen Mehrheit hingegen stagnieren praktisch und werden zusätzlich verstärkt belastet durch höhere Mieten und steigende Gesundheitskosten.

‹Das Kapital› liefert eine ausführliche Erklärung dafür, wie die aktuellen Ungleichheiten entstanden sind und wie die Wirtschaft heute noch funktioniert. Tatsächlich nimmt auch das Interesse an Marx wieder zu: 2009, unmittelbar nach Krisenausbruch, verkaufte der Dietz-Verlag etwa gleich viele Exemplare von Marx‘ ‹Kapital› wie in der ganzen Periode von 1989-2007, und die Verkaufszahlen haben sich seither auf einem hohen Niveau eingependelt.

Die weltweite Arbeiterklasse muss sich vereinen und gegen die Kapitalistenklasse auflehnen

Doch das Buch selbst zu lesen und die Theorien zu verstehen, verändert noch nichts an der gesellschaftlichen Lage. Im Gegensatz zu den meisten TheoretikerInnen verstand sich Marx selbst vor allem als revolutionärer Kommunist, der die Gesellschaft verändern will. Gelehrte, welche die Welt nur versuchen zu begreifen, kritisierte er zum Beispiel in seinen ‹Thesen über Feuerbach› klar: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern».

Marx sowie Engels vertraten die Ansicht, dass die weltweite Arbeiterklasse sich vereinen und sich gegen ihren gemeinsamen Feind, die Kapitalistenklasse, auflehnen müsse. Denn diese beiden Klassen haben diametral entgegengesetzte Interessen. Um dies zu erreichen, studierten sie die Klassenkämpfe in Europa und der ganzen Welt. Sie analysierten die verschiedenen Revolutionen wie etwa die Pariser Kommune von 1871 – der erste, sehr kurzlebige Versuch, einen sozialistischen ArbeiterInnenstaat aufzubauen.

Seine Schriften über die Volkswirtschaft und über andere Fragen waren dafür gedacht, die Arbeiter-Innenbewegung theoretisch auszurüsten und sie so für die sozialistische Revolution vorzubereiten. Dafür benötigt es eine Veränderung in der Produktionsweise, d.h. ein Umstürzen der Eigentumsverhältnisse, sowie die Vereinigung von Politik und Ökonomie. Das war das Ziel von Marx‘ jahrzehntelanger Arbeit am ‹Kapital›.

Wir stehen an einem entscheidenden Punkt

Für Marx und Engels war klar, dass der Kapitalismus nicht von alleine zusammenstürzen würde. Darum versuchten sie, die Veränderungen herbeizuführen, indem sie die Internationale Arbeiterassoziation mitbegründeten und die Entwicklung der frühen deutschen ArbeiterInnenbewegung unterstützten. Dort argumentierten sie immer, auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse, für einen revolutionären Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Was bringt uns Marx heute?

Wir stehen an einem entscheidenden Punkt: Die Prognosen der bürgerlichen Wirtschaftsexperten sehen schlecht aus, und die Politik reiht hinter jedes Sparpaket auf Kosten der Lohnabhängigen (und jedes Steuergeschenk für Firmen und Reiche) weitere. Überall auf der Welt sind die Menschen immer unzufriedener mit ihren Regierungen – oder werden kurz nach Amtsantritt enttäuscht. Vermehrt wählen die Leute entweder sehr linke oder sehr rechte Parteien und Politiker-Innen. Der Grund dafür ist simpel: Die Menschen haben genug von der ständigen Verschlechterung ihres Lebensstandards, während die herrschenden Parteien Politik für die Reichsten machen. Die Menschen sind immer weniger bereit, die bestehenden Verhältnisse und Entwicklungen zu akzeptieren.

Die Lohnabhängigen müssen sich klar werden, dass sie die überwältigende Mehrheit in der Gesellschaft darstellen. Wenn sie sich zusammenschliessen und gemeinsam ihre Klasseninteressen verfolgen, wird keine Macht der Welt sie aufhalten können. Das 100 jährige Jubiläum der russischen Revolution sollte uns inspirieren, uns mit den Erfahrungen, Lehren und Theorien auseinanderzusetzen, die Marx und Engels hinterlassen haben. Diese liefern das theoretische Fundament, um die Aufgaben, welche uns bevorstehen, besser meistern zu können.

Welche notwendige Veränderung uns noch fehlt, finden wir in Marx‘ Schriften. Der entscheidende Faktor in der Russischen Revolution stellten die Bolschewiki dar. Sie stellten sich konsequent auf die Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter und vertraten ihr Klasseninteresse. Mit ihren revolutionären Forderungen führten sie die Massen auf den Weg zur Revolution.

Wir müssen jetzt beginnen, uns zu organisieren

Wenn eine Organisation, in einer Stimmung der allgemeinen Unzufriedenheit, die Interessen der ArbeiterInnenklasse in ihren Parolen aufgreift, kann sie auch heute unglaubliche Massen hinter sich vereinen. Eine solche Organisation muss jedoch erst aufgebaut werden. Wir müssen uns wie Marx mit den Erfahrungen der vergangenen und den aktuellen Klassenkämpfen auseinandersetzen. Diese zusammen zu diskutieren und uns zu organisieren ist entscheidend. Und: Die Erkenntnisse müssen verbreitet werden, denn erst ab einer gewissen Grösse reichen Ausstrahlung und Anziehungskraft einer Organisation aus, um die Massen zu erreichen. Wenn die Umstände stimmen, kann von einer solchen Organisation der Funke zu den Massen überspringen und sie als ArbeiterInnenklasse vereinen.

Wir müssen jetzt beginnen, uns zu organisieren und diese Organisation aufzubauen. Wir laden daher alle LeserInnen, die mit diesem Ziel einverstanden sind, dazu ein, sich mit uns in Kontakt zu setzen und aktiv zu werden!

Jan F. & Julian S. sind Aktivisten der marxistischen Strömung rund um die Zeitschrift ‹der Funke›.

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