Hier für einmal eine praxisbezogene Anleitung: Wie ein gelungener Tatort funktioniert. Setzen Sie auf Frauen: Vorbei sind die Zeiten prekärer männlicher Kommissaren-Existenzen. Casten Sie Frauen. Setzen Sie auf Antagonistinnen. Blond und dunkelhaarig. Romande und Zürischnure. Good-Cop und Bad-Cop. Gefühlsduselige Profilerin und kalte Ex-Kriegs-Pathologin. Lassen Sie mehrere Frauen gleichzeitig aufeinander los. Zeigen Sie Konkurrenzkämpfe. Halten Sie die Kamera direkt drauf. Lassen Sie dann einen männlichen Protagonisten mit der nötigen menschlichen und beruflichen Erfahrung schlichten.
Verweben Sie Berufliches mit Privatem: Was Zuschauer*innen wirklich sehen wollen, sind Tränen, Privates, Beziehungskisten. Immer gut: der Verdächtige steht in einer Beziehung mit der Kommissarin selbst. Seien Sie dabei drastisch. Lassen Sie Kommissarin Nr.1 den Freund der Kommissarin Nr. 2 verhören, während jene durch die Glasscheibe zuschaut. Wählen Sie dabei deutliche Worte: «Haben Sie am 25. Dezember 1980 Ihre damalige, im vierten Monat schwangere Freundin erschlagen?»
Mehr ist mehr: Überlegen Sie immer, wie Sie noch einen drauflegen können. Beispielsweise kann sich im Laufe der Handlung herausstellen, dass das Mordopfer auch Polizistin war. Und Spitzel. Und Punk. Und Lesbe. Und schwanger – von einem Fixer.
Wo immer möglich – halten Sie die Kamera direkt drauf: Trauen Sie ihrem Publikum etwas zu. Orientieren Sie sich an den Horrorfilmen der Nullerjahre. Zeigen Sie den Schädel in einem Closeup. Scheuen Sie sich nicht, das Skelett des vier Monate alten Fötus in Nahaufnahme zeigen. Verwenden Sie Theaterblut. 300 Franken pro Liter – das sollte es Ihnen auf jeden Fall wert sein. Sollten Sie einen Suizid zeigen, dann aber richtig: Knarre, Schuss, tot Umfallen.
Schreiben Sie authentische, knackige Dialoge! Wo immer Sie sind, hören Sie zu, wie die Leute im Alltag wirklich sprechen. Setzen Sie auf kurze, gestochen scharfe Sätze, die sitzen. Beispielsweise so: «Krass» – «Wo ischs Projektil?» – «Schteckt».
Keine Angst vor Klischees: Lassen Sie die Polizistinnen überall ihre Waffe auf sich tragen, auch im Archiv und beim Apéro. Lassen Sie die junge Kommissarin nachts, bei gedämpftem Licht in einer Totale den Platz auf dem Chefsessel ihres bald pensionierten Polizeichefs einnehmen. Steigern Sie die Szenerie, indem Sie die Schauspielerin dazu anhalten, ihre Beine auf den Schreibtisch zu legen. Lassen Sie sie dabei High-Heels tragen. Und geben Sie die Anweisung: «Schau zur Decke und denke dabei an Sex und Macht!» Bringen Sie dazu den passenden Soundtrack, etwa die Königin der Nacht. Apropos: Bleiben Sie auf dem neuesten Stand, was Fernsehmusik anbelangt. Machen Sie es genauso, wie man gerade Fernsehmusik macht. Lift-Musik funktioniert immer. Investieren Sie ausserdem in aufwendige Montage, Ausleuchtung, High-Tech und Kameraführung. Nutzen Sie alle filmischen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Wagen Sie originelle Perspektiven und Winkel. Verwenden Sie Drohnenbilder für den Unheimlichkeitsfaktor.
Lösen Sie den Titel ein: Sie haben sich etwa für «Züri brännt» entschieden, dann vergessen Sie nicht das Offensichtlichste – die Feuer-Metapher. Eine Brandleiche, ein verbranntes Foto und «Ich han es Zündhölzli azündt» sprechen für sich.
Sollte es trotzdem nicht klappen mit der Drehbuchkarriere, es liegt nicht an Ihnen! Glauben Sie an sich.

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert