Begonnen haben die Demonstrierenden in Hongkong mit Regenschirmen, mittlerweile gehören Gasmasken und Taucherbrillen zur Standardausrüstung. Aber nicht nur gegen Tränengas und Gummischrot: Bei den Protesten in Hongkong sind die Demonstrierenden einer massiven Überwachung ausgesetzt, wie sie auch in unseren Gesellschaften immer stärker Eingang findet. China ist Pionier der Überwachung des öffentlichen und virtuellen Raums, und damit gleichzeitig Wegweiser dafür, wie Überwachung nicht nur zur Erhöhung der Sicherheit eingesetzt wird, sondern auch zur minutiösen Steuerung des Verhaltens durch den Staat oder Unternehmen – etwa über ein Sozialkreditsystem. In Hongkong riskieren die Protestierenden auf Bildern von Überwachungskameras identifiziert und daraufhin festgenommen und bestraft zu werden. Die Proteste begannen denn auch als Widerstand gegen ein Gesetz, das die Auslieferung von Angeklagten nach China ermöglicht hätte. Das Gesetz wurde zwar ausgesetzt, aber noch nicht zurückgezogen.

Schon 2014 war es zu Massenprotesten gekommen, weil China die Kandidaten zur Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs festlegte. Die wahlberechtigten Bürger konnten sich also nur in einer Wahlfarce zwischen vorgegebenen Kandidaten entscheiden. Vor diesem Hintergrund entstand die sogenannte Regenschirm-Bewegung. Die Protestierenden schützten sich mit den Schirmen damals noch gegen Pfefferspray, Tränengas und Regen. Sie schufen damit aber zusätzlich ein vereinendes Symbol, das bereits auch vor der Überwachung mit (Polizei-)Kameras, bei denen zunehmend Gesichtserkennung eingesetzt wird, einen gewissen Schutz bot.

Auf der anderen Seite werden Proteste natürlich auch von Medien aufgenommen und veröffentlicht. Zudem machen Protestierende und Passanten viele Aufnahmen, die sie ins Netz stellen – und damit auch der möglichen polizeilichen Identifizierung zur freien Verfügung stellen. Es geht also letztlich darum, sich gegenüber allen Kameras und auch «friendly surveillance» unkenntlich zu machen.

Zunehmend wurden Laserpointer gegen Überwachungskameras eingesetzt, um diese zu blenden. Die Polizei nannte sie «Offensivwaffen». Neben Mundschutz, Gasmasken sowie Taucherbrillen werden mitunter auch reflektierende biaxial orientierte Polyester-Folien (Mylar) an Brillen getragen, um eine Erkennung zu verhindern. Digitale Spuren werden mit Wegwerfhandys und mit Barzahlung etwa bei Benutzung der Verkehrsmittel verwischt, Bilder werden über AirDrop versandt. Um eine Lokalisierung komplett zu verhindern, müssen aber WLAN und GPS, eigentlich das ganze Smartphone ausgeschaltet werden, damit auch der Provider den Standort nicht mehr durch «silent SMS» orten kann.

Letztlich zwingt die ausufernde Überwachung die Opposition zu einer Verschleierung, um Gesichter der Identifizierung und sich damit der Kriminalisierung zu entziehen. Auch Schminken und Gesichtsbemalung können einen gewissen Schutz bieten. Dagegen haben Politiker der prochinesischen Partei Democratic Alliance for the Betterment and Progress of Hong Kong (DAB) im Sommer ein Maskenverbot gefordert. Es würde dazu beitragen, die gewalttätigen Proteste zu beenden. Eine solche Gesetzgebung gebe es auch in westlichen Ländern. Der DAB-Politiker Gary Chan Hak-kann meinte, Forschung hätte dort gezeigt, dass Vermummte eher gewalttätig würden. So dient das Vermummungsverbot in Deutschland, Österreich, Italien oder den USA dazu, ein Maskenverbot in Hongkong zu legitimieren.

Auch Burka-Verbote im öffentlichen Raum wie in Frankreich waren Trittbretter für allgemeine Vermummungsgebote. Der DAB-Abgeordnete Holden Chow Ho-ding erklärte, in den westlichen Ländern helfe das der Polizei, «das Recht angemessen durchzusetzen und Menschen abzuschrecken» gewalttätig zu werden. Es sollte aber Menschen ausnehmen, die an friedlichen Protesten teilnehmen oder die aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen Masken tragen.

Ein Vermummungsverbot könnte allerdings die gegenwärtige Taktik der Polizei unterlaufen, bei der sich als Demon­strierende verkleidete, maskierte Polizisten unter die Menge mischen, um Personen festzunehmen oder als agent pro­vocateur zu wirken. Abgesehen davon sind die Polizisten mit ihrer Ausrüstung ebenfalls unkenntlich und vermummt. Demonstrierende verlangen, dass ihre Nummern deutlich erkennbar sein sollten. Und während die Polizei Datenbanken mit Namen und Bildern der Protestierenden anlegt, wurden auch Daten zu Polizisten online geteilt, was von der Polizei als «psychologische Kriegsführung» bezeichnet wurde.

Tatsächlich wurde im Oktober ein Vermummungsverbot auf der Grundlage eines Notstandsgesetzes eingeführt. Das Oberste Gericht erklärte es aber im November als verfassungswidrig. Die Durchsetzung wäre sowieso fraglich gewesen, denn in Hongkong tragen, wie in anderen asiatischen Ländern, Menschen im öffentlichen Raum oft einen Mundschutz, um sich vor Infektionen zu schützen.

Die Demonstrierenden haben im vergangenen Herbst damit begonnen, Strassenlaternen mit Elektrosägen umzukippen, die Leitungen zu kappen oder zumindest mit Farbe die Kameras zu blenden. Die Regierung hatte im Juli , als die Proteste begonnen hatten, 50 smarte Strassenlaternen, ausgerüstet mit Kameras, weiteren Sensoren etwa für Luftverschmutzung und Wetterdaten, Mikrofonen und Internetanbindung, aufstellen lassen.

Angeblich sollten die Kameras nicht mit Gesichtserkennung ausgestattet sein, es sollten auch keine Gesichter und persönliche Daten gespeichert werden, die Kameras sollten im Rahmen des Ausbaus des Smart-City-Projekts der Verkehrsüberwachung dienen, und die Daten würden nicht der Polizei weitergegeben werden, versicherte die Regierung. Nach den ersten Protesten wurde zudem erklärt, dass die Funktionen ausgeschaltet worden seien, mit denen die Geschwindigkeit der Autos gemessen und die Autokennzeichen abgelesen werden. Überdies sollten die Kameras nicht dazu dienen, Müllsünder zu entdecken. Insgesamt 400 dieser smarten Laternen will die Regierung weiter aufstellen und verspricht, die Orte und die Funktionen öffentlich zu machen.

Menschen in Hongkong misstrauen allerdings der Regierung, schliesslich sind die Behauptungen nicht nachprüfbar. Viele gehen davon aus, dass sie damit ausgespäht werden sollen, wie das China bereits ganz offen betreibt. Die Regierung wiederum geisselt das Vorgehen gegen die Überwachungslaternen als technologie- und innovationsfeindlich und nennt die Kritik «Verschwörungstheorie».

Gut möglich, dass sich mit wachsender Überwachung der Überwachungsluddismus verstärkt. Immer wieder gibt es denn auch Forderungen, auch im digitalen Raum ein Vermummungsverbot durchzusetzen, also eine Realnamenpflicht einzuführen und die Anonymität abzuschaffen. Noch ist es möglich, mit Proxy-Servern, VPNs oder Tor anonym im Netz unterwegs sein oder Kommunikation etwa über die App Telegram zu verschlüsseln.

Es gibt Hoffnung, dass der Überwachungsstaat an sich selbst scheitern könnte. Hongkong wäre dafür ein gutes Beispiel. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Polizei bereits enorme Massen an Bildern von Protestierenden durch Überwachungskameras, Medienberichte, Gegnerinnen der Proteste, Passanten oder den Teilnehmenden selbst gesammelt hat. Aber um die Massen an Bildern und Videos zu sichten, wären auch Massen an Sicherheitspersonal erforderlich, um die von der Gesichtserkennung möglicherweise Identifizierten herauszupicken. Gesichtserkennung, die an Eingängen oder Kontrollstellen eingesetzt wird, wo die Menschen mehr oder weniger geordnet nacheinander überprüft werden können, ist etwas ganz anderes, als wenn sich Menschenmassen unter schlechter Beleuchtung und oft mit Verhüllung dicht gedrängt durch Strassen oder auf Plätzen bewegen.

In China, wo das Internet streng kontrolliert und überwacht wird, Proteste nicht genehmigt werden, es keinen Rechtsstaat gibt und in den Städten die Überwachungstechnik schon flächendeckend installiert ist und weiter aufgerüstet wird, wären wohl derart langanhaltende Demonstrationen gar nicht möglich gewesen.

Daher geht es jetzt darum, den Ausbau der Überwachungstechnik online und offline zu verhindern und zu begrenzen. Dabei geht es nicht nur um Gesichtserkennung, die zunehmend zur biometrischen «Sicherung» der eigenen Geräte verwendet wird, sondern auch um Sprach-, Gang- oder Verhaltenserkennung, um eine verdeckte Einführung von Überwachung wie beispielsweise Kameras in Fahrzeugen, die erkennen sollen, ob Fahrer unkonzentriert oder müde sind, bis hin zur schnellen Genanalyse, zu vielen Smart-Home-Anwendungen oder Fitnesstrackern. Einmal da, werden sie nicht mehr verschwinden und das Netz immer nur dichter spinnen.

Florian Rötzer ist ein deutscher Journalist. Er studierte in München Philosophie, Pädagogik sowie Psychologie und ist Chefredakteur beim Online-Magazin Telepolis, zu dessen Gründern er gehört.

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