Es ist Frühling geworden. Irgendwie ganz plötzlich. War das nicht erst gestern, als wir unsere Mäntel enger knöpften ob all der Sparprogramme, des eisigen Windes von Westen her, den drohenden Sturmwolken von Süden? Aber jetzt ist das alles vergeben und vergessen. Wir posten Eidechsen, auf denen sich Schmetterlinge räkeln, scannen den Himmel nach Regenbogeneinhörnern und ziehen uns endlich mal wieder ganz unbeschwert ein paar Pornos rein, seit wir gehört haben, dass wir damit auch noch ein paar Hilfswerke unterstützen können. Wie schön, das alles. Wenn selbst die Wichser sich für den Frieden einsetzen.

Im grossen Kanton sind zwar alle ganz aus dem Häuschen, weil sie glauben, gleich wird irgendwo eine Tür aufgetreten und irgendeiner brüllt rum: «Äch bän wieder da!» Wir winken aus der Ferne nur gelangweilt ab. Ach was. 11 Prozent. Eine Demokratie muss ein paar verwirrte Spinner und ihre Barden aushalten, oder? Wir kriegen das ja sogar mit 30 Prozent noch hin, oder? Oder?

Na bitte. Wenn die Welt so gut ist, darf man sich durchaus einmal wieder zurücklehnen und die Füsse hochlegen. Sich auf die wichtigen Probleme konzentrieren und nicht jene, die verschwinden wie ein Regentropfen im Mittelmeer, wenn wir nur die Perspektive ein wenig erweitern. Reden wir doch stattdessen wieder einmal über Landwirtschaft. Oder den Wolf. Oder Kultursubventionen. Das haben wir schon viel zu lange nicht mehr getan.

Wen hätten wir da noch? Ein paar esoterische Musiker, die tatsächlich daran glauben, aus dem Toggenburg könnte man irgendwann noch einen menschenwürdig bewohnbaren Landstrich machen? Brauchen wir nicht. Ein paar Schauspieler, die Roger Köppel beim antisemitischen Wort nehmen? Weg damit. Wenn wir die schon nicht ausschaffen dürfen, dann nehmen wir denen wenigstens das Geld weg. So machen wir das mit Flüchtlingen. Willkommen im Heiligen Land an der EU-Aussengrenze. Werte und Wertsachen bitte abgeben. Oder wie sangen schon die Goldenen Zitronen? «Empörung aktivieren/Aufstehen, Aufstand, Anstand!»

Das Comeback des Anstands, nennen sie sowas. Bloss weil sich für einmal 41 Prozent der Wohnbevölkerung auf dem Zahnfleisch an die Urne geschleppt haben, um gemeinsam zu zeigen, wo der Fussbreit endlich anfängt. Es lebe die Demokratie. Dieses Schiff ist auf Kurs, sagen die StimmbürgerInnen jenes Landes – und natürlich: Wir wissen wovon wir sprechen. Auch wenn die einzigen Boote, die wir je gesehen haben, Pedalos und Segelboote sind, und letztere auch nur im Fernsehen in der guten alten Zeit, als wir noch wer waren.

Derweil in der richtigen Welt: Wir senken die Steuern weiter. Es werden wieder Boni ausbezahlt. Wir machen die Grenzen dicht. Wir plafonieren Kulturausgaben – letzteres fällt niemandem auf, weil der letzte Journalist, der das Wort «Plafonieren» buchstabieren konnte, jetzt Bücher schreibt. Wenn das Anstand ist, habe ich gar nicht genügend Mittelfinger um euch zu zeigen, was ich davon halte.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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