Im November kommt das Stück «Hangouts Litrap» zum ersten Mal auf die Bühne im Clubraum der Roten Fabrik. Worum geht es? Eine Frau, die an
allen möglichen Abhängorten viel Zeit verbrachte und der rap-affine O.G., Fan von Rapper Förig Young, begegnen sich in der Nacht an einer verlassenen Haltestelle im Nirgendwo.

Sie will erzählen, er will gar nichts. Wann kommt der Zug? Schwer verständliche Durchsagen dringen in den Raum. Der Zug kommt nicht. O.G. und DIE FRAU verwickeln sich in seltsame bruchstückhafte Gespräche über das Glück, Rap, die Immobilienblase, Abhängorte, apokalyptische Glücksreiter, süchtige Schwäne, die Arbeit und die Maus Frederik. Immer wieder werden sie unterbrochen durch den Empfang, der nach eigenen Gesetzen plötzlich ein- oder aussetzt und dessen Abwesenheit sie auf ihre eigenen Gedanken und Gefühle zurückwirft.

Was passiert, wenn nichts passiert? Dieser Frage versuchten Rapper Förig Young und ich im Stück HangoutsLitrap nachzugehen. Mit jeder neuen Fassung reagierten wir auf unsere Texte und Szenen. Das bedeutete für mich ein sehr bereichernde Schreiberfahrung, da Förig Young einen ganz anderen Zugang zur Sprache hat als ich: Er kommt «vom Rap», während ich eher «von der Literatur» komme. Beide konnten wir viel mit Fragmenten und Rhythmus und Reimen anfangen und hatten Lust, aufeinander zu reagieren. Im Folgenden ein paar Ausschnitte aus dem Stück.

O.G Hast du das gehört? Ein Zug. Was jetzt mit deiner Schwansucht! Höhö. Gott sei Dank, ich komme doch noch raus aus diesem Dschungelcamp für Obdachlose. Ohne Whatsapp, Telegram, TikTok, Instagram, Facebook, Snap Chat, Tinder, Twitter, Spotify, Apple Music, Tidal, Deezer, Soundcloud, Bandcamp, 20min Online, Blickamabend.ch, Twitch, Youtube, Netflix, Amazone Prime, Disney +, Hiphop.de, 16Bars.de, Lyrics.ch, Houseparty, Facetime und vor ALLEM ohne YOUPORN!!! Lacht laut.

Ich wusste, es kommt noch ein Zug.

DIE FRAU Warum hält er dann nicht hier?

O.G. und DIE FRAU
nach und nach rhythmisiert gesprochen.

Frag die scheiss SBB an der Europaallee! Irgendein technisches Problem, ein Versehn, ein Stromengpass, ich sag dir was: die Toilette ist zu nass. (…)
Es liegt am Beherrscher des Marktes
an der Antarktis am Cis am
Datenstrom am Klon der Expansions dem Sohn
des Datensammlers in der Wüste
am Dachsbau am Blauhelm am Blauspecht
am Recht an Ruprecht, dem Knecht
an der Nachfragekrise am Riesen
am Katalogdelikt am Verdikt
der Anleger am Kaminfeger am Bodenleger
an den gehackten Herzschrittmachern der
Kaufkraft dem Saft der Verschärfung
dem Marktverhalten den Paragrafen
den Parapheten den einbrechenden Bankenpropheten

DIE FRAU Normal tun, sagte der Cop,

O.G. Fuck the cöps. Die gehen eh immer nur auf die los, die ihnen gerade nicht passen. Was’ mit all den Koks-Leichen in den Bonzenclubs? Pisst doch mal denen ans Bein ey.

DIE FRAU Dann schauen wir weiter. Er tat normal, zeigte seine Identitätskarte, liess sich untersuchen und räumte alles auf, warf die Dosen in den Abfall. Der Cop ging. Dann tat er wieder nicht mehr normal.

O.G. Was mach ich überhaupt? Ich bin ja normal! Ich chill mein Leben! Und bin mich nice hier am Bewegen. Bist du überhaupt jemals normal gewesen!

DIE FRAU Die Norm ist mit ihr durchgegangen.
(…)

DURCHSAGE Chwwuuuschhhhhooooohschhchschschleiderschyyyychchchschschschschbsiesindchschschgeeeeeeeellllllschschprawumm.

O.G. Was labersch du eyyy?

DIE FRAU Jetzt hat ers doch grad gesagt.

O.G. Aber was?

DIE FRAU Eben, die Immobilienblase! Sie ist geplatzt!

O.G. Wer ist geplatzt?

DIE FRAU Die Immobilienblase!

O.G. Haha, na klar. Chill ma.

DIE FRAU Sag mal, geht dein Internet nicht? Kannst es dort lesen. Es gibt gute Bilder.

O.G. Ne Funkstille… typisch. In der Stadt. Da kannst du froh sein, wenn du einen Esel hast, der dich zur nächsten Telefonzelle bringt. Was’ mit deinem?

Stille

DIE FRAU probiert es aus. Vorhin ging es.

O.G. Ich hab keinen Empfang!

DIE FRAU Fischleichen treiben an der Wasseroberfläche, Enten und Schwäne haben völlig verklebt den See verlassen. Sie blockieren jetzt die Schienen. Merkst du nichts an der Luft?

(…)

O.G. (…)
ich komme von unten
markiere das revier
ein stummer schrei
dass sie kapieren dass ich hier bin
yeah ich bin hier
(…)
die gier treibt mich an wie ein tier
ich ziehe durch das netz sie haben mich im visier
doch ich schiesse zurück
auf der suche nach dem glück
gab ich nie einen fück
(…)

DIE FRAU Ich glaube, ich mein, ich hab so viel gesammelt… Ich war an allen Orten… Auf allen Parkplätzen, Tankstellen, Bahnhöfen, in Tiefgaragen…Ich habe gewartet. Ich dachte: irgendetwas muss doch da noch kommen… Kannst du mir zuhören?

(…)

O.G. Hahahahaha Al’er kein Plan was du laberst! Ne, aber Glück existiert nicht in der Realität und schon gar nicht an einem Ort wie Rotzloch. Rotzloch, Rotzberg, Rotzlochstrasse, Rotzbergstrasse, Rotzwinkel, Rotzhalde…

DIE FRAU Und in Brunnen am Hopfreben? Vor der radical Liquidation Seewen? Auf dem Sportplatz Gubeli? Beim Linggä in Isenthal? Beim Starzlen Muothethal? In der Tiefgarage Hofmatt? Vor dem Zentrum Glatt? Auf dem Chileplatz Schliere hinter der Box Flüele…?

(…)

DIE FRAU Die Schwäne warfen die Flügel auf, so segelten die apokalyptischen Glücksritter über das Land. Sie sah sie von weitem kommen, die Schwerter erhoben, die im Sonnenlicht blitzten, das Weiss der Schwäne leuchtete und blendete in den Augen.

Stille

Da wurde ihr schlecht, denn sie war nicht sicher, ob sie glücklich war.

(…)

DIE FRAU Er, der darunter litt, dass er unter allen Umständen Aufmerksamkeit erregen wollte, bastelte sich aus Plastikflaschen einen Sprengstoffgürtel und stieg in den Zug. Als der Zug schon eine Weile durch den Gotthardtunnel fuhr, stand er auf und sagte, was er unter seiner Jacke trage, sei ein Sprengstoff –

O.G. Shit! Ich habe Empfang! Tschüüüsch, elf Mitteilungen. Fick mein Leben, ich muss hier weg.

(…)

O.G. Aber er kannte die Story von Frederik nicht. Alle Mäuse hustlen sich den Arsch ab, nur Frederic chillt sein Leben, sagte ich. Und wenn es Winter wird, haben alle Mäuse was zu futtern, Und wissen Sie, was dann die anderen Mäuse tun? fragte ich den Cop.

DIE FRAU ALS POLIZIST Wir haben das Glück, dass hier jed_* fähig ist, sein Brot selber zu verdienen.

O.G. Die Mäuse, sagte ich, haben im Winter zwar genug zu fressen, aber sie frieren trotzdem, denn draussen ist es kalt. Nun kommt eben Frederic, der das ganze Jahr über gechillt und sich auf Ehre positive Vibes gegönnt hat, ins Spiel. Er hängt sich zu ihnen und erzählt ihnen Storys. Die Storys geben ihnen warm.

DIE FRAU hat gegen Ende der Geschichte Empfang. Mein Foto hat nur ein!! Like bekommen.

O.G. rappt, als Song aufbereitet

Clicks and fame
clickclickbang
Ich und die Gang
fick dein Game

Junge ich hab Hunger
hol mir mein Hack
gib mir deine Kohle
mach mal zack zack

Junge ich hab Hunger
mach mal nicht so
gib mir was mir zusteht
frag nicht wieso

Schnappe mir die Patte
so auf locker easy
ich will nicht so sein
aber Gott please believe me
(…)

DIE FRAU Ich wurde aus der Chat-Gruppe ausgeschlossen.

(…)

DIE FRAU Hör mal Helikopter –
Siehst du die Zugscheinwerfer?
Funken – Vögel sind in die Leitungen geflogen.
Eine Taube wurde geblitzt.
Die Schwäne fauchen.
Presslufthammer.
Helikopter.

O.G. murmelt
Die Presslufthammer suchen den ganzen Boden ab…

Judith Keller wohnt in Zürich. Sie ist freie Autorin und Sprachlehrerin. Bisher sind von ihr die Bücher «Die Fragwürdigen» (2017) und «Oder?» (2021) beim Verlag der Gesunde Menschenversand erschienen.
Premiere von Hangouts Litrap am Donnerstag 12. November um 20 Uhr im Clubraum der Roten Fabrik. Weitere Termine: 13. & 14. sowie 19. – 21. November.

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