Armut ist eine Sünde, eine düstere Unterwelt, ein bedauernswertes Dasein. Sie ist Sklaverei, macht einen wertlos, zumzur Aussätzigen. Wir verwenden den Begriff Armut auf einer oberflächlichen Ebene; die meisten Menschen in der westlichen Welt verschreiben sich keiner tiefergehenden Reflexion. Wir haben ein Kurzzeitgedächtnis, wenn es um Armut geht, vermeiden sie mit allen Mitteln: Bloss nicht von ihr berührt werden. Bloss nicht mit ihr in Berührung kommen. Die westliche Welt produziert Dokumentarfilme über Armut, um zu zeigen, dass man sich ihrer bewusst ist. Aber geht es wirklich um Bewusstsein? Oder ist es einfach ein weiterer Film, den man sich mit einer gewissen Schadenfreude zu Gemüte führt, während man bei Steak und Wein sitzt, dann zum Dessert übergeht und dann wartet auch bald schon das schön gemachte Bett mit der sauberen Baumwollwäsche auf einen und das Leben geht weiter? Wenn wir in den Urlaub fahren, sehen wir uns mit hungernden Bettlerinnen konfrontiert, die um ein paar Münzen bitten. Die Verzweiflung ins junge, verschwitzte Gesicht geschrieben. Sie suchen nach Altplastik, nach Elektroschrott, arbeiten auf Kokosplantagen, in Diamantminen – ohne Schutz und mit wenig oder gar keiner Nahrung. Sie verkaufen auf den unsicheren Strassen, was sie können, auch ihre jungen Körper, damit ihre Familien zumindest eine Mahlzeit am Tag auf dem Tisch haben. Wir tun unser Bestes zu ignorieren und zu vergessen, was wir dort sehen – zu düster, zu schwierig, um sich damit zu beschäftigen.

Aber einen Moment mal … wo kommt denn dieser monströse Reichtum her? Ich spreche von den Superreichen, den Milliardärinnen und Multimillionärinnen, die schamlos ihren unsauberen Reichtum zur Schau stellen. Ich spreche von den Täterinnen, die sich masslos auf Kosten armer – und vorwiegend dunkelhäutiger – Menschen bereichern, an ihrem Schweiss und Blut. Lasst uns kurz bei diesem Thema verweilen: Wohlhabende Menschen möchten, dass wir glauben, sie würden Unmengen an Steuergeldern zahlen, Tausende Arbeitsplätze in der Wirtschaft sicherstellen, ihren Reichtum in gemeinnützige Zwecke investieren, Schulen bauen sowie Spitäler für die Arbeiterinnen der dritten Welt … aber lasst uns nicht vergessen, dass das, was sie dafür aufwenden, ein Bruchteil von dem ist, was sie für sich selbst ausgeben.

Im Schweizer Fernsehen wurde eine Doku über eine Schweizer Wasserfirma gezeigt, die in Afrika Wasser abfüllte und es in der ganzen Welt verkaufte, während die Arbeiter*innen mehr oder weniger leer ausgingen und noch nicht mal Wasser hatten, um zu kochen oder zu duschen. Sie mussten das Wasser selbst kaufen, lebten in erbärmlichen Verhältnissen, konnten ihre Familien nicht versorgen, während Millionen von Wasserflaschen nach Europa verschifft wurden. Schön verpackt und präsentiert und mit unterschiedlichen Preisschildern versehen. Und wir kaufen es dann, ohne uns gross Gedanken darüber zu machen, wo es herkommt, ob Kinderarbeit dahintersteckt, ob Kinder krank werden, weil sie vor Ort verseuchtes Wasser trinken müssen. Wir verschwenden auch keinen Gedanken an all die Modefirmen, die ihre Imperien auf Kinderarbeit aufgebaut haben. Ein schlechtes Gewissen ist nicht gerade unsere Stärke; unsere grösste Stärke ist die Gier.

Die Zerstörung, die unsere Habgier anrichtet – unser Verlangen, alles zu besitzen zum billigsten Preis für die menschliche Arbeitskraft –, damit werden grosse Geschäfte gemacht. Ich möchte euch nur daran erinnern, während ihr Steak, Wein und das Wasser aus elegant gestalteten Flaschen geniesst, dass ihr von Zeit zu Zeit einen bewussten Blick auf die menschlichen Kosten werft, die uns diesen privilegierten Lebensstil ermöglichen.

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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