Es ist kalt geworden an den Bahnhöfen, in den Köpfen und den Facebook-Kommentaren. Die Weichen frieren ein, der Weg geht nur noch geradeaus. Und wenigstens in einem Punkt sind sich einmal wieder alle einig, oder? «Eins, zwei, wartet nur, da vorne lauert Diktatur.»

Soweit ist es also schon gekommen. Man darf nicht mehr sagen, wie es ist. Man darf einen Arsch nicht mehr bei seinem Namen nennen, egal wie lange Shakespeare mit Rosen hinter dem Rücken lauert. Man darf ein totes Kind nicht mehr mit einem Schweinegesicht zeichnen, egal ob die Aussage kannibalisch gemeint ist oder nicht. Man darf Vermutungen über vermeintliche Nationalitäten, Hautfarben und Aufenthaltsstati nicht mehr ungedruckt lassen, bis vielleicht einmal Fakten vorliegen. Ja, man weiss in diesem Land schon nicht mehr, was jetzt eigentlich ein Ausländer ist und was nicht. «Was ist jetzt mit diesen blöden Second@s und warum sind die eigentlich nicht schon lange Papierlischweizer wie wir anderen?», fragen wir verwirrt an den Bürgerversammlungen von Emmen bis Oberwil-Lieli.

Das Volk befiehlt, hören wir. Wir legen eine Hand aufs Herz, blicken verwirrt hinter uns und fragen: «Wer? Wir? Seit wann? Kann uns das jemand erklären?» Doch die Spezialisten schweigen. Hansueli blinzelt. Chantal ist betroffen. Daniel sucht nach Koks. Zappel-Philipp regt sich ein bisschen auf und rutscht auf dem Stuhl herum, kurz bevor er ihn frei gibt oder die Karre an den Baum fährt. Denn sie alle wissen: Wer redet, ist verdächtig. Wer weiss, was ein Richter, eine Sexworkerin oder ein Statthalter ist, der muss ja Dreck am Stecken haben. Darüber reden wir nicht in der Öffentlichkeit. Das geht schon wieder vorbei.

«Frölein, nomoll zwöi Chübel, bitte.» Unsere Antwort auf alles. Höflich weiter saufen und so tun, als ob nichts wäre. Der einzige, der uns zwischen die Beine greift, ist ja der Türsteher. Wir trinken uns den Kontext schön. Wir atmen weiter. So schlimm kann das alles gar nicht sein. So lange die Sirenen am geschlossenen Fenster vorbei ziehen, brauchen wir noch nicht nachzusehen, ob unser Stuhl brennt. Wie sagte unser Vorzeigeburschenschaftler schon? «Man darf den Faktor Unfähigkeit in der Politik nie unterschätzen.» Famous last words, könnte man sich denken.

Es ist kalt geworden. Das Sternenkind hat sich hinter den Vorhang zurückgezogen. Der Telefonbeantworter Gottes seine letzte Nachricht abgespielt. Wahrscheinlich waren es die letzten Worte von Robert Erskine Childers: «Macht einen Schritt vorwärts, Jungs – es wird einfacher.» Harr, Matey. Nur noch diesen einen Schritt. Nur noch diesen einen Drink. Nur noch diese eine Initiative. Irgendwann hört das schon wieder auf. Und wer das glaubt, kann friedlich sterben. Wer nicht, der hilft gefälligst mit, den Müll rauszutragen.

 

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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