An Pfingsten geht in der Roten Fabrik die erste Ausgabe des «Rhizom» um: Ein engagiertes Festival für alternative elektronische Musik – aber nicht nur. Der konsumistische Habitus des gängigen Festivalbesuchs soll hinterfragt werden – und die BesucherInnen sollen zum Nachdenken angeregt werden. Der Gründer-Verein Vazem erzählt, wie das aussehen und sich anfühlen wird.

Michelle Steinbeck: Vazem – wie laufen die Vorbereitungen?

Verein Vazem: Auf Hochtouren! Die Produktion und Konzeption unseres Festivals im Kollektiv kann mit dem Schälen einer Zwiebel verglichen werden: Schicht für Schicht. Wir sind nun bei den inneren Lamellen angelangt – Künstler und Experten werden bestätigt, die Raumkonzepte finalisiert, Helfer-Listen kreiert, Bestellungen gemacht.. Das Rhizom beginnt zu leben.

In einem Satz: Was passiert am Rhizom-Festival?

Die Besucher werden überrascht, bewegt und angeregt werden.

Es wird gemunkelt, dass an diesem Wochenende nicht nur getanzt werden soll. Ihr wollt ein «engagiertes Musikfestival» sein. Wie wird das aussehen?

Der Verein Vazem stützt sich bei all seinem Handeln auf seine Charta. Die Vereinsmitglieder, die Barmitarbeiter, die Helfer und auch die Künstler engagieren sich vor allem im Volontariat, also auf Freiwilligenbasis und ohne Lohn. Das Engagement geht aber weiter: Vazem hat sich vorgenommen, seine eigene Kritik an Gesellschaftsstrukturen in der Gestaltung des Festivals umzusetzen. Statt einem traditionellen Securitykonzept zu folgen, stellen wir zum Beispiel ein Awarenessteam, und im Booking streben wir Gender Equality an. Ausserdem haben wir uns für ein Prix-Libre Konzept entschieden.

Das heisst, ihr überlasst den Leuten, wieviel Eintritt sie zahlen möchten?

Genau, schon am Eingang wird jeder Besucher über unser Programm und unsere Haltung informiert. Er bekommt dann die Möglichkeit selber zu entscheiden, wieviel ihm der Besuch wert ist. Wir wollen es jedem ermöglichen, an unserem Happening teilzunehmen – egal wie viel Geld er hat. Und es interessiert uns, wie die Gäste auf diese Freiheit reagieren. Wir freuen uns, dass das von uns gewählte Eintrittskonzept einen jeden zum Denken und selbstverantwortlich Entscheiden anregt.

Das motiviert wohl auch, mehr übers Rahmenprogramm zu erfahren…

Am Samstag wird ein Kongress-ähnlicher Moment in der Shedhalle produziert: Es gibt einen Workshop zum Thema Ziviler Ungehorsam, Panels zur Genderproblematik und Lectures zur kulturellen Aneignung. Der Besucher ist eingeladen, an diesem politisch-ethischen Kongress aktiv teilzunehmen.

Panels, Podien – ein kleines M4Music?

Auf jeden Fall wollen wir mit unserem Festival eine Plattform zur Verfügung stellen, auf der Clubkultur und elektronische Musik nicht nur konsumiert wird. Es soll auch diskutiert, geweckt und vernetzt werden. Deshalb werden Diskussions- und Vernetzungsmomente ins Festival mit eingeplant. Elektronische Musik hat sonst nicht wirklich einen prominenten Platz an grossen Festivals wie dem M4Music. Höchstens wenn es darum geht, really big Names zu buchen.

Du hast vorher eure «Charta» angesprochen. Was steht da alles drin?

Die Charta definiert unsere Ziele, unsere Ethik und Haltung und beschreibt unsere Strukturen und die Finanzierung. Die Charta hält unser Verständnis von alternativer elektronischer Musik fest als «jene Strömungen, die von einer gewissen Qualität zeugen, also für Unverwechselbarkeit, Charakter, Innovation, Passion und DIY-Geist stehen, und die in der hiesigen Szene untervertreten sind.» Sie schreibt weiter vor, dass «die Kultur als solche im Vordergrund stehen soll, und nie die einzelne Person bzw. ein individuelles Produkt.» Sie erinnert uns daran, dass «unsere Haltung unter anderem einen kritischen Umgang mit jeder Form von Diskriminierung, Ausbeutung, Konsumzwang, Selbstbereicherung und Gewalt» verlangt, und dass ein dem entgegenstehendes Verhalten in keiner Weise in unseren eigenen Reihen geduldet wird. Ausserdem definiert die Charta die Arbeit seiner Mitglieder als Freiwilligenarbeit und schreibt vor, dass und wie wir nicht Gewinn orientiert arbeiten.

Ihr wollt eine kritische Haltung einnehmen und gesellschaftliche Missstände und kulturelle Konventionen beleuchten. Wo seht ihr diese in einer durchtanzten Clubnacht?

Die Missstände in einer durchtanzten Clubnacht? Hmm… Grundsätzlich sind im Bereich des Nachtlebens und der Clubkultur die Probleme nicht anders, als im gesellschaftlichen Alltag. Gleichberechtigung, Zugang für alle zu allem, gewaltfreie Kommunikation, Respekt und Grossmut sind leider keine gelebten Tatsachen.

Ein Grundsatz von euch ist der Fokus auf Kunst: Warum?

Weil die Kunst es ist, die uns zusammenhält. Weil wir alle für sie viel und gerne Herzblut vergiessen, wir ihr ganz viel unserer Zeit widmen. Weil wir mit ihr berühren und überraschen wollen, weil wir sie sichtbar machen wollen.

Ihr macht, wie es scheint, nicht gross Werbung; auf eurer Webseite steht gerademal ein Datum. Warum? Wer soll an Pfingsten in die Fabrik pilgern?

Wir erwarten stark musikaffines Publikum – alle, die sich für unsere Ideen und Inhalte interessieren. Wir verzichten bewusst darauf, den klassischen Promoapparat ins Zentrum unserer Produktion zu stellen. Wir vertrauen auf unsere Ausstrahlung, auf die Netzwerke der Vazem-Mitglieder, die sich synergetisch zusammentun werden am Pfingst-Wochenende. Und wir laden die Schweizer Szene aus dem Bereich der alternativen elektronischen Musik zum Austausch, zum Gathering ein – das ganze Ökosystem bestehend aus Plattenlabels, Künstlerkollektivs, Clubs, Festivals, Plattenladen, Fachpresse, etc. Die klassischen Kommunikationsmittel vergessen wir dabei nicht: Auf unserer Website steht zwar zur Zeit nur ein kleiner Teaser, die Informationen zum Programm und unserer Idee werden aber bald publik gemacht. Ausserdem haben wir eine Rhizom-Facebook-Seite wo unsere Charta bereits veröffentlicht wurde.

Das Festival wird thematisch aufgeteilt in zwei Räume. Könnt ihr dazu schon etwas verraten?

Wir experimentieren auf verschiedene Weise mit den Räumen bzw. deren Gestaltung. Damit die Kunst und das Erlebnis im Vordergrund stehen, werden die Künstler nicht im klassischen Sinn frontal präsentieren. Im Clubraum wird das Pult in der Mitte und auf gleicher Höhe mit dem Publikum stehen. Die Besucher können sich rund um den Künstler bewegen. Es wird Momente geben, in denen der Raum ganz dunkel ist. Und solche in denen die Lichtinstallation psychedelische Drehmomente kreiert. In der Aktionshalle wird es mobile Bühnen geben, die überraschend aufpoppen. Die Besucher können sich auf sie zu bewegen. Die Aktionshalle wird auch musikalisch ein Spielfeld sein – mal noisig, mal droneig, mal punkig, mal ganz sphärisch werden die Performances sein.

Ich habe gelesen, ihr plant einen «Raum der Teilhabe und des Miteinanders. Einen Raum, der Musik und das Publikum in Einklang bringt und eine Ästhetik und Praxis des Teilens etabliert.» – Was, wenn einem solche Formulierungen verdächtig «gschpürschmifühlschmi» vorkommen?

Wir wollen doch, dass man uns spürt – haha!

Der Verein Vazem hat dieses Festival ins Leben gerufen. Wer ist dabei?

Wir sind alle in Zürich aktiv – manche in einem Kollektiv, manche als Einzelkämpfer. Von autonom bis alternativ veranstalten und produzieren wir seit geraumer Zeit. Es gibt ältere, erfahrenere und ganz junge unter uns. Viele von uns sind selber Musiker. Namen wollen wir nicht in den Vordergrund stellen – weder die der Personen, noch die unserer Projekte und Produkte.

Ihr seid eine recht gemischte Truppe. In welchen Anliegen und Motivationen habt ihr euch gefunden?

Was uns verbindet, ist das ausgiebige Herzblutvergiessen für die alternative elektronische Musik und Clubkultur. Und der Wunsch, im Kollektiv Träume wahr werden zu lassen.

Ein Rhizom ist in der Botanik ein Sprossachsensystem. Inwiefern macht ihr ein solches?

Deleuze und Guattari haben geschrieben: «In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien.» Diese Philosophie, das botanische Sinnbild der antihierarchisch spriessenden, unzerstörbaren Wurzel im Untergrund, und nicht zu letzt das wohlklingende Wort haben uns veranlasst, den Namen Rhizom für unser erstes Projekt zu verwenden.

Ihr wollt im Vorfeld kein grosses Line Up herausposaunen. Könnt ihr uns ein paar Insider flüstern?

Es werden Künstler von nah und fern auftreten ­– man wird Namen kennen und gespannt gemacht werden auf Neuentdeckungen. Und hey, Insider: in 2-3 Wochen werden alle Künstlernamen in alphabetischer Ordnung auf unserer Website publiziert.

Worauf freut ihr euch am meisten?

Darauf die Wurzel, die wir seit Monaten sorgsam pflegen, spriessen zu sehen. Zu sehen, wie sich die kleine Festivalwelt in der Roten Fabrik mit Leben füllt. Und auf die Musik! Aufs tanzen!

Rhizom findet vom 3. bis 5. Juni auf dem ganzen Gelände der Roten Fabrik statt.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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