Der wichtigste Vorteil des Internets ist in der Unterhose symbolisiert. Nie zuvor konnte der Mensch so viel erreichen, ohne Hosen anzuziehen. In Schlafuniform kann man Nachrichten lesen, das Fernsehprogramm der letzten Woche nachholen und sogar Bücher, Elektronik und Essen einkaufen. Als die ersten motivierten Online-Shopper realisierten, wie schön sie lebten, entstand schnell ein grosser politischer, vom Internet katalysierter Hype. Der endlich universale Zugang zu Informationen sollte sämtliche Aspekte des Lebens bequemern und verbessern. Im gleichen Zug sollte er alle Industrien, die damit in Kontakt kommen, benutzerfreundlicher macher, indem es den Wettbewerb perfektioniert. Auch für die Demokratie gab es grosse Hoffnungen – für das Funktionieren eines demokratischen Systems braucht es immerhin eine unabhängige Medienlandschaft. Und wo sonst kann diese Medienlandschaft unabhängiger sein als online?

Dieser Optimismus war aber kurzlebig, denn, wie es halt so oft geschieht, wurde alles versaut. Und zwar von Big irgendwas. Was der Natur ihr «Big Oil» und der Medizin ihr «Big Pharmaceutical», das ist des Internets «Big Data», soweit der Konsens. Zwar soll die grosse Gefahr nicht darin liegen, dass Spotify jetzt schon weiss, dass ich mir die neue Katy Perry Single nicht anhören will, bevor sie überhaupt geschrieben wurde. Vielmehr geht es darum, dass der für die Demokratie so wichtige Dialog zwischen den politisch Andersgesinnten in die Unsichtbarkeit (oder auf Seite 2 der Google Suchergebnissen) geschoben wird.

Diese Angst ist aber Quatsch – die Demokratie steht nicht kurz davor, vom Internet zerstört zu werden.

  1. Die «Filterbubble» gibt es schon lange. Auch schon bevor Google von der freundlichen Garagen-Firma zur Big-Internet- Monstrosität mutiert ist, als welche man sie heute gerne beschreibt.
  2. Nicht nur ist das Problem nicht neu und gar nicht durch das Internet entstanden, es kann sogar durch das Internet viel einfacher gelöst werden!

Das Internet hat vieles zu bieten, so viel sogar, dass es unmöglich ist, sich alleine eine Übersicht zu schaffen. Verschiedene Instanzen bieten also Filter an, um dem User die Auswahl an Content zu vereinfachen. Diese Filter werden immer besser personalisiert und führen dazu, dass der User vor allem diejenigen Inhalte sieht, die er am wahrscheinlichsten anklicken wird. Das bietet ein bequemeres Surfen –jedoch auch ein isoliertes, weil die Nachrichten und Outlets, die man am unwahrscheinlichsten anklicken würde, werden gar nicht angezeigt. Diese zeigen eine Realität an, die zwar nicht die unsere ist, aber die von vielen anderen Mitmenschen. Für den demokratischen Dialog ist die Interaktion zwischen verschiedenen Meinungslagern essenziell. Was dabei herauskommt, kann man sich etwa so vorstellen, als würden Sie sich in Ihrer Freizeit hauptsächlich mit Menschen umgeben, die Ihre politische Ausrichtung teilen. Soweit also die Theorie der Filterbubble Problematik.

Man sollte aufhören, von einer technologischer Problematik zu reden und stattdessen klarmachen, dass wir es hier mit einer menschlichen Schwäche zu tun haben

Hier zeigt sich schon das erste Problem der Anti-Filterbubble-Argumentation. Man sollte aufhören, von einer technologischer Problematik zu reden und stattdessen klarmachen, dass wir es hier mit einer menschlichen Schwäche zu tun haben: Der User wird von Anfang an als Objekt klassifiziert und sein einseitiger Informationszufluss als Ergebnis eines Verhaltens, das nicht dem seinem entspricht. Das ist eine Fehlüberlegung; schlussendlich entscheidet nämlich der User , was er anklickt und anhand dieser Entscheidungen werden die Empfehlungen zusammengestellt. Genauso wie der User entscheidet, wer seine Freunde sind, so entspringen die Informationen, die im Umfeld des Users hervorgehoben werden, der „Schuld“ des Users und nicht des Umfelds. Das Filterbubble-Problem ist somit nicht etwas, was dem Voranschreiten der Technologie entstammt.

Wo kommt also das Missvertändnis her, dass wir es heute mit einer neuen Schwierigkeit im demokratischen Dialog zu tun haben? Hier ist es wichtig, einem der lautesten Verfechter der Filterbubble-Theorie zuzuhören: Eli Praiser. In seinem Ted Talk zu Filterbubbles äussert sich der CEO von «Upworthy» zur Geschichte des Journalismus. Hier eine stark zusammengefasste Version seiner Präsentation (der zynische Unterton wurde hier vom Autor dazu gedichtet und entstammt nicht dem ursprünglichen Vortrag Praisers):

Es war einmal eine Zeit, in der Journalisten bloss Müll veröffentlichten und alle Nachrichten Dreck waren. Um 1915 fingen Journalisten dann an, ein ethisches Bewusstsein zu entwickeln und die demokratische Funktion der Presse zu respektieren. So war alles gut, bis das US-Militär es versaute – typisch! – indem es das Internet erfand. Da Max Mustermann nun zwischen allen Nachrichten der Welt auswählen konnte, brauchte es jemanden, der das Ganze sortierte und ihm sagte, was er am wahrscheinlichsten lesen wollte. Und weil diese neuen Editoren wollten, dass Max sie mochte, zeigten sie ihm, was er lesen wollte und nicht, was er eigentlich lesen sollte – Big Mac statt Salat.

Wenn es nach Praiser ginge, würden die CEOs von Google und Facebook heute eine ähnliche Verantwortung auf sich nehmen müssen. Herr Praiser hat da aber etwas vergessen: Die News- und Kolumnenschreiber, die am meisten konsumiert werden, haben die journalistische Ethik schon lange hinter sich gelassen. Die Nachrichten sind unabhängig vom Internet erstellt worden und haben schon länger nicht mehr viel mit der demokratischen Verantwortung von 1915 zu tun. Am einfachsten sieht man das an der Tatsache, dass der meiste Inhalt immer noch in den grossen Zeitungen dieser Welt geschrieben wird (vom Blogs und Op-eds mal abgesehen) und die Informationen, auf denen diese Inhalte basieren, von den gleichen vier News-Agenturen stammen. Das Internet hat bloss einfacher gemacht, was schon immer der Fall war: Der Liberale liest die ‹New York Times›, der Konservative den ‹Wall Street Journal› – und beide Zeitungen haben ihre Infos von Reuters oder Agence France Presse. Der Unterschied heute ist bloss, dass der Liberale auch ‹Slate› oder ‹Jezebel› lesen kann. Im Prinzip ist alles gleich.

Die grösste Ironie der Filterbubble-Panik liegt wahrscheinlich in dem Kanal, welcher den Begriff «Filterbubble» überhaupt bekannt gemacht hat. Die «Ted Talks» sind nichts anderes als ein Online-Service, um Menschen auf der ganzen Welt auf andere Ideen aufmerksam zu machen. Das einzige, was man dazu machen muss, ist ein bisschen auf der Website von «Ted» (www.ted.com) herumzusurfen und auch Links anzuklicken, die nicht von gleichgesinnten Freunden auf Facebook geteilt worden sind.

Was uns zum nächsten Punkt bringt: Es bietet sich uns nun die Möglichkeit, diese schon lange existierende «Blase» auf einfache Art und Weise zum Platzen zu bringen.

Es gibt eine entscheidende Diskrepanz zwischen dem Menschen, den wir online sind und dem Menschen, den wir online gerne wären. Die Lösung für das Filterbubble-Problem ist nicht, die grossen Internetfirmen zu dämonisieren, sondern diesen Unterschied aus eigener Kraft zu verkleinern. Denn die Filtermechanismen des Internets sind auf unsere «echten» Persönlichkeiten zugeschnitten und nicht auf unsere Wunschidentitäten (sonst wäre mein Facebook ja voll mit Philosophie-Essays und Tipps für die nächste Crossfit-Session).

Für einen Contentprovider macht es Sinn, den Menschen zu ködern, der du bist und nicht jenen, der du sein willst. Das heisst aber nicht, dass uns die Möglichkeit genommen wird, uns zu verbessern. Es ist nicht schwierig, als progressiver Liberaler einfach mal die Website des Wall Street Journals zu besuchen. Da kann Ihnen nicht mal der Algorithmus von Google im Weg stehen. Oder Sie klicken ein bisschen auf die Links, die sich mit Ihrer persönlicher Ideologie nicht so anzufreunden scheinen. Lesen müssen Sie die Texte nur, wenn Sie wirklich toll sein wollen. So oder so wird sich Ihre Facebook-Seite schnell mit dem vielfältigen Meinungsmosaik füllen, das unsere Gesellschaft repräsentiert.

Wenn Sie so sind wie ich, haben Sie im Browser wochenlang irgendwelche grossartig interessante Essays in den letzten 4 von 17 geöffneten Tabs – bis entweder ihr Computer so langsam geworden ist, dass die neuste Simpsons-Episode nicht mehr schnell genug lädt oder Sie sich in einem Moment schmerzhafter Selbsterkenntnis eingestehen, dass Sie eigentlich keine Lust haben, sich in Ihrer Freizeit intellektuell anzustrengen.

Am besten vertrauen Sie in diesem Fall dem Autor – er ist sicher ganz gescheit – und übernehmen das Fazit, das im Titel zusammengefasst wurde. Sie haben ja sicher auch eine Kopie von ‹Faust› oder ‹Die Metaphysik der Sitten› auf dem Nachtisch, das beweist, dass ein solches Verhalten ebenso offline möglich ist.

Geben Sie dem Facebook-Profil ihres SVP-stimmenden Onkels einfach ein bisschen Aufmerksamkeit und googlen sie die Outlets, die Sie nicht so gerne haben.

Was heute aber neu ist: Es ist schon super, dass sie diese Essays angeklickt haben! Und wenn diese noch eine gewisse Vielfalt aufweisen, haben Sie Ihr Filterbubble-Problem schon zur Hälfte gelöst (ein bemerkenswerter Vorteil zur alten Technologie, denn den Faust zu kaufen heisst nicht, dass sie ihn schon zur Hälfte verstanden haben).

Hier also ganz offiziell zu lesen: Keine Panik! Die anders-gesinnten Menschen werden nicht einfach verschwinden. Geben Sie dem Facebook-Profil ihres SVP-stimmenden Onkels einfach ein bisschen Aufmerksamkeit und googlen sie die Outlets, die Sie nicht so gerne haben. So schnell haben Sie sich zum demokratischen Idealmenschen hochgearbeitet und somit ein uraltes Problem gelöst. Die darauffolgenden sieben Stunden, die Sie dann mit «House of Cards» verbringen, haben Sie sich redlich verdient.

Die Blase, vor der man heute überall gewarnt wird, ist also keine neue, sie ist jetzt einfach online. Und anders als zuvor, kann man diese Blase viel einfacher zum Platzen bringen. Man muss sich dafür nicht einmal eine Hose anziehen.

Amos Wasserbach studierte Politikwissenschaften in Israel. Dort wurde er israelischer Debattiermeister und erreichte das Halbfinale der Weltmeisterschaft. Er hat in verschiedenen Friedensprojekten Argumentations- und Debattier-Seminare geleitet.

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