«D‘ Bewegig» sorgte 1980 für ein stürmisches Klima in Zürich. Die von der damaligen Stadtregierung in den 1970er Jahren ignorierten Forderungen nach alternativen, nicht von den Behörden kontrollierten Kulturangebote bildeten den Nährboden für zunehmende Demonstrationen und die verzweifelten bis dadaistischen Sprüche, an die wir uns bis heute erinnern. Das Aufeinanderprallen von jugendlichen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Strukturen fand am 30. Mai 1980 in den Opernhauskrawallen ihren grössten Ausbruch. Die Zürcher Jugendunruhen äusserten sich an diesem Tag mit einer solchen Heftigkeit, dass selbst internationale Medien wie die «New York Times» darüber berichteten.

Bereits damals war klar, dass Zürich nach 1980 nicht mehr dieselbe Stadt sein würde. Zwar kam die Bewegung nach dem Abriss des Alternativen Jugendzentrums AJZ hinter dem Hauptbahnhof 1982 weitgehend zum Erliegen, aber das vielbeschwörte «Eis» war gebrochen. Davon zeugen nicht nur die erkämpften und erschaffenen heute noch bestehenden Räume in der Roten Fabrik oder dem Kanzleiareal, sondern auch eine offenere Haltung gegenüber Besetzungen und alternativer Kultur sowie zahlreiche Anlässe wie das Theaterspektakel, Openair Kinos, oder später der Streetparade.

Die Beispiele deuten es an: Durch die neue Akzeptanz damals alternativer Lebens- und Kulturformen entstanden auch neue Zielgruppen für den Konsum- und Werbemarkt. Im Zusammenhang mit der Zürcher Bewegung wird häufig betont, wie betoniert Zürich vor 1980 im Stadtbild und in den Köpfen war. Die von der Bewegung geforderte Öffnung wurde zu einem Faktor der ökonomischen Attraktivität Zürichs. Erst die alternative Kultur machte Zürich zur «Weltstadt», die sie alleine durch Banken und Industrie nie geworden wäre.

Heute, vierzig Jahre nach dem Höhepunkt der Bewegung müssen Industrieareale nicht mehr vor dem Abriss auf Vorrat gerettet werden. Stattdessen werden von der Stadt Projektwettbewerbe zur Entwicklung (oft gleichbedeutend mit Zwischennutzung) von Arealen lanciert. Oder sie werden gleich eigenhändig von internationalen Digitalkonzernen und Innovation-Hubs umgebaut, die mit ausgefallenen Arbeitsmodellen das kreative Potential abschöpfen möchten. Vielen scheint dies als gesellschaftlicher Fortschritt zu reichen – und so erstaunt es nicht, dass heute der kollektiv-geführte «Ziegel Oh Lac» von Gästen in einem Zug mit dem kommerziellen «Frau Gerolds Garten» genannt werden kann. Die Grenzen zwischen alternativem Idealismus und kommerziellem Asset verschwimmen.

D’Bewegig ist je nach Anschauung in der Stadt aufgegangen oder zum Stillstand gekommen. Wir haben fünf Autorinnen und Autoren gebeten, auf die Ereignisse der 80er Jahre in Zürich zurückzuschauen und kritisch zu reflektieren. Zusätzlich haben wir zehn damalige Bewegte (und Unbewegte) nach ihren Erinnerungen an den 30. Mai 1980 befragt, und auch danach, was in ihren Augen von der Bewegung geblieben ist. Was ist ihr «Verdienst», was hat sie «angerichtet» und wann ist sie zum Erliegen gekommen? Erhalten haben wir persönliche und reflektierte Zeitzeugnisse, die helfen, das Geschehene einzuordnen – und mehr oder weniger explizite Forderungen und Fragen für heute: «Wo ist die nächste Bewegung?»

Ivan Sterzinger ist ein ehemaliges Redaktionsmitglied der Fabrikzeitung.

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