Für viele Schwarze ist Religion ihr Ein und Alles. Religion kommt vor Sex, vor Familie, vor Arbeit und, zu einem gewissen Grad, auch vor Geld. Wir leben Religion, wir lieben Religion. 

Schwarze haben sich stets darauf verlassen, dass die Religion sie beschützt, ihnen beibringt, respektvoll zu sein, Empathie zu haben für andere, Verständnis und Toleranz für erbitterte Rivalen, sie anhält, Familie und Ehe zu ehren, sich Gott zuzuwenden – Gott ist der Weg, die Wahrheit und das Licht. Er ist es, der uns ernährt, uns kleidet, uns tröstet, uns Kraft gibt weiterzugehen, wenn der Weg steinig ist. 

Religion ist tief im Leben Schwarzer Menschen verwurzelt. Sie hat ihnen in der Zeit der Sklaverei Kraft gegeben, als sie wie Untermenschen behandelt, aus ihren Heimatländern entführt, gefoltert und zur Baumwollernte gezwungen wurden. Die Sklav*innen mussten während ihrer Gefangenschaft um ihr Überleben kämpfen, gefesselt lagen sie Seite an Seite unter den unmenschlichsten Verhältnissen, die man sich vorstellen kann. Mit wenig Abstand lagen sie Tag für Tag auf den Schiffen in ihren eigenen Fäkalien. Die, die es nicht schafften, schmiss man einfach über Bord. Junge Männer, die ihre schwangeren Frauen an die Sklaventreiber und das Meer verloren. Die Religion stand ihnen damals bei und tut dies auch heute noch.

Musik war unsere Medizin, Religion unsere Hoffnung und unser Glaube. Wir sangen in Lumpen gekleidet in den Baumwollfeldern, um unserem Elend zu entfliehen, dem Heimatland entrissen, ausgepeitscht von unseren Besitzern in einem fremden Land, so sangen wir über das, was uns zustiess, jeden Verlust, jede Vergewaltigung, jeden Schlag. 

Auch ich bin sehr religiös aufgewachsen und habe in Kirchen gesungen, aber in unseren karibischen Kirchen waren selbst die Priester weiss. Uns war es nicht erlaubt, unsere eigene Religion zu praktizieren, die Naturheilung und Pflanzenmedizin vorzog, und durch die wir mit unseren Vorfahren in Kontakt treten konnten. Sie nannten das Voodoo-Medizin. Wenn man beim Praktizieren von Voodoo erwischt wurde, wurde man von den Weissen ausgepeitscht, bis das Blut floss. Nur die weisse Religion wird ausgeübt, die weisse Bibel gelesen. Englisch wurde zur neuen Muttersprache, wenn man die weisseBibel las, wir bekamen sogar neue englische Namen. 

Sich an seinen Sklavennamen zu gewöhnen, nach der englischen und französischen Bibel zu leben – Jahre später wurden viele ehemalige Sklaven Prediger, weil sie nach Zugehörigkeit suchten, nach Sicherheit. Viele Jahre lang wurden sie körperlich und psychologisch missbraucht in dem Glauben, es gebe nur eine wahre Religion: die der Weissen.  

Sie sahen die Macht der Weissen, ihren Reichtum, ihre Schönheit und sie beteten, dass ihr Gott ihnen dieselben Gaben zugestehen würde, aber es ging nur darum, uns arm zu halten, damit wir Sklaven bleiben mussten. 

Die Schwarze Sonntagsmesse ist ein Ort der Versammlung, der Zugehörigkeit, des Zusammentreffens, an dem wir Freud und Leid teilen können, ein Ort des Trostes und der Freiheit. Trotzdem herrscht in vielen Schwarzen Kirchen noch immer die Angst, mit einem wachsamen Auge zur Tür. Es ist schwierig, seine Religion als Schwarzer in einem weissen Land auszuüben, aber unseren Glauben wird uns das nicht nehmen. Das ist unsere Überlebenskraft. Wir mögen stark aussehen, aber was uns bis heute hat überleben lassen, ist unser Glaube, die Hoffnung und Erlösung. Niemand kann uns unseren Gott nehmen, denn er sitzt tief in unserer Seele, dem einen Ort, den die Weissen nicht erreichen können. Wow. 

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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