Die Konzerthallen stehen leer. Die Erinnerung an schweisstreibendes Tanzen in der Menge, an Mitgrölen aus tausend vollen Kehlen – diese geballte unhygienische Gedrängtheit löst heute ungläubiges Schaudern aus. Im Rahmen dieser globalen Tragödie öffnet Schräder seine Schatulle: Unveröffentlichte Interviews aus besseren Zeiten. Den Anfang macht der mittlerweile verstorbene US-Rapper Mac Miller.

Es ist der 16. August 2013, kurz nach 22 Uhr. Malcolm McCormick alias Mac Miller sitzt in einem Container im Backstagebereich des Royal Arena Festivals in Orpund bei Biel. Er ist nervös, zappelig, raucht Kette. Eine knappe Stunde später wird er vor mehreren tausend Schweizer Rapfans stehen.
Doch während die Finger die Zigarette immer wieder hastig zu Mund führen, ist er voll konzentriert, in seinen Antworten ganz entspannt, bedeutet der Pressedame des Festivals, er habe mehr Zeit als die vorgesehenen zehn Minuten. Es werden schlussendlich 13. Eine Zeitdauer, die normalerweise kaum für ein anständiges Gespräch reicht. Doch im Fall von McCormick, der zum Zeitpunkt des Interviews gerade mal 21 ist und mit «Watching Movies With The Sound Off» soeben sein zweites Soloalbum veröffentlicht hat, sind 13 Minuten genug, um kurz in seine Welt einzutauchen.
Fünf Jahre später, am 7. September 2018, verstarb er in seinem Haus in Los Angeles. Malcolm McCormick ist tot, Mac Millers Musik lebt weiter: Allein auf Spotify hören jeden Monat 14 Millionen Menschen seine Songs.

Wann sind Sie in der Schweiz angekommen?

Heute morgen. Ich hatte einen tollen Tag.

Was haben Sie gemacht?

Wir waren draussen in der Natur, sind durch die Parks spaziert, haben Kaffee getrunken. Es war richtig schön entspannt.

In welchem Gemütszustand waren Sie während der Aufnahmen zu «Watching Movies With The Sound Off»? Es unterscheidet sich schon stark vom Vorgänger.

Hm, schwer zu sagen. Ich war sehr darauf fokussiert, ein Album aufzunehmen, anstatt mich auf einen einzelnen Song zu konzentrieren. Es sollte eine Einheit werden, das war das Ziel. Etwas, das man sich von Anfang bis zum Ende durchhören kann.

Mit welchen Herausforderungen sieht man sich dabei konfrontiert?

Die Dämonen sind alle in unserem Innern. Es liegt an uns, sie unter Kontrolle zu bringen. Natürlich gelingt uns das nicht immer. Jeder hat schlechte Tage. Aber jetzt gerade fühle ich mich super. Es war ein toller Tag.

Wie war es denn, als Sie an dem Album gearbeitet haben? Wie stand es da um die Dämonen?

Das ist nicht so einfach in Worte zu fassen. Da geht es nicht nur um eine Sache. Als ich dieses Album aufgenommen habe, musste ich einige Dinge zur Seite schieben, um mich auf das Album konzentrieren zu können. Und das habe ich getan. In dem Moment hat es sich richtig angefühlt.

Auf dem Album hört man seltsame Stimmen, Klangeffekte, Platten, die rückwärts laufen. Was hat es damit auf sich?

Ich hab hier und da ein paar Botschaften versteckt. Vielleicht fällt es irgendjemandem in zehn Jahren auf. Es gibt Dinge auf dem Album, die bis jetzt niemandem aufgefallen sind. Nicht mal meinen Freunden. Mir gegenüber hat es jedenfalls noch niemand erwähnt. Es gibt also noch was zu entdecken.

Heisst das, dass die Leute nicht richtig hinhören?

Nein, nein! Es heisst einfach, dass ich es gut versteckt habe. Ich habs nicht aufs Album gepackt, damit es die Leute sofort hören. Ich hab das nur für mich gemacht.

Geben Sie mir einen Tipp!

Sie müssen genau hinhören. Und sich darauf einstellen, dass Sie es nicht verstehen werden. Das ist nämlich unmöglich. Ich verstehe es auch nicht. Aber es ist da. Und man muss das Album dafür nicht rückwarts abspielen oder langsamer oder so.

Geben Sie damit Ihren Dämonen eine Stimme?

Ich glaube, jeder gibt seinen Dämonen in irgendeiner Form eine Stimme. Ich würde einfach sagen, es sind ganz verschiedene Ideen, die in meinem Kopf herumschwirren. Nicht nur Dämonen, auch positive Dinge.

Dieses Album klingt anders als die Musik, die Sie zuvor gemacht haben. Was hat Sie inspiriert? Die Verbindung zu Odd Future?

Ich und Earl (Sweatshirt, Amn. d. Verf.) hängen oft miteinander ab. Wir machen viel Musik, probieren Dinge aus, fordern uns heraus. Aber dieses Album ist mehr ein Zeichen davon, dass ich jetzt mehr und eher meine Persönlichkeit zulasse. Und dass ich immer mehr darüber weiss, wie ein Mac Miller Album klingen sollte. Ich produziere ständig Musik – aber nur einen Bruchteil bekommt überhaupt je jemand zu hören.

Weshalb?

Weil ich es einfach liebe, Musik zu machen. Ich mache eigentlich ständig Musik. Manchmal frage ich mich, warum ich nicht mal wandern gehe oder warum ich noch nie am Strand war, obwohl er nur zwanzig Minuten entfernt ist. Aber es ist halt wirklich so: Ich mache den ganzen Tag Musik und das geniesse ich.

In einem Artikel im Magazin «Fader» habe ich gelesen, dass Sie erst kürzlich das erste Mal im legendären Plattenladen Amoeba Music waren.

Richtig. Es mag seltsam klingen, aber das war für mich eine Neuentdeckung.

Verrückt.

Was soll ich sagen? Ich gehe selten aus dem Haus. Mein Studio ist auch zuhause, mein ganzes Album ist dort entstanden.

Sie scheinen wenig Input zu brauchen.

Für diese Platte habe ich den Blick nach innen gerichtet. Ich wollte mich finden. Ausserdem reise ich ja schon auch viel. So viel, dass ich mich jetzt mal mit mir selber auseinandersetzen wollte. Und wenn ich wie heute hier in der Schweiz mal eine Stunde an einem See sitze, dann kann ich das Gefühl gut konservieren.

Wie ist der Song «Aquarium» entstanden?

Lustig, dass Sie danach fragen! Das ist mein Lieblingssong. Entstanden ist er, als mein älterer Bruder bei mir in LA auf Besuch war. Er hat einen richtig guten, eigenwilligen Musikgeschmack – und er hat das Tune-Yards-Sample ausgewählt.

Was macht ihn zu Ihrem Lieblingssong?

Die Stimmung. Aber vor allem der Text. Ich liebe beide Strophen. Es geht darum, dass das ganze Konzept von Stars und Sternchen uns davon ablenkt, worum es im Leben wirklich geht. Wir glotzen nur, als würden wir ein Aquarium betrachten. Keine Ahnung, wo dieser Bilder herkamen. Gute Songs passieren einfach.

Können Sie sich noch erinnern, in welcher Situation Sie die Reime geschrieben haben?

Das weiss ich nicht mehr genau. Aber ich schreibe gerne, wenn ich mich in einem Delirium befinde. Wenn ich nicht geschlafen habe und etwas weggetreten bin. Sehr wahrscheinlich war ich da in so einem Zustand. «I Am Who Am (Killin’ Time)» habe ich direkt nach dem Aufwachen geschrieben. Ich bin zu diesem Beat erwacht und habe direkt angefangen zu schreiben.

Haben Sie dann ein Stündchen gewartet, bis die Stimmbänder warm waren?

Nein, ich mach das immer gleich aus dem Moment heraus, so wie die Stimme halt grad klingt. So wie bei «Redemption Song» von Bob Marley. Seine Stimme hört sich ziemlich abgefuckt an. Ich liebe das. Diese aufpolierten Aufnahmen sind gar nicht mein Ding. Wenn ich beim Singen einen Ton nicht treffe, lasse ich es manchmal einfach. Unvollkommenheit bedeutet Charakter. Wer will schon perfekt sein? Perfekt bedeutet generisch.

Kendrick Lamars Strophe auf dem Song «Control» hat für viel Aufruhr gesorgt. Er formuliert eine Kampfansage an seine Rap-Klassenkameraden – Sie unter anderem.

Ich war gestern noch mit ihm unterwegs. Diese Schlange!

Würden Sie so etwas machen?

Warum nicht, wenn ich mich danach fühle. Das ist ja sportlich gemeint. Das ist, wie wenn sich Michael Jordan und Charles Barkley gegenseitig anstacheln. Jeder will der Beste sein.

Sind Sie der Beste?

I don’t give a fuck about any of this shit. Für mich selbst bin ich der Beste. Ich weiss, wozu ich fähig bin – und das ist alles, worauf es mir ankommt. Ich bin auch mein grösster Kritiker. Wenn ich mich selber überzeugen kann, dann muss ich niemanden sonst mehr überzeugen.
Aber Kendrick Lamar weiss, wer gute Zeilen schreibt. Kendrick weiss, wer all seine Raps schreibt.

Wie manifestiert sich dieser Kampf mit Ihnen selbst?

Indem ich vieles verwerfe, vieles wieder lösche oder niemals veröffentlichen würde. Ich mach’s mir ziemlich schwer, ziehe zum Vergleich immer wieder meine Lieblingsalben heran und frage mich dann oft, was ich da genau mache…

Welche wären das zum Beispiel?

«In Rainbows» von Radiohead. Das ist mein Lieblings-album. In meinen Augen ist es perfekt. Ich wüsste nicht, was man daran noch verbessern könnte. Vielleicht schaffe ich es eines Tages, annähernd so etwas zu machen.

Viele Rapper sind sehr modebewusst. Wie wichtig ist Ihnen Mode?

Ganz ehrlich? Kleider werden überbewertet. Vor ein paar Tagen bin ich den ganzen Tag in einer Boxhose rumgerannt. Diese Shorts, die Boxer anhaben, wenn sie in den Ring steigen. Das fand ich lustig. Aber viel wilder wird’s nicht bei mir. Mode ist nichts, worüber ich mir den Kopf zerbreche.

Also überlegen Sie sich auch nicht, was für Socken Sie tragen?

Socken? Scheiss drauf. Scheiss auf Schuhe, scheiss auf Socken. Das ist doch überhaupt nicht wichtig. Am liebsten würde ich immer barfuss rumlaufen. Aber überall liegt einfach zu viel Dreck rum – Zigarettenstummel, Spritzen, Kondome – einfach zu viel Dreck. Niemand denkt an meine Füsse.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.
Am 27. und 28. Februar findet das Ghost Festival in unserer Fantasie statt. Tickets gibt’s bei Petzi.ch – die Spende geht an die Schweizer Musikbranche.

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