In seiner Zeit als Diktator Albaniens liess Enver Hoxha hunderttausende verstärkte Betonbunker bauen. Das war 1945 bis zu seinem Tod 1985. Noch heute sind die Anlagen übers ganze Land verteilt, als sprössen sie aus Hügeln, Feldern, Stränden und Strassenböschungen. Die Konstruktion und Allgegenwart der Bunker infizierte die Gehirne der Albaner mit Paranoia. Hoxha gelang es, eine immense Angst vor dem Fremden im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern und sie für 40 Jahre damit beschäftigt zu halten, ihre Nation gegen imaginäre Feinde, die angeblich das Land angriffbereit umstellten, zu verteidigen. Albaniens politische Entscheidungen führten so nicht nur zu einer extremen Abschottung vor der restlichen Welt, sie waren auch entscheidend mitverantwortlich für die Armut des Landes. Mittlerweile sind Albaniens Bunker ein Erbe dieser paranoiden Vergangenheit, stete Mahner daran, wo das Land herkommt und welche Herausforderungen vor ihm liegen. Viele dieser pilzartigen Anlagen sind mittlerweile zerstört, andere warten darauf, dem Boden gleichgemacht – oder gebraucht zu werden. Denn die Bunker werden nun von einer neuen Generation von Architekten, Künstlern und sonstigen Machern hinterfragt und uminterpretiert: Vom Symbol der Isolation zu einem Vehikel für soziale Veränderungen. Verschiedene künstlerische Initiativen, z.B. «Concrete Mushrooms», wecken ein wachsendes Bewusstsein für den Einfluss und die Bedeutung der Bunker und fordern ihren Erhalt für eine sinnvolle Nutzung.

Vor den Bunkern

Der moderne Staat Albanien enstand 1912 als einer der letzten unabhängigen Staaten auf dem Balkan. Nach Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft und in Folge ihrer alten religiösen und politischen Konflikten, hatte die kleine europäische Volksgruppe am Rande des Reiches fast ihre Identität verloren. Die Bewegung «Wiedergeburt» belebte diese und legte unter dem Motto «Ohne religiöse und regionale Unterschiede» das Fundament für die moderne albanische Gesellschaft. Schon Ende des 19. Jahrhunderts waren Schulen in albanischer Sprache geöffnet und aufklärerisches Gedankengut vermittelt worden – gegen den grössten Widerstand der fremden Machthaber. 1912 spaltete sich Albanien als multireligiöser Staat mit einer muslimischen Mehrheit und katholischen, albanisch orthodoxen und bektashi Minderheiten definitiv vom osmanischen Reich ab. Der zweite Weltkrieg schüttelte das noch junge Land und liess es in noch krasserer Armut zurück. Gefangen in alten Mustern und Bräuchen suchte die junge aktive Gesellschaft ihr Heil in den Theorien des Marxismus-Leninismus. So führten langjährige Unterdrückung unter fremden Herrschaften, soziale und wirtschaftliche Rückständigkeit und eine pragmatische Haltung in religiösen Fragen dazu, dass das Hoxha-Regime das Albanertum als Ersatzreligion ad absurdum aufbauen konnte – mit den Bunkern als ihren Altaren.

Isolation und Paranoia

Enver Hoxha regierte Albanien für 40 Jahre und wurde nach seinem Tod noch göttlich verehrt. Seine Stauten zierten jede Stadt, unzählige öffentliche Einrichtungen wurden nach ihm benannt, er bekam gar ein eigenes Museum in der Form einer Pyramide. Während der ersten Phase seiner Herrschaft wurde er auch ausserhalb des Landes für die Modernisierung Albaniens gewürdigt. Ab den frühen sechziger Jahren jedoch provozierten Hoxhas extreme Auswüchse des Kommunismus Brüche mit seinen Ver­bündeten und isolierten das Land. Kurz nachdem er als Diktator an die Macht gekommen war, brach er 1948 mit Titos Jugoslawien und verbündete sich mit der UDSSR. Doch auch dieses Bündnis hielt nicht lange: 1961 wandte Albanien Moskau den Rücken, um sich stattdessen China zuzuwenden. Bis 1977 war Hoxha der einzige europäische Verbündete der Volksrepublik, bis auch dieses Verhältnis sich abkühlte und Albanien ein völlig abgeschottetes Land wurde. Hoxha hatte sämtliche Brücken abgebrochen, war aus dem Warschauer Pakt ausgestiegen und erklärte alle anderen Regierungen zu Feinden, die Albanien bekämpfen und besiegen werde. Gegen den Rat seiner Militärexperten fuhr Hoxha fort, das Land zu befestigen, indem er überall Bunker verteilte. Diese Verteidigungsanlagen waren eine Spiegelung der Paranoia, der Bemühungen das Volk zu militarisieren und der fremdenfeindlichen Strategien, die ins Zentrum von Hoxhas Doktrin rückten und somit seine Macht und seinen Heldenstatus festigten. Heute wird die Zahl der Bunker auf zwischen 500‘000 bis eine Million geschätzt. Die tatsächliche Zahl, die Kosten und die Platzierungspläne bleiben Vermutungen, da das Regime die Informationen unter Verschluss hielt und die nachfolgenden Regierungen lange kein Interesse an diesem Aspekt der Albanischen Geschichte zeigten.

Nach der Wende

1991 produzierte der Fall des Regimes einen absurden Präzedenzfall auf Albanischem Gebiet. Ackerland, das früher von der Albanischen Arbeiterpartei konfisziert und kollektiviert worden war, wurde durch eine umstrittene Landreform unter den Kolchosemitgliedern aufgeteilt oder den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben. Gratis dazu gab’s eine unglaubliche Menge fremder, vom Regime erbauter Objekte: Die Bunker. Der Fall des Eisernen Vorhangs brachte Albanien nach 45 Jahren Isolation zurück in die internationale Gemeinschaft und verbannte jede ange­bliche militärische Auseinandersetzung in die Vergangenheit. Die Bunker entzauberten sich schnell vom Schutzschild des Landes zum störrischen Überbleibsel einer so schmerzvollen wie sinnlosen Vergangenheit. Deren horrende Baukosten – sie werden etwa auf einen Wohnungswert zu Hoxhas Zeiten geschätzt – liessen eine wachsende Abneigung in den Köpfen der Albaner entstehen. Aber ihre Stabilität verhinderten eine Entfernung oder Zerstörung. Also blieben sie da, wo sie platziert worden waren, überwuchert von Pflanzen und langsam im Boden versinkend. Die Bunker wurden zu einem natürlichen Bestandteil der Landschaft, physisch als auch metaphorisch. Die Neunziger Jahre waren eine Zeit massiver informeller territorialer Veränderungen in Albanien; Landaneignung war an der Tagesordnung. Durch den Kollaps des Systems, versuchten die Menschen eine neue Existenz aufzubauen, während die Armut im Land grassierte. Diese Umstände führten zu ad-hoc Umnutzungen einiger verstreuter Bunkern. Ein Schuhmacher hier, ein Hühnerstall da, ein Lager etwas weiter unten, ein Restaurant in einem grösseren Bunker am Strand, und so weiter. Mittlerweile gibt es eine grös­sere, auch staatliche Aufmerksamkeit für die Bunkeranlagen im Land: Die jetzige Regierung hat in solchen Anlagen zwei Museen errichten lassen, um die Zeit der Paranoia zu thematisieren. Die Folgen jener zeigten sich einerseits deutlich an den Bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Jahr 1997 und andrerseits an der massiven Auswanderung unmittelbar nach der Wende. Die Migration wurde zur Überlebensstrategie einer gesamten Generation. Man hatte schliesslich die ganzen Errungenschaften der Nachkriegszeit verpasst: Westliche Musik war in Albanien verboten, es gab keine Religionsfreiheit, keine Auslandreisen, weder freie Wohnsitz- noch Berufswahl. Die Diktatur des Prole­tariates hatte im Namen der fiktiven Mehrheit – die Wahlbeteiligung lag ja immer bei 99,9 Prozent – das Individuum abgeschafft und die Bevölkerung auf einen totalen Guerillakrieg eingeschworen. Dieser realisierte sich schliesslich auch im Zuge des Jugoslawienkriegs, in Form der Unruhen im Jahr 1997, als das öffentliche Leben und die staatlichen Institutionen zusammenbrachen.

Und heute? Plötzlich scheinen auch die westlichen Zentren von übermächtigen Feinden umzingelt, und grandiose, politische Baumassnahmen werden als ultimative Sicherheitslösung verkauft. Somit wiederholt sich die Geschichte. Der offenen Gesellschaft bleibt nichts anderes übrig, als kritisches Denken zu fördern und zu hoffen, dass alternierende Mehrheiten und politische Partizipation uns weiterhin eine prosperierende und freiheitliche Gesellschaftsordnung bescheren.

 

Niku Alex Muçaj ist albanisch-schweizerischer Künstler. Er ist Mitbegründerder MAT (Media Art Tirana) und Mitglied der Transbazar Initiative.

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