Herrgott, was sind wir empfindlich geworden. Marc Kelly Smith, der Gründer des Poetry Slams liest einen Text über seine Hautfarbe und alle privilegierten Unikids der USA toben durch ihre safe spaces, als ob er sich gleich selber an ein brennendes Kreuz genagelt hätte. Da werden Facebookseiten gespammt, Geschichtsbücher umgeschrieben, Auftrittsverbote erteilt und Protestgedichte geschrieben, als obs nichts Dringlicheres zu tun gäbe. Nun, richtig ist das ja irgendwie schon. Schliesslich ist Marc Kelly Smith auch nur ein alter weisser Mann, und die haben noch nie etwas Positives zur Weltgeschichte beigetragen. Ausser Viagra, selbstredend.

Oder: Ein AfD-Richter meint, Anders Behring Breivik hätte nur aus Verzweiflung gehandelt und damit innerhalb seiner subjektiven, verkümmerten Gedankenwelt eigentlich nur in Notwehr – ein bisschen wie der Hells Angel, der einst einen Polizisten über den Haufen ballerte, weil er glaubte, es handle sich um einen verfeindeten Biker. Der Mann wurde frei gesprochen. Was spricht da dagegen, den kleinen, verwirrten Anders wieder auf freien Fuss zu setzen? So, wie ihm Lukas Reimann und all die anderen Aluhüten den Kopf verdrehten, MUSSTE er ja glauben, dass all diese Jusos nur schlecht getarnte Islamisten seien! Denn schliesslich haben auch wir über Ostern wieder einmal gelernt: „Auch Wissenschaft ist nur eine Religion.“ Und wer nur glaubt, dass er die Welt besser macht, wenn er für die Wissenschaft auf die Strasse geht, liegt wie immer schon im Ansatz falsch.

Oder: Da schmeisst irgendein Irrer mit Bomben nach einem Bus voller Fussballer. War er linksextrem? Rechtsextrem? Islamist? Ego Shooter? Veganer? Indymedia-Administrator? Tagi-Kommentarspaltenfüller? Die Aufregung ist gross, die Hexenjag eröffnet – so viele Verdächtige gabs seit Stasi-Zeiten nicht mehr. Und dann? Alles falsch. Der Terror kommt aus der Mitte der Gesellschaft – dem Kapitalismus an sich. Da wird es dann schon ein bisschen schwieriger, sich aufzuregen. Wer kann einen Typen bestrafen, der für ein bisschen Put-Optionengewinne ein paar Multimillionäre umnieten wollte, wenn wir gleichzeitig die Nestle-Bosse Ulf Schneider und peter Brabeck frei herumlaufen lassen?

Bei all der Aufregung lobe ich mir die Ungarn, die Türken und natürlich die Nasen. Spassparteien wie die Partei des zweischwänzigen Hundes, die AKP oder der Front National schaffen es mit faktenfreier Leichtigkeit, sich jedes Thema zu eigen zu machen – und das ganz ohne jene bierernste Empörung, die uns noch so jeden schönen Sommertag versaut. Solange der Führer immer recht hat, brauchen wir uns auch nicht aufzuregen. Oder anders gesagt: Gibt es irgendjemanden, der daran zweifelt, dass die Welt heute eine bessere wäre, hätten die Amis damals Howard the Duck als Präsidenten gewählt anstatt Nixon? Nippel gechillt. Over and out.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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