Es ist der Käse, an dem man einen Schweizer packen kann. Zieht man lange genug an einem Stück Schweizer Käse, hängt am anderen Ende ein Schweizer dran. Das liegt im Selbstverständnis des Schweizers, er hängt am Käse.Deshalb frisst er ungemein viel davon. Am meisten im Winter. Oh ja, im Winter frisst der Schweizer gerne Käse. Winter ohne Käse ist für den Schweizer wie Auswandern, wie SRF Bi de Lüt Auf und Davon, man kann es sich noch so vornehmen, es wird sowieso schief gehen.

Deshalb frisst der Schweizer den Käse gleich zu Beginn des Winters, weil diese Saison hatte er noch kein Fondue. Dann frisst er ihn, weil er diese Saison noch kein Raclette hatte. Dann frisst er ihn, weil Weihnachten ist. Dann frisst er ihn, weil Weihnachten bei den Schwiegereltern ist. Dann frisst er ihn, weil Silvester ist. Dann frisst er ihn, weil er im neuen Jahr noch keinen Käse gefressen hat. Dann frisst er ihn, weil er grad 50% im Coop ist. Dann frisst er ihn, weil es im März noch kalt ist und es könnte in dieser Saison die letzte Gelegenheit für Fondue sein. Dann frisste er ihn, weil es im April nochmal schneit und das ist sicher die letzte Chance für Raclette diese Saison. Mit Saison meint der Schweizer den Skitourismus und den Käse.

Im Sommer frisst der Schweizer geschwellte Härdöpfel mit Käse. Aufgeschlossene Multikulti-Schweizer fressen im Sommer Griechischen Salat mit viel Feta. «Uh, ich habe sooo gern Feta», sagen sie dann und ziehen den Mund so weit in die Länge bis es schmerzt, weil sie das E im Wort Feta extrem in die Länge ziehen müssen und zum Beweis bröckelt ein bisschen vom Feta von den Zähnen und fällt aus dem Mund, aber ein kleiner Rest bleibt an der Unterlippe hängen. Ein bisschen Käse hängt dem Schweizer immer vom Mund.

Bodenständige Stüblischweizer fressen im Sommer Cervelat-Chässalat zur Grillade. Am 1. August zünden sie ein Paar Raketen und machen Fondue, um den Nachbarn auf dem Campingplatz zu zeigen, wo dem Schweizer das Kreuz im Käse hängt. Um zu zeigen, dass wir die Käsenation sind, die Schweiz und niemand anderes. Wann frisst der Franzose schon eine Hauptmalzeit, die ausschliesslich aus Käse besteht? Und wann der Italiener?

Dem Schweizer ist sein Käse, was anderen Nationen eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Religion oder ein gemeinsames Rassengefühl ist. Des Schweizers Rasse ist die des Alpkäses, seine Religion Sbrinz und seine Sprache Greyerzer. Die Schweizer Skinationalmannschaft war damals am erfolgreichsten, als ihr Tenue einen Emmentaler imitierte. Der Schweizer Käse ist ein Bergkäse und muss schon nur deshalb hoch hinaus.

In der Schweiz hat jeder Vorfahren, die noch selber gekäst haben. Früher käste der Schweizer auf der Alp, er käste im Maiensäss und er käste im Mittelland und im Unterland käste er auch und mancherorts machte er daneben noch schnell ein paar Uhren. Wenn der Schweizer älter wird, wird die Rinde härter, aber in seinem Herzen brodelt der Käse noch immer heiss und flüssig. Die Schweizerin bevorzugt linienbewusste Sorten, etwa die entfettete Raclettescheibe von Slimline oder auch Weight Watchers.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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