It ain’t over till it’s over. So lautete der Titel des Projektes über «Enden», das wir als Performancegruppe bigNotwendigkeit 2013 erarbeiteten. Wir beschäftigten uns mit «dem Ende» in Lebensalltag, Literatur und Film, Philosophie und Religionen, mit dem Ende der Welt und besonders: dessen Ankündigungen. Als wir in den Endproben all die Szenen und Szenarien in eine möglichst sinnvolle Reihenfolge bringen wollten – den Monolog der einen Performerin, in dem sie sich von der Welt verabschiedet; das gemeinsame Lied über den Tod, und wie er nicht sein wird; die Szene, in der die andere Performerin den Zerfall des Theaterraums beschreibt; das Reenactment der Schlussszene aus Thelma & Louise (Let’s keep going!) – mussten wir feststellen, dass die Form eines szenisch strukturierten Theaterabends dem Thema «Ende» nicht angemessen war. Denn das Ende bedeutet auch: das Ende der Darstellbarkeit.

Wir verwarfen alles, was wir zu zeigen vorhatten, setzten zurück auf Null. Wie könnte das «Ende» nicht nur Thema des Abends sein, sondern vielmehr als Form, als Zustand diesen Theaterabend bestimmen? Wie könnten wir uns und unser Publikum in einen apokalyptischen Zustand versetzen? Wie endet ein Theaterabend über das Ende? Könnten wir uns auch dem Ende verweigern? Einfach weiter machen?

Bei Derridas Überlegungen zu einem apokalyptischen Ton in der Philosophie finden wir die Bedeutung von «Apokalypse» nicht in der Bezeichnung der fürchterlichen Katastrophe, sondern vielmehr in dessen Be-deutung, dessen Ankündigung. Der Wortherkunft aus dem hebräischen «gala’» folgend, ist die Apokalypse der Akt des Aufdeckens, Enthüllens, Verkündens eines Geheimnisses, mit der Stimme und Sprache des letzten Menschen: «Das Ende beginnt!»

So kreierten wir schliesslich eine Situation, die die Zuschauenden unweigerlich über Beginn und Ende des Theaterabends nachdenken liess: Aus einem vermeintlichen Soundcheck entfaltet sich ein scheinbar nicht enden wollender, frei improvisierter Monolog der einen Performerin, während die andere beginnt, aufwärts zu zählen… anderthalb Stunden lang wird gezählt und erzählt. Die mäandernde Rede streift dabei inhaltlich immer wieder das Ende in allen erdenklichen Formen und performt zugleich das Weitermachen; der Redefluss scheint, ähnlich der Geschichten von Scheherezade in Tausend und eine Nacht, unendlicher Aufschub vom Ende zu sein. Solange geredet wird, ist noch nicht alles gesagt. Ein Anreden gegen die ewige Stille, den Tod.
Begleitet werden die Darstellerinnen von verschiedenen, teils gewaltigen Bühnenlicht- und Soundeffekten, die szenische Enden nahelegen, aber keinerlei Einfluss auf die beiden zu haben scheinen: Sie reden und zählen weiter. In einer Vorstellung hat das Publikum versucht, durch spontanen Applaus das Ende des Stückes einzuleiten, vergeblich. Erst wenn die Zählung bereits bei den Dreitausendern angelangt ist, verstummen die Stimmen der Performerinnen so unerwartet, wie sie 90 Minuten zuvor begonnen haben. Als wäre nichts geschehen. Nach einer anderen Vorstellung spielten die Zuschauer das Stück weiter, indem sie nicht aufhören wollten zu klatschen.

Während der Proben 2013 erstellten wir eine Liste mit Google Treffern der Sucheingabe «Das Ende der». Google gibt es immer noch, mit Google Einträgen zu arbeiten ist eine gängige Praxis in allen Künsten geworden – oder schon nicht mehr? (Das Ende der Google Listen?) Google verspricht mit seinen Suchalgorithmen die «relevantesten und nützlichsten Ergebnisse» entsprechend Aktualität, Einstellungen, Präferenzen und Standort.

Hier nun eine aktualisierte Version der Liste:
Die ersten 100 Google Treffer zu «Das Ende der», in der Reihenfolge ihres Erscheinens, gesucht am 16. 10. 2019:

Das Ende der Geduld
Das Ende der Behaglichkeit
Das Ende der Herrlichkeit
Das Ende der Nordsyrischen Zivilgesellschaft
Das Ende der Nacht

Das Ende der Ewigkeit
Das Ende der Megamaschine
Das Ende der IAA
Das Ende der Illusionen
Das Ende der Gerechtigkeit

Das Ende der Anderen
Das Ende der Evolution
Das Ende der Bürokratie
Das Ende der Pauschalreise
Das Ende der Demokratie

Das Ende der Natur
Das Ende der Ölzeit
Das Ende der Liebe
Das Ende der Mittelschicht
Das Ende der Naivität

Das Ende der Antibiotika
Das Ende der Dickhäuter
Das Ende der Ruhe
Das Ende der Erziehung
Das Ende vom Ende der Welt

Das Ende der Glatze
Das Ende der Unschuld
Das Ende der Lüge
Das Ende der Geschäftsmodelle
Das Ende der Massentierhaltung

Das Ende der menschlichen Arbeit
Das Ende der Klima-Kanzlerin
Das Ende der Herrschaften
Das Ende der Zünfte
Das Ende der Sage

Das Ende der Schnürsenkel
Das Ende der Aushandlungen
Das Ende der Giganten
Das Ende der Wahrheit
Das Ende der Welt

Das Ende der Wikingerzeit
Das Ende der Anweisung
Das Ende der Rente
Das Ende der Wissenschaftsgesellschaft
Das Ende der Geschichte

Das Ende der geldpolitischen Normalisierung
Das Ende der Durststrecke
Das Ende der Eiszeit-Giganten
Das Ende der Welt
Das Ende der Karlsbader Konferenz

Das Ende der Menschheit
Das Ende der goldenen Jahre
Das Ende der Ära Trump?
Das Ende der Orgien
Das Ende der Neuzeit

Das Ende der Wildnis
Das Ende der Saison
Das Ende der Demokratie
Das Ende der Bescheidenheit
Das Ende der Magdeburger Eiszeit

Das Ende der Beschwerde
Das Ende der Lügen
Das Ende der Bauruine in der Rathausstrasse Kiel naht
Das Ende der Pummelrepublik
Wie das Ender der SED-Diktatur seinen Anfang nahm

Das Ende der Einhörner
Das Ende der kurdischen Revolution
Das Ende der Gemütlichkeit
Das Ende der letzten Mammuts
Das Ende der Einsamkeit

Das Ende der «Breaking Bad»-Ära
Das Ende der Menschheit erleben
Das Ende der Bescheidenheit
Das Ende der Zweistaatenregelung
Das Ende der westlichen Weltordnung

Das Ende der Krankheit
Das Ende der Vererbungsregeln
Das Ende der Türkei, wie wir sie kannten
Das Ende der Verschwendung
Das Ende der Enthaltsamkeit

Das Ende der Kandidatur von Hilde Mattheis
Das Ende der Bargstedter Niederlagenserie
Das Ende der Geschichte ist zu Ende
Das Ende der Welt
Das Ende der Bankfiliale

Das Ende der Resilienz
Das Ende der Parkplatzsucherei
Das Ende unserer bekannten Versicherungslandschaft
Das Ende von EIB-Investitionen in Erdgas
Das Ende der 1-item-Angebote

Das Ende der Banken
Das Ende der Nervenhaut im menschlichen Auge
Das Ende der Bürgerlichkeit
Das Ende der Angst
Das Ende der Tage und die Gegenwart des Heils

Das Ende der AfD
Das Ende der Videotheken
Das Ende der Rechtschreibung
Das Ende der Antike
Das Ende der Papier-Ära

Esther Becker und Anna K. Becker sind Teil von bigNOTWENDIGKEIT. Das Kollektiv wurde 2004 von Anna K. Becker und Katharina Bischoff in Giessen gegründet. Seit 2008 ist Esther Becker festes Mitglied. Sie erarbeiten Bühnenstücke, Performances und performative Installationen.

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