«Omikron-Wand in der Schweiz – Naht die Endemie?» / «Chronik eines unangekündigten Corona-Todes – SRF ermittelt» / «Reisen im Angesicht der Pandemie – Wir verraten, was Sie jetzt unbedingt wissen müssen». Nun: SRF ist längst bekannt für reisserische Titel, ausgefuchste Wortspielereien, die über fehlende Inhalte hinwegtäuschen sollen, und Stilblüten, die, wüsste man es nicht besser, auf gescheiterte Germanistikstudent:innen schliessen liessen. Es stellt sich nur die Frage, ob diese Art überagitierter Service Public, der seit Alpha, Delta, Omikron gewissermassen zur Hochform aufgelaufen ist, der pandemisch verursachten Panik vor Langeweile, Nicht-Wissen und fehlenden Worten im Besonderen oder einer zunehmenden Verflachung des Journalismus im Allgemeinen geschuldet ist.

Besonders beliebt bei SRF ist auch die Kombination bestimmter gleichermassen heiss diskutierter Themen: Frauen und Corona. Metoo und Corona. Corona und Regenbogenfamilien. Corona und Gentrifizierung. Corona und Klima. Entscheidend ist, dass man diese heisse Kombi im Titel markiert und die Geste des Korrekten bereits ersichtlich ist, bevor man sich mit der Sache im Eigentlichen hat auseinandersetzen müssen.

Der erste Club des Jahres etwa mit dem Titel «Corona – Frauen in der Verantwortung». Ich nehme es gleich vorweg: Dieser Club vom 4. Januar wird wohl der langweiligste des Jahres 2022 gewesen sein. Es herrscht durchwegs KONSENS in dieser Frauenrunde. Die Frauen in Führungspositionen sind sich nämlich in allem einig, lächeln sich zu, bestätigen sich gegenseitig, niemand fällt sich ins Wort. (Die einzige, die kurz Kritik an der Kommunikation des Bundes übt und dabei gefühlte 30 Sekunden zu Hochform aufläuft, ist Miss Economiesuisse, deren Ähnlichkeit zu Maggie Thatcher im Übrigen durchaus frappant ist.) Ansonsten ist «man» EINVERSTANDEN, plädiert für VERNUNFT, GEDULD, VERHÄLNTISMÄSSIGKEIT und PARTIZIPATION. Dazwischen wird den zugeschalteten und zitierten männlichen Experten applaudiert. Darüber hinaus Performance in UNDERSTATEMENT par excellence. Keine Expertin, die nicht einen Satz von sich gibt wie: «Das müssen Sie die Epidemiologen fragen, die kennen sich besser aus.» / «Das wissen die Spezialisten besser als ich.» / «Ich weiss nicht, ob das Pokern ist, ich kann nicht so gut pokern.» / «Ein Immunsystem muss man trainieren wie ein Muskel, aber ich bin nicht so gut in Sport.» Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären: Corona und Frauen – im Prinzip ein interessantes Thema (denken wir an Care-Arbeit, die Hausfrauisierung von Pflegeberufen, fehlende medizinische Studien an Frauen etc.). Darum geht es im Club aber gar nicht, daran wird geschlagene 80 Minuten vorbei geredet. Der Titel verdankt sich allein der Tatsache, dass für einmal nur Frauen im Studio sitzen. Wie frech aber auch! Und korrekterweise wird dann die Arena drei Tage darauf FÜR EINMAL als reine Männerrunde abgefeiert («Die grosse Präsidentenrunde zu Corona und EU»).

Aber Schluss mit dem Zynismus. Die Kindergärtnerin meiner Tochter fiel coronabedingt in der ersten Januarwoche aus. Wer wohl als Vertretung komme, fragte ich das Kind.

– «Da kommt fix eine Frau».
– «Das glaube ich auch».
– «Aber hast Du Dir schon mal überlegt, warum das so ist, Mama»?
– «Ja, ich habe es mir schon überlegt, ich denke es geht dabei wohl irgendwie um Klischees und Geld.»
– «Ja, könnte sein. Aber Frau E. hat imfall mehr Geld als Du. Tja, aber sie hat halt keine Kinder und muss keine Texte schreiben.»
Ich denke derweil darüber nach.

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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