EINS

Dein Schreiben ist das Betreten eines Hauses, ein Haus, in dem du wohnst. Du sagtest einmal, das Schreiben, das würdest du nie hinterfragen, obwohl du dich in vielem hinterfragst. Du würdest deinen Intellekt hinterfragen, dein Wissen nicht gross einschätzen, deine allgemeinen Fähigkeiten, dein Reden vor Menschen. Vieles von dem, was ein Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, zu brauchen scheint, vieles, das mit dem Schreiben in Verbindung gebracht wird, das sagst du, das hättest du nicht. Du würdest aber, sagtest du, dein Schreiben nie grundlegend hinterfragen.
Du müsstest das tun, sagtest du.

Ich muss schreiben, sagst du.

Das ist der Ort, dein Haus, in diesem Haus gehst du die Treppen hoch und betrittst die Zimmer, schlisst die Türen hinter dir.
Dieses Haus aus Stein.
Dieses von einem Aussen unberührte Tun.

Mein Schreiben ist mein Haus, sage ich.
Das Schreiben ist die Möglichkeit in fremden Häusern Treppen hochzugehen, ist auch die Verantwortung genauer zu sehen und mehr zu schauen und tiefer zu fassen und stehen zu bleiben,
wenn andere immer weiter und schneller und Wege geradeausgehen.
Mein Schreiben ist mein Haus, sage ich, es ist aus Sichtbeton.
Mein Schreiben ist, sage ich. Und deines bleibt.

Ich gehe schreibend in dein Haus hinein.
Ich sage, was du nicht bist, ist vieles, was dem verstaubten Bild des Schriftstellers und Genies angeklebt wird.

ZWEI

Du schreibst in den Krieg hinein, in ihm und aus ihm heraus
und als etwas, was vom Menschen gemacht und was dich auch danach, auch nach seinem Ende nie mehr sein lässt, wie du einmal warst. Du beschreibst ihn aus einer weiblichen Figur heraus, deren Stimme durchdringt, indem sie vom Inneren der Häuser spricht, nicht von den Maschinen, nicht von den Zahlen der Toten, den Waffen und Fronten, den Schlachten, den Angriffen, den Explosionen, den Schreien. Von Menschen und Einmachgläsern und Wurzeln und dem Weiss der Wäsche im Krieg, spricht sie, die Stimme, von der Angst und ihrer Feuchtigkeit,
die sich in alle Räume der Häuser legt.
Du sagst, die Tischdecke, die bestickte, die deiner Mutter, die die Mutter nach dem Krieg so weiss gewaschen hatte,
dass sie weisser war als je zuvor, du sagst, die Tischdecke, die bestickte weisse Tischdecke, die sei nie mehr weiss geworden. Deine Mutter kehrte zurück zum Weiss der Tischdecke, was dir nicht gelang. Du sagst, es nütze nichts, wieder Blumen in die Väschen zu stellen, es nütze nichts, die spielenden Kinder auf den Lampenschirmen und Bettbezügen. Du würdest wieder Tomatensauce kochen, ja, eine Sauce, als wäre nichts gewesen, aber du könntest, die ganze Generation, deine Generation könne, obwohl sich eure Eltern das wünschten, keine Häschen in die Kinderzimmer malen, keine weichen Plüschhäschen nähen, das gehe nicht mehr nach dem Krieg. So hast du es geschrieben. Keine Blumen in die Väschen stellen.

Ich höre dir zu, wie du vom Krieg wie ein Brotteig an deinen Händen und in deinem Gesicht sprichst, und denke, der Krieg ist eine Erzählung des Mannes. Ich kenne den Krieg nicht, ich kenne ihn aus Büchern, aus Berichten, aus Schweizer Sicht auf ihn, in anderen Ländern oder aus Schweizer Sicht als etwas Heroisches, mit Heugabeln und zu Pferd und grünen Gesichtern der Soldaten, liegend im Stroh. Ich kenne ihn als etwas aus dem Fernseher und als eine Erzählung des Mannes. Ich kenne die Bilder der Frauen des Krieges. Es sind stumme Bilder. Du sprichst.

DREI

«Meine Schuhe sind kaputt und die Schuhe der Freundin, mit der ich in diesem Augenblick lebe, sind ebenfalls kaputt. Wenn wir zusammen sind, sprechen wir oft über Schuhe. Wenn ich mit ihr über die Zeit spreche, in der ich eine berühmte Schriftstellerin sein werde, fragt sie mich sofort: «Was für Schuhe wirst du haben?» Dann sage ich zu ihr, dass ich Schuhe aus grünem Wildleder haben werde, mit einer Goldschnalle an der Seite.
Ich gehöre zu einer Familie, in der alle solide und heile Schuhe haben. Meine Mutter hat sogar extra ein Schränkchen anfertigen lassen müssen, um ihre Schuhe darin aufzubewahren, so viele Paare hatte sie. Wenn ich zu ihnen zurückkehre, erheben sie beim Anblick meiner Schuhe vor Empörung und Schmerz ein grosses Geschrei. Ich aber weiss, dass man auch mit kaputten Schuhen leben kann. Zur Zeit der Deutschen war ich allein hier in Rom, und ich besass nur ein einziges Paar Schuhe. Wenn ich sie zum Schuster gebracht hätte, hätte ich zwei oder drei Tage im Bett bleiben müssen, und das war mir nicht möglich. So trug ich sie weiterhin, und obendrein regnete es, ich spürte, wie sie sich langsam auflösten, weich und unförmig wurden, und ich spürte die Kälte des Pflasters unter der Fusssohlen. Darum sind meine Schuhe auch jetzt immer kaputt, weil ich mich an jene erinnere und sie mir im Vergleich gar nicht so kaputt vorkommen, und wenn ich Geld habe, gebe ich es lieber für etwas anderes aus, weil ich Schuhe nicht mehr für etwas sehr Wesentliches halte. Ich war durch das frühere Leben verwöhnt, stets von zärtlicher und achtsamer Zuneigung umgeben gewesen, aber in jenem Jahr hier in Rom war ich zum ersten Mal allein, und darum ist Rom mir teuer, wenn auch beladen mit Geschichte für mich, beladen mit angstvollen Erinnerungen, wenig süssen Stunden. Auch meine Freundin hat kaputte Schuhe, und deshalb passen wir gut zusammen.»

Auszug aus der Geschichte «Die kaputten Schuhe» aus dem gleichnamigen Buch von Natalia Ginzburg, Rom, Herbst 1945, erschienen bei Wagenbach 1998

VIER

Man kann durch dich in eine Zeit hinein gehen, die von aussen viel beschrieben ist, aber durch dich bin ich im Inneren der Zeit.
Und es ist nicht nur deine Zeit, obschon du sie anhand deiner Schuhe beschreibst, anhand eines Regales, in das du Dinge stellst, die du gekocht, die du aufbewahrt hast, die du mit deinen Fingern berührtest.

Ich gehe in deinem Schreiben die Treppen hoch und finde eine alte Mutter liegend auf einer Decke mit Muster, ganz verdreht und glücklich in einem Zimmer. In diesem Zimmer bewegt sich der Staub in Lichtstreifen, die durch die Fenster fallen und das Holz ist so dunkel wie die Haut der Mutter, die nach dem Zimmer riecht, nach dem Holz und das Holz riecht nach der Mutter. Als hätte es nie etwas anderes gegeben, als wäre ich nie eine andere Treppe hoch gestiegen, ein Dunkel, ein Knarren in ihm. Die Mutter, die schreit, die davon schreit, was man alles anders hätte machen sollen, die Mutter, die sich die Füsse einfettet, damit wenigstens das gemacht ist, in einer Zeit von Krieg. Die Mutter, die schreit, dass wenigstens die Schuhe heil sein sollen, ein Mann im Haus sein soll und draussen kein Deutscher und draussen kein Krieg. Ich gehe in deinem Schreiben, das ein dunkles Haus ist, die Treppe hoch und finde die Mutter schlafend auf einem Sofa mit vielen selbst gestrickten Decken, in einem alten Muster über sich. Und die Decke riecht nach der Mutter und die schnarchende Mutter nach der Decke. Oberhalb ihres leicht geöffneten Mundes wachsen Haare, dunkle Haare, dunkel, wie das Holz, aus dem das Zimmer gebaut ist, die Treppe, das Haus, dein Schreiben

Und ich fürchte ihr Erwachen, ich fürchte die Bewegung ihrer festen Beine in hautfarbenen Strümpfen und ich wünsche mir ihr Erwachen, weil es sie gibt und diese Mutter liebt ihre Kinder, liebt das Haus und hasst den Krieg.

FÜNF

Du sagtest: «Braun ist mein Gewand», sei ein Satz, den du liebtest und du könntest nicht erklären warum, aber du müsstest dir den Satz immer wieder vorsagen. Er habe dich glücklich gemacht.

Du sagtest, du hättest dich hinter der Ironie versteckt, hättest ein bösartiges Ressentiment gegen die Wirklichkeit in dir gehabt. Eines, das nicht auf etwas Lebendigem gebaut war, eines, das ein glückliches, junges Mädchen als Verteidigung nimmt, als Verteidigung des naiven Menschen, der stets dazu neigt, sich gehänselt zu fühlen, ein Bauer, der erst kurz in der Stadt ist und überall Diebe sieht.

Du sagtest: Ironie und Bösartigkeit dienten dir dazu, wie ein Mann zu schreiben, es graute dir davor, man könnte deinem Schreiben anmerken, dass es von einer Frau kommt. Fast immer waren deine Figuren Männer, sagtest du, damit sie so weit weg und losgelöst von dir selbst waren.

Dann schwieg die Welt für dich.

Du sagtest, du hättest eine Last einbalsamierter Dinge in dir herumgetragen, stumme Gesichter und Wörter aus Asche, Dörfer, Stimmen und Gesten, die nicht erzitterten, die tot auf deinem Herzen lasteten.

Und du sagtest, mit der Geburt deiner Kinder sei eine Last von dir gefallen. Du musstest nicht mehr schreiben und konntest es wieder tun. Die Wörter seien wie frischgewaschen gewesen, alles sei wieder unversehrt da gelegen, und voller Geschmack und Geruch.

«Jetzt wünschte ich mir nicht mehr wie ein Mann zu schreiben, weil ich Kinder geboren hatte, und mir schien, als wüsste ich viele Dinge über Tomatensauce, und auch wenn ich sie nicht in der Erzählung verwendete, nützte es meinem Beruf doch, dass ich sie wusste. Auf geheimnisvolle und sehr entfernte Weise nützte dies meinem Beruf. Mir war, als wüssten die Frauen durch ihre Kinder, Dinge, die ein Mann niemals wissen kann.

(…) Denn dichterische Schönheit ist ein Zusammenspiel von Grausamkeit, Hochmut, Ironie, fleischiger Zärtlichkeit, Phantasie und Gedächtnis, Klarheit und Dunkelheit, und gelingt es uns nicht, all dies zusammen zu erreichen, so ist unser Ergebnis armselig, ohne Bestand und kaum lebensfähig.»

Natalia Ginzburg, Die kaputten Schuhe, Wagenbach 1998

Ich sage, Braun ist mein Gewand, sagt mir nichts, ausser dass dein Gewand braun ist.

Aber die Tatsache, dass du einen so simplen Satz liebst, fasziniert mich. Ich sage, die Zeit, in der ich lebe, hat nicht den Geruch von Stein und keine Feuchtigkeit des Krieges. Ich sage, die Zeit, in der ich lebe, ist mehr silber als braun und mehr Neon als Stein. Und kein Kind hat in mir die Kunst geweckt, die Kunst schützte mich, als die Gesellschaft für mich eine Mutterrolle bereit hielt, die ich nicht spielen konnte und niemals spielen will. Ich sage, ich löse das Bild auf, das Bild der Frau als Mutter und des Mannes als Mann. Und ich sage, nach der Geburt meines Kindes ist die Sprache voller Milch gewesen, schwer und unaussprechbar. Triefend von Bedeutung und Existenz und Sinn. Ich sage, manche deiner Worte verstehe ich nicht. Sie sind zu weit weg.
Du bist tot und ich lebe.

Doch schreibe ich von deinem Haus. Und ich gehe in dein Haus hinein, gehe die Treppen hoch. In deinem Schreiben sehe ich die Zeit, die vergangen ist und ich sehe darin auch, was möglich war für dich.

Ich sage, ich sehe, was möglich ist.

Es kann die Augen geben, die schauen und die Stimmen, die nicht schreien. Es kann die Stimmen geben, die nicht versuchen Mann zu sein. Die nicht Stimmen der Frauen sind, wie man Frauen als Frauen wahrnimmt und nicht männliche Stimmen, wie Männer Männer zu sein haben.

Es kann Menschen geben, die über Tomatensauce, Waffengewalt, Tischtücher oder schwere Schritte in den Strassen schreiben.

Julia Weber gründete 2012 den Literaturdienst (literaturdienst.ch) und 2015 gemeinsam mit Gianna Molinari die Kunstaktionsgruppe «Literatur für das, was passiert» zur Unterstützung von Menschen auf der Flucht. Im Frühjahr 2017 erschien ihr erster Roman «Immer ist alles schön» beim Limmat Verlag in Zürich.
*Natalia Ginzburg, Es fällt schwer von sich selbst zu sprechen, aber es ist schön, Wagenbach, 1999

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