Kürzlich erzählte mir ein Freund, dass ein Mann mit ihm im Zug gesessen sei, der die ganze Fahrt über auf den Boden gerotzt habe. Der Mitpassagier habe das jeweils so gemacht, dass er entweder mit Daumen oder Zeigefinger sein eines Nasenloch verschlossen habe und durch das andere habe er dann herausgeschneuzt. Und eben nicht in ein Taschentuch, nein er habe den Pfnüsel in einem Schwall von Schleim direkt auf den Boden gejagt. Mein Freund konnte sich fast nicht mehr erholen. Während er mir davon erzählte, rief er immer wieder verzweifelt «wäh!»
Ich informierte ihn, dass diese Art die Nase zu entleeren einen Namen hat, es handelt sich dabei nämlich um einen «Brandenburger Bauernrotzer». Das habe ich jedenfalls vor langer Zeit in einem Text über die Industrialisierung im Raum Berlin gelesen. An eben diesem Schneuzer hätten die BerlinerInnen damals die Neuzuzüger aus dem Brandenburgischen erkannt. Worauf mein Freund meinte, der Mann im Zug habe aber nicht wie ein verarmter Köpenicker Bauer um 1870 ausgesehen, sondern eher wie ein mittelständischer Schweizer Pfnüselgrüsler um 2020. Doch dann fiel es uns plötzlich wie Schuppen von den Augen: Auf den Mitpassagier meines Freundes konnten all unsere Mutmassungen nicht zutreffen, denn es ist der Herbst 2020 und das musste ein politischer Pfnüsler gewesen sein!

Früher erkannte man die politische Gesinnung eines Menschen im Erkältungsfall ja höchstens, wenn das Taschentuch mit einem Parteilogo bedruckt war. Doch heute ist die Art des Schneuzens ein Zeichen der Gesinnung.

Dieser Mitpassagier meines Freundes war also kein Grüsel, er war ein Rebell. Ein Kämpfer für die Freiheit. Ein eigentlicher Wilhelm Tell, dessen Armbrust der Naseneigene Schleim und dessen Gessler der Schweizer Bundesrat ist. Und jedes Mal, wenn er seinen Pfnüsel im Zug verteilt, jagt er Alain Berset einen stechenden Schmerz in den Rücken. Und jedes Mal, wenn er hustet, wird es Simonetta Sommaruga kurz schwarz vor den Augen. Und jedes Mal, wenn er auf den Boden spuckt, wird ein Kind weniger geimpft. Und jedes Mal, wenn er furzt, wird ein asylsuchender Mensch aus Moria gerettet. Es war noch nie so einfach ein Held zu sein.

Doch was diesen momentanen Heldinnen und Rebellen noch fehlt, ist ein angemessener Gruss. Eigentlich wäre es zu erwarten gewesen, dass sich an den «Anti-Corona»-Demos alle abknutschen und eine Orgie starten, aber aus irgendwelchen Gründen scheinen sie das nicht zu wollen.

Als Alternative möchte ich ihnen deshalb den Brandenburger Bauernrotzer empfehlen. Dazu stellt man sich locker und in nicht zu weitem Abstand gegenüber der zu begrüssenden Person hin. Man überprüft, ob die Füsse etwa hüftbreit sind, geht dann leicht in die Knie und führt dabei den Zeigefinger der linken Hand an den linken Nasenflügel. Wenn man sicher ist, dass sich genug Rotz in dem betreffenden Nasenloch befindet, schneuzt man gezielt und herzhaft auf die Wange des Gegenübers. Falls man nicht erkältet ist, kann man auch einfach ins Gesicht spucken.

Marco Rima und Andreas Thiel könnten das gut miteinander vorzeigen, politisch und doch locker und lustig, wie sie sind.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert