«Die Geschichte des Widerstandes der Männer gegen die Emanzipation der Frauen ist vielleicht interessanter als die Geschichte dieser Emanzipation selbst.» – Virginia Woolf

Mit dieser Feststellung wollte Virginia Woolf keineswegs behaupten, die Geschichte der Emanzipation der Frauen*, wie beispielsweise die Geschichte der Frauenbewegung oder des Kampfes der Frauen um das Stimmrecht, wären nicht von Interesse. Im Gegenteil: Immer wieder weist sie darauf hin, dass in den zahlreichen Geschichtsbüchern und Biografien viel über das Leben von Männern* zu erfahren ist, fast nichts jedoch über das Leben von Frauen. Das ist nach ihr kein Zufall. Die Abwesenheit von Frauen in der Geschichtsschreibung, überhaupt im kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften ist vielmehr Ergebnis bewusster und unbewusster Akte der Abwertung, des Nicht-der-Mühe-wert-Findens, des bewussten Schweigens und Verschweigens, also Ausdruck «symbolischer Gewalt».

Grundlegend zu ändern beginnt sich dies mit der zweiten Welle der Frauenbewegung und der Entwicklung der Frauen- und Geschlechterforschung, insbesondere der Geschlechtergeschichte. Erst jetzt werden die Zyklen des Schweigens und Verschweigens durchbrochen und eine kontinuierliche Bewahrung und Weitergabe des Wissens von Frauen und deren Erfahrungen möglich. Auch Frauen haben nun eine Geschichte; mehr noch, sie werden gar als tragender Teil sichtbar. Ebenso wird ihnen – was zumindest für einen Teil der Männer seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit war – eine eigene Traditionsbildung möglich, die es ihnen erlaubt, an die Erfahrungen, das Denken und Handeln früherer Generationen von Frauen anzuknüpfen. All dies war für Woolf zentral und ihre Kritik an der bis dahin männlich dominierten Erinnerungspolitik hat nicht unwesentlich zu deren Überwindung beigetragen. Worauf also zielt Woolf mit ihrer Feststellung? Was wird durch die Verschiebung des Blicks auf den Widerstand der Männer gegen die Emanzipation der Frauen sichtbar?

Mit der Verweigerung des Stimmrechts insistierte die Mehrheit der Männer auf dem Erhalt männlicher Herrschaft im Staat, in der Familie und der Gesellschaft.

In den inzwischen zahlreichen Darstellungen der Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz ist sehr viel über den Kampf der Frauen um das Stimmrecht zu erfahren. Detailliert lassen sich die einzelnen Schritte seit Mitte des 19. Jahrhunderts nachvollziehen: Die ersten Interventionen, die Entstehung der Vereine, die Entwicklung der Argumente und schliesslich die vielen Anläufe. Auffallend wenig erfahren wir dagegen von der Geschichte des Widerstands der Männer. Doch warum wäre gerade sie von besonderem Interesse?

Allemal rückt die Frage ins Zentrum, warum eine grosse Mehrheit der Männer den Frauen so lange das Stimmrecht verweigert hat. Dabei wird erkennbar, dass die wiederholte Verweigerung des Stimmrechts eine politische Entscheidung war, die bewusst wieder und wieder gegen den Willen der Frauen durchgesetzt wurde. Kurz: Es handelte sich um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen Männern und Frauen, in der offensichtlich wird, dass die Mehrheit der Männer ihre politische Macht nicht mit den Frauen teilen wollten. Sie sahen darin eine Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Macht. Allen war bewusst, dass es in dieser Auseinandersetzung nicht nur um das Frauenstimmrecht ging, sondern um einen bedeutsamen Schritt hin zur Überwindung der patriarchalen Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Mit der Verweigerung des Stimmrechts insistierte die Mehrheit der Männer auf dem Erhalt männlicher Herrschaft im Staat, in der Familie und der Gesellschaft.

Nur durch die fortwährende Entwertung von Frauen lässt sich das Gefühl der eigenen Überlegenheit aufrechterhalten.

Doch das Begehren nach männlicher Suprematie ist nicht etwas natürlich Gegebenes, sondern ein gesellschaftlich kulturelles Phänomen und damit erklärungsbedürftig. Durch die Blickverschiebung auf den Widerstand der Männer lässt sich eine Ahnung davon gewinnen, was Woolf als die «hypnotische Macht der Dominanz» bezeichnet. Die Bedeutung der männlichen Suprematie wird somit sichtbar, in all ihren verschiedenen Facetten. Dazu gehören die ökonomische, kulturelle, familiale, politische Macht, aber auch die verschiedenen Formen ihrer Absicherung durch Verfassung, Gesetzgebung und angeblich natürlicher Geschlechterdifferenzen. Durch letztere werden die gesellschaftlichen Ein- und Ausschlüsse erklärt und legitimiert: Etwa die Trennung der öffentlichen und privaten Sphäre und die damit verbundene geschlechtliche gesellschaftliche wie familiale Arbeitsteilung. Nicht zuletzt werden im Widerstand gegen das Frauenstimmrecht die psychischen und affektiven Dimensionen des Begehrens nach männlicher Herrschaft deutlich. So verweist schon Woolf darauf, wie zentral für bürgerliche Männlichkeit die Vergewisserung der eigenen Überlegenheit und die Ver/Sicherung der Unterlegenheit der Frauen ist. Nur durch die fortwährende Entwertung von Frauen, ihres Denkens und Handelns, ihrer strukturellen Entwürdigung also lässt sich das Gefühl der eigenen Überlegenheit aufrechterhalten. Ihnen nicht die gleiche menschliche Würde und damit die gleichen Rechte zuzugestehen ist daher zentral – eine Dynamik, die bis heute anhält in den vielfältigen Formen des Sexismus und der Gewalt gegen Frauen bis hin zu den zahlreichen Widerständen gegen die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter.

Im Selbstverständnis der Mehrheit der Männer war die Schweiz aus uralter Tradition im wahrsten Sinne des Wortes ein «Männerstaat».

Wie grundsätzlich all dies mit der traditionellen, bürgerlich hegemonialen Männlichkeit verbunden ist, wird auch deutlich im Nachdruck, mit dem noch lange betont wurde, dass ausschliesslich den Männern das Wahl- und Stimmrecht zustünde. Schliesslich, so die Behauptung, hätte sich nie jemand vorstellen können, dass mit dem Wort «Schweizer» einmal auch die Frauen gemeint sein könnten. Im Selbstverständnis der Mehrheit der Männer war die Schweiz aus uralter Tradition im wahrsten Sinne des Wortes ein «Männerstaat». Wie konstitutiv diese männerbündisch patriarchale Struktur in die Schweizer Demokratie eingelassen ist, davon zeugt auch der jährlich aufs Neue aufgerufene Ursprungsmythos des Rütlischwurs als zentrales Element des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz. In ihm bekräftigt sich die Schweiz als ein Bund von Männern – tapferen, wehrhaften Männern und verantwortungsvollen Familienvätern. Diese zutiefst patriarchale Struktur des Staates und der Schweizer Gesellschaft galt es zu sichern und zu bewahren.

Begründet wurde der anhaltende Ausschluss der Frauen aus der politischen Partizipation bekanntlich vor allem mit der angeblich naturbedingten «erheblichen Verschiedenheit» der Frauen. Sie seien emotional, subjektiv und unfähig zu vertiefter Bildung. Frauen gelten demnach ausschliesslich als für den familialen Bereich bestimmt: Für die Herstellung einer gemütlichen häuslichen Atmosphäre, für die Sorge um das Wohl des Ehemannes, die Betreuung der Kinder sowie die Pflege von Alten und Kranken. Für Beruf und mehr noch für Politik hingegen seien sie ungeeignet. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Verschiedenheit der Frauen, sondern um deren grundlegende Unterlegenheit. Diese in sich hierarchisierten Geschlechtervorstellungen sind bis heute nicht wirklich überwunden; sie sind, wenn auch in gewandelter Form, nach wie vor präsent. Zu grundlegend sind sie mit der herrschenden cisheteropatriarchalen Geschlechterordnung verbunden.

Bei alldem geht es allerdings nicht nur um die Feststellung weiblicher Unterlegenheit, sondern vielmehr um die (Selbst)Vergewisserung männlicher Überlegenheit. So wird durch die grundlegende Verbindung von Staatsbürgerschaft, Politik und Demokratie mit der Bestimmung von Männlichkeit jeder politische Akt, wie beispielsweise die Stimmabgabe und das damit verbundene Ritual, zu einem zentralen performativen Akt der Inszenierung der eigenen Männlichkeit und männlicher Suprematie. Angesichts dessen stellte und stellt teilweise noch heute die politische Partizipation von Frauen aus Sicht von Männern nicht nur einen Verlust ihrer politischen Macht dar. Sie beraubt sie zudem eines bedeutsamen homosozialen Bereichs zur Re-Produktion ihrer Männlichkeit sowie zur (Selbst)Versicherung ihrer männlichen Überlegenheit.

Die Zustimmung war ein Sich-in-das-Unvermeidliche-Fügen und mit der Botschaft verbunden, damit sei es nun aber vorerst genug.

Warum gilt es, all dies in den Blick zu nehmen? Es zeigt: Aus der Sicht der Mehrheit der Männer stand viel auf dem Spiel; deshalb ihr langer und vehementer Widerstand. So kam die Zustimmung zu einer Zeit, in der die meisten Männer erkannt hatten, dass das Frauenstimmrecht kaum mehr zu verhindern war. Schliesslich hatte selbst der Bundesrat 1957 festgestellt, dass eine weitere Verweigerung des Frauenstimmrechts ein Verstoss sowohl gegen die Rechtsgleichheit (wonach Gleiches gleich behandeln werden muss), als auch gegen die Gerechtigkeit und Demokratie wäre. Begründet wird dies im Übrigen mit der inzwischen geringeren Verschiedenheit der Frauen. Massstab ist dabei auch hier, wie immer, der Mann. Entsprechend war die Zustimmung eher ein Sich-in-das-Unvermeidliche-Fügen und mit der nur allzu vernehmbaren Botschaft verbunden, damit sei es nun aber vorerst genug.

Während für viele Frauen endlich eine eklatante Ungerechtigkeit und Entwürdigung zu Ende ging, und sie im Erhalt des Stimmrechts die berechtigte Chance sahen, nun verstärkt daran gehen zu können, die heteropatriarchalen Geschlechterverhältnisse zu überwinden, sah dies aufseiten der Mehrheit der Männer ganz anders aus. Die Gewährung des Stimmrechts war weit entfernt von der Einsicht in die Notwendigkeit, endlich bestehendes Unrecht zu beseitigen und die männliche Suprematie in der Gesellschaft zu beenden. Das wurde spätestens mit dem hartnäckigen Widerstand der Mehrheit der Männer unübersehbar, als die Frauen auf weitere Veränderungen in Bildung, Beruf, Familie oder Politik drängten und das Recht auf Selbstbestimmung und tatsächliche Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen einforderten. Entsprechend musste jeder weitere bislang erreichte Schritte mühsam durchgesetzt werden.

Zudem ist das Erreichte nach wie vor fragil. Zumal seit einiger Zeit die Widerstände gegen die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse deutlich stärker werden. So wird insbesondere von rechtskonservativer bis rechtspopulistischer Seite eine grundsätzliche Kritik gegen Forderungen nach einer tatsächlichen Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen lauter. Selbst Errungenschaften, wie die Abschaffung des Mannes als Familienoberhaupt oder die Einführung der Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand, werden vielfach als zu weitgehend kritisiert.

Doch gerade um die Herstellung der tatsächlichen Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen müsste es jetzt verstärkt gehen. Nur so ist eine grundsätzliche Überwindung der cisheteropatriarchalen Gesellschafts- und Geschlechterordnung möglich. Dazu bedarf es allerdings eines breiten gesellschaftlichen Konsens. Diesen wird es jedoch erst geben, wenn die Verweigerung des Frauenstimmrechts allgemein als Unrecht anerkannt wird. Dass dies bislang nicht geschehen ist, zeigen nicht nur die anhaltenden Widerstände gegen eine grundlegende Überwindung der männlichen Suprematie in Staat, Familie und Gesellschaft. Es zeigt auch, dass weiterhin nicht wirklich die eine Einsicht besteht, dass die Diskriminierung von Frauen Unrecht war und ist. Solange hierüber kein allgemeines Einverständnis besteht, wird es keinen Konsens über die Realisierung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter – oder genauer aller Geschlechter – geben. Das Jubiläumsjahr wäre eine Chance, einen nächsten entscheidenden Schritt zu tun und anzuerkennen, dass den Frauen das Stimmrecht zu verweigern Unrecht war. Es wäre an der Zeit.

Andrea Maihofer ist Philosophin und Soziologin mit Schwerpunkten in kritischer Gesellschaftstheorie und Geschlechtertheorie und -forschung. Sie ist emeritierte Professorin für Geschlechterforschung und war Leiterin des Zentrums Gender Studies an der Universität Basel.
Literatur Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer Virginia Woolf: Drei Guineen
*dient hier als Verweis auf die soziale Konstruiertheit von Geschlecht.

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