Waffen sind Vorbild und Inbegriff des ­modernen funktionalen Designs – auch die Informationswaffen. Waffen und Waffensysteme wie Kampfflugzeuge, Panzer, Kriegsschiffe, Artillerie, Gewehre sowie deren Munition, also Kugeln, Raketen oder Bomben, sind hoch ästhetisch; zugleich schön und extrem funktional. Das macht ihre Attraktivität aus und lässt sie zu einem Fetisch werden. Waffen werden seit ihrer ersten Erfindung in der Steinzeit aufwändig gestaltet. Ihr Design ist auf gezielte, effektive und schnelle Zerstörung und Letalität ausgerichtet, zunächst als eine Erweiterung der geballten Faust am zuschlagenden Arm. Die Ästhetik der Waffe ist ein Nebeneffekt – «Form follows function» – sie offenbart aber gerade deswegen viel über die ästhetische Faszination jenseits der Kunst und der Kunstgeschichte.

Waffen sind nicht anmutend schön. Sie folgen also nicht, um es mit Kant zu sagen, einem interesselosen Wohlgefallen, sondern sie sind beeindruckend, überwältigend, erhaben. Waffen sind Ausdruck und Verkörperung der maximalen Disruption: Das Durchdringen der Luft, das Eindringen in den Körper (Gegen-Stand) und dessen Deformation – aber der eigentliche Zweck der Waffe ist die Explosion. Daher ist der Selbstmordattentäter oder Amokläufer eine Kulmination der waffenförmigen Ästhetik, da er sich in eine Situation bringt, in der er sich selbst mit der Waffe und dem Gegenüber zerstört, was auch heisst, dass er die Grenzen der Verkörperung auflöst oder die Körper – den eigenen, den des Projektils/Sprengstoffs und des Opfers – verschmelzen lässt.

Tatsächlich ist die Ästhetik der Waffen kalt, sie löst Schaudern aus; aber auch, wenn man im Besitz der Waffe ist, die Lust an Macht, das Wissen um die Möglichkeit der Destruktion. Gegenüber dem Leben ist die höchste nihilistische Lust, die Macht und Möglichkeit zu besitzen, irreversible Taten ausführen zu können. Mit dem Tod eines Menschen oder eines anderen Lebewesens wird mit der Waffe eine absolut singuläre Existenz aus der Welt geschafft. Dieser Reiz mag sich angesichts des Eintauchens in virtuelle Welten noch erhöht haben, wo es in der Simulation jederzeit einen Restart gibt, die Wiederauferstehung also einprogrammiert ist. Dadurch wird die Irreversibilität des Todes zur blauen Blume, zum Beweis der Realität.

Waffen sind, was Funktionalität angeht, optimiert wie kaum ein anderer Gegenstand; sie sind der Inbegriff des Produkts, weil das Ziel einfach definiert ist: Möglichst weitgehende Destruktion, ob nun präzise oder weitreichend wie bei Massenvernichtungswaffen. Zerstören ist um Welten einfacher als komplexes Aufbauen, aber das schliesst natürlich keinesfalls Kreativität aus, zumal wenn der Druck hoch ist, sich zu verteidigen oder im Angriff überlegen zu sein.

«Form follows function» war ein Slogan der Moderne gegen die Tradition, gegen das Überflüssige, die Schnörkel, das Zusätzliche, die Verschwendung. Puritanisches Abspecken auf das Notwendige, verkauft als das Authentische, als das Wahre gegenüber dem Schein. Optimierung als maximale Effizienz bei geringsten Kosten, die Ästhetik der Maschine, bei der es auf die Funktion ankommt, nicht auf das Spiel und die Lust am Abwegigen, Phantastischen und Ablenkenden, höchste Aufmerksamkeit auf den Zweck oder das Ziel. Die Schärfe der Klinge, das Eindringen der Speerspitze, der Durchschlag der Patrone, der Nihilismus der Atombombe, das beeindruckt unbewusst und regt die Fantasie an.

«Form follows function» als ästhetisches Ideal der Moderne könnte man als Imperativ verstehen, das Design von Waffen auf alle andere Produkte anzuwenden, sie also waffenförmig zu machen: weaponising form. Das funktionelle Design liegt bereits der ersten Waffe zugrunde, die wie so vieles «dual use war», also auch ein Werkzeug – und umgekehrt. Das Werkzeug zum Schneiden, Schaben und Hauen aus Stein, das Chopping Tool der Oldowan-Kultur vor mehr als zwei Millionen Jahren, war auch die erste Waffe. Wenn nicht gar das erste von Menschenvorläufern hergestellte Produkt überhaupt! Damit ist es auch der Inbegriff des gestalteten Produkts, das gleichzeitig ein Werkzeug war, um weitere Werkzeuge zu machen. Das geschärfte Steinwerkzeug ist dem Speer vorhergegangen: Es gibt Funde von 2 Millionen Jahren alten Holzspeeren; zum Zuspitzen musste jedoch ein Werkzeug dienen, das wie der Chopper vielfältig einsetzbar war und auch zum Zuspitzen und schliesslich zur Herstellung von Steinspitzen für Speere gedient haben könnte. Verwendet wurden geeignete Geröllsteine, die mit einem anderen Stein kunstvoll zugeschlagen wurden. Er musste in die Hand passen, eine scharfe Seite haben und eine gewisse Schwere, um dem Schlag mit ihm Wucht zu verleihen. Es gab keinen Schnickschnack, keine Symbolik, bloss pure Funktion – die Ästhetik der funktionellen Form. Vielleicht hat dieser behauene Stein primär nur zum Zerschneiden von Fleisch, zum Herauslösen von Knochen und zur Freilegung des Marks für die damaligen Menschen gedient, wenn sie nicht Jäger, sondern vor allem Aasverwerter waren. Aber einmal vorhanden, konnten sie auch als tödliche Waffen zur Verteidigung oder zum Angriff verwendet werden, weswegen der Chopper zumindest auch den Übergang vom Aasfresser zum Jäger markiert.

Aber das führt weit in die Vergangenheit zurück. In unserer hochgerüsteten Welt wird vielmehr je länger je klarer, dass nicht allein die letalen und destruktiven «kinetischen» Waffen entscheidend sind, sondern auch die Informations- oder Propagandawaffen. Spätestens seit dem Ukraine-Konflikt wird in dem Bemühen, den Gegner zu dämonisieren und seine Gefahr zu beschwören, von waffenförmigen Informationen gesprochen, also von Informationen, die als Waffen gestaltet und eingesetzt werden: «weaponized information», gelegentlich erweitert, beispielsweise zu «weaponized narratives». Vermutlich kommt diese Verwendung aus dem biotechnischen Bereich, als es möglich schien, dass Viren oder Bakterien durch gentechnische Eingriffe zu Waffen gemacht werden können, und/oder aus der Erfahrung, dass auch Passagiermaschinen oder Fahrzeuge zu (terroristischen) Waffen verwendet werden können.

Damit ist man nun noch einen Schritt über die Cyberwaffen hinaus gegangen, mit denen zwar auch Informationen manipuliert werden können, die aber vor allem bedeuten, dass sich Computersysteme angreifen, knacken, (zer)stören oder lahmlegen lassen. Informationswaffen (Worte, Bilder, Musik etc.) hingegen zerstören in erster Linie nicht. Sie sollen aber wie Geschosse in die Köpfe eindringen, die Schutz- und Abwehrsysteme der Aufmerksamkeit oder der Wahrnehmung umgehen und austricksen, sich wie ein Virus in die Gehirne einnisten und diese beeinflussen.

Solche kognitiven Projektile als Waffen zu bezeichnen, ist auch eine Folge veränderter Kriegsszenarien. Sie kamen mit den ersten Überlegungen zum Cyberwar auf, auch wenn Propaganda und Beeinflussung schon immer ein wesentlicher Bestandteil der Kriegsführung war. Schon im Kern der «nationalen Sicherheitsstrategie für das nächste Jahrhundert» von Präsident Bill Clinton aus dem Jahr 1998 stand die folgenschwere Behauptung, dass die «Grenze zwischen der Innen- und Aussenpolitik zunehmend verschwimmt», weswegen die einst getrennten Aufgabenbereiche des Militärs, der Geheimdienste, der Polizei und der Wirtschaftspolitik unter dem Oberbegriff der Sicherheit miteinander verknüpft werden mussten.

Man bewegte sich damals bereits auf die Ausweitung und Permanenz des Kriegs nach dem Kalten Krieg zu, ein Konzept, das durch den globalen Terrorismus, mit der Kriegserklärung Osama bin Ladens Ende 1998, bestätigt wurde. Schliesslich hatte man nach dem Medienkrieg und dem Cyberwar, dem unkonventionellen und dem asymmetrischen Krieg einen neuen Begriff gefunden: den hybriden oder auch nichtlinearen Krieg. In diesen Begriff, der Ende der 2000er Jahre aufkam, wurde alles hineingepackt, was nur irgendwie mit einer Bedrohung oder einem Angriff von Gegner zu tun haben kann. Die Nato-Definition der NATO Military Working Group (Strategic Planning & Concepts), Februar 2010 lautet: «Eine hybride Bedrohung geht von jedem gegenwärtigen oder künftigen staatlichen, nichtstaatlichen und terroristischen Gegner aus, der die Fähigkeit besitzt, gleich ob sie demonstriert wurde oder wahrscheinlich ist, bei der Verfolgung ihrer Ziele gleichzeitig konventionelle und nicht-konventionelle Mittel adaptiv einzusetzen.»

Weaponized information ist eine Folge der paranoiden Vorstellung, dass jeder und alles zum kriegerischen Mittel werden kann, was eben auch heisst, dass der Krieg im Alltag angekommen ist, sodass bereits der Diskurs oder die Kommunikation zur Waffe wird. Das soll auch heissen, dass der offene Informationsraum der westlichen Gesellschaften wie die Luft für die Verbreitung der Projektile ausgenützt werden kann, weswegen er verschlossen, abgesichert werden, einen Panzer erhalten muss, um derartige Informationswaffen abzuwehren, ähnlich wie mit einem Raketenabwehrsystem und kill vehicles gegnerische Raketen abgeschossen werden. Besonders bedrohlich ist dabei vermutlich die Tatsache, dass alle Worte, Bilder oder andere Informationen «abschiessen» können – über das Internet sogar weltweit. Daher wird nun nicht mehr nur von der nationalen Sicherheit, sondern auch von der «kognitiven Sicherheit» gesprochen (Rand Waltzman: «The Weaponization of Information. The Need for Cognitive Security», Rand Corporation 2017).

Aus transatlantisch westlicher Perspektive stehen die angeblichen russischen Informationswaffen im Vordergrund, die besonders perfide eingesetzt würden, nämlich im Unterschied zu herkömmlicher Propaganda als Stealth-Geschosse. So heisst es beim transatlantischen «Center for European Policy Analysis» (CEPA Infowar Paper No. 1, 2015): «Stattdessen ist sie (die Information) so kalibriert, dass sie verwirrt, durcheinanderbringt und ablenkt. In den Worten von Peter Pomeranzev und Michael Weiss, hat das moderne Russland die Information zur Waffe gemacht und die Medien in einen Arm der staatlichen Machtprojektion verwandelt. Ihr nihilistischer Ansatz lässt sich am besten mit dem Motto des primären Fernseharm des Kreml RT zusammenfassen: «Hinterfrage mehr.» Die russische Desinformation zielt nicht darauf, Antworten zu geben, sondern Zweifel, Nichtzustimmung und letztlich Paralyse zu provozieren.» Interessant ist, dass hier alle Seiten die Skepsis der Aufklärung in Anspruch nehmen und gleichzeitig als destruktiv ablehnen.

Informationswaffen gibt es seit Beginn der Philosophie und Aufklärung im antiken Griechenland. Dort entwickelten begabte Redner sprachliche Mittel, Theater bestimmte Aufführungstechniken oder Künstler malerische Mittel als Beeinflussungsmöglichkeiten, um Menschen zu überzeugen oder mit Scheininszenierungen abzulenken. Die Raffinesse der Verführung lag und liegt auch in der funktionalen Ästhetik, die aus der Vereinfachung der Mittel entsteht, etwa aus den rhetorischen Argumentationsfiguren, die jeweils als Waffen eingesetzt werden können, zumal wenn allgemeine Verunsicherung vorausgesetzt oder beschworen wird. So werden dann gegen die Beeinflussungs- und Täuschungsoperationen mächtige komplexitätsreduzierende Bilder als Waffen wie das Höhlengleichnis von Platon in Stellung gebracht, welches das Vertrauen in herrschende Institutionen untergräbt und alternative Fakten durch einen Austritt aus einer höchst fiktiven Höhlengefangenschaft mit lauter Fake News in Aussicht stellt. Das ist keineswegs nur eine Strategie der bösen Russen, sondern etwa auch des deutschen Verkehrsministeriums, das mit der Hilfe einiger Lungenärzte wissenschaftlichen Konsens über die Gefährlichkeit von Feinstaub und Stickoxide untergräbt.

Im Unterschied zu den kinetischen Waffen, deren Design darauf ausgelegt ist, Menschen irreversibel zu töten und Dinge nachhaltig zu zerstören, ist die Strategie, von «weaponized information» zu sprechen, darauf angelegt, in ein Labyrinth des diskursiven und narrativen Wettrüstens zu führen, in dem nicht klar ist, was Form und was Funktion ist. Insofern müssen die eingesetzten Waffen in ihrer Wirksamkeit grotesk übersteigert werden, während gleichzeitig Menschen, die ihre Informationswaffen angeblich erfolgreich einsetzen, als Influencer gefeiert werden. Letztlich spielt sich weaponized information auf einer Bühne ab, auf der seit Jahrtausenden von Politikern, Künstlern und ganz normalen Menschen geprobt wird.

Amor schiesst eben auch seine Liebespfeile ins Herz und soll so unwiderstehlich Liebe erzeugen. Aber als Knabe ist er verspielt, man weiss nicht, wohin er schiessen wird.

Florian Rötzer ist ein deutscher Journalist. Er studierte in München Philosophie, Pädagogik sowie Psychologie und ist Chefredakteur beim Online-Magazin Telepolis, zu dessen Gründern er gehört.

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