Monika kam zwei Monate nach mir, wie wir es vereinbart hatten. Für sie war es schwieriger, obwohl sie wusste, dass es keine Alternative gibt.

Es ist schön hier, die Bewohner des Dorfes sind freundlich, das Brot ist gut. Als ich das erste Mal hier war, spürte ich die spezielle Kraft sofort. Eine Kraft, mit der die Einheimischen, die auf den ersten Blick eher unsensibel scheinen, erstaunlich gut umgehen können. Trotz der enormen Schwingungen, die vom Berg aus gehen. Über die letzten paar Monate kamen immer mehr Neuzuzüger, Monika und ich vermieteten unser Wohnzimmer. Die Schwingungen waren merklich stärker geworden. Der Dinkel des Brotes wurde kerniger und kapselte seine Energien tief ein, um im entsprechenden Moment ebenso vorbereitet zu sein wie wir. Die Krume des Brotes verändert sich stetig.

Ich kenne Monika erst seit einem Jahr, wir lernten uns beim Feuerlauf-Weekend auf Bad Helmeringen kennen. Obwohl ich noch mit Susanne zusammen war, war ihre Anziehung zu stark, um sich ihr zu widersetzen. Nach vier Stunden Feuerlauf zitterten wir gemeinsam mit den dünnen Zweigen der Büsche hinter Helmeringen.

Nun sind wir hier. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Entstehung der neuen Ordnung, jeder hier bereitet sich auf seine ganz eigene Weise darauf vor. Mittlerweile sind wir sechstausend, als ich ankam, waren es etwas mehr als neunhundert. Wir haben uns gemäss unseren Bedürf- und Kenntnissen in Gruppen aufgeteilt. Monika ist bei den Feuerschamaninnen, ich bei der energetischen Absicherung des Geländes durch Kraftkristalle, andere meditieren, beten oder berechnen. Wir sind richtig eine kleine Welt nur für uns geworden. Zwist und Missgunst gibt es selten. Und wenn, dann geht es meist nicht um die gemeinsame Sache, sondern um persönliches.

Dies müssen wir überwinden, das ist klar. Bei der grossen Verantwortung, die auf uns lastet, ist eine gelegentliche Nervosität allerdings auch verständlich. Manchmal regt mich Monika derart auf, dass ich ihr einen dicken Brauneisenstein über den Kopf ziehen will. Was ich natürlich nicht tue. Als einer der Überlebenden habe ich eine Vorbildfunktion. Lieber höre ich auf das Summen des Berges. Es geht nicht mehr lange. Der Dinkel kapselt und die Krume verändert sich. Heute Morgen hatte es Spuren im Kies. Bald, bald.

Mit einem vor Kräften triefenden Fest werden wir die neue Schöpfung willkommen heissen und in das nächste Zeitalter übergehen. Der Berg wird seinen Stein aufspalten und seine Kraft strömen lassen. Von anderen Sternen werden sie zu uns kommen, während unter uns die Welt zusammenbricht. Gut möglich, dass ich dann endlich Gelegenheit haben werde, mich an die schöne Griechin aus der Kräuterhexengruppe heranzumachen. Was danach sein wird, weiss ich nicht.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert