Die Irin Wallis Bird ist wohl das, was man eine Singer/Songwriterin nennt. Ihre Songs stecken Lebensphasen ab, kehren immer das nach Aussen, was ihr gerade am Nächsten ist. Sie sind, im besten Sinne, erschütternd.

 

I love you

You love me

I am so tired of that line

 

Wallis Bird, «I Am So Tired Of That Line», 2012

 

Wie war das noch mit den Stadtmauern von Jericho, die durch Musik zum Einsturz gebracht wurden? Sieben Trompeten reichten, um das massive Mauerwerk der Stadt in sich zerbröseln zu lassen – so zumindest steht es in der Bibel. Genau dieses Bild evoziert die Irin Wallis Bird: 35, aufgewachsen in der ländlichen Provinz County Meath, später urbanisiert in Dublin und London, seit ein paar Jahren wohnhaft in Berlin, mit ihrer Musik. In ihren Songs liegt eine Kraft, der kein Mörtel, Lehm und Backstein gewachsen ist. Je nachdem kann sie ihre Hörer ganz schön traurig oder ganz schön glücklich machen. Dass ihr Gesang je unbemerkt verhallt, ist schier undenkbar. In ihren besten Momenten ist alles da, ein vibrierendes, seelisches Konvolut, aufgetürmt auf der Zunge. Und das landet dann direkt vor den eigenen Füssen, nicht zu ignorieren. Vielleicht weil da in den besten Fällen eben keine Abstraktion geschieht, kein künstliches auf-eine-nächste-Ebene-Gehieve, keine Strategie.

Ihre Songs und Alben scheinen Lebensabschnitte abzustecken. Da ist das Herantasten an das Musikerleben und das Ausprobieren, die Heranbildung von Selbstbewusstsein, erste kritische Töne, Major-Label-Erfahrungen, Hinterfragen und Abklopfen von Rollenbildern und Erwartungen, Auseinandersetzung mit Identität und Heimat, Exploration einer neuen Heimat, tiefes Abtauchen ins Nachtleben, Experimentieren, freischwimmen, ankommen.
Vielleicht kann man vereinfacht sagen, dass in Wallis Bird eine Hippie-Seele wohnt. Sie scheint jemand zu sein, der sich an Konventionen reibt, sie in Frage stellt, nichts grundsätzlich negiert, aber immer alles erst für sich auszutesten, für gut oder schlecht, für praktikabel oder nicht zu befinden gedenkt.

Schreib doch auch noch das mit dem Finger

Der Song «I Am So Tired Of That Line», zu Deutsch: «Ich hab die Schnauze voll von dieser Zeile», ist Zeugnis davon. Es ein kleines Aufbäumen gegen die Routine, gegen die Rollenbilder, gegen den Stillstand, gegen die Resignation, gegen das allgemeine Hinnehmen.
Gegen all das wird angesungen, rhythmisiert, geschrummt, getanzt, gemurmelt. Bis, ja bis sich die Zeilen immer wieder wiederholen. Wann kommt denn nun dieser Zug und nimmt einen irgendwie weiter, erlöst einen vom Stillstand?

Fünf Alben hat Wallis Bird inzwischen veröffentlicht. Zuletzt, im Herbst 2016, «Home». Auf dessen Cover umarmt sie innig ihre Lebenspartnerin. Im Titelstück spricht sie dieser intensiven Liebe, die sie einst von London nach Berlin führte, ewige Gültigkeit zu. Der Song kommt ohne jegliche zusätzliche Instrumentierung aus, wird von der Stimme alleine getragen, die da von dieser fieberhaften Anziehung, von der schüchternen Annäherung, von immer stärker werdenden Magnetwirkung berichtet. Ein Thema, welches das Album bestimmt. Was das für die Sängerin bedeutet, dieses gleichgeschlechtliche Glücksgefühl endlich so herauszusingen: Es ist in jeder Note spürbar.

«Schreib trotzdem noch, sie könne besser traurig als glücklich machen. Dann hört man ihr am Liebsten zu», wird dem Musikjournalisten geheissen. Mag sein, dass ihr die Bitterkeit oder der Versuch, ebendiese abzubstreifen am Besten gelingt. Sie rhythmisiert gut, sie spielt die Gitarre ganz eigen – «Ach ja: Und schreib doch auch noch das mit dem Finger und der falsch herum gehaltenen Gitarre.» (Bei Interesse: Bitte Wikipedia konsultieren) – , sie lässt wie auf dem aktuellen Album einfach mal das Schlagzeug weg, den Bass weg, experimentierte in der Vergangenheit schon mit House, mit Pop, mit buntem Allerlei, aber sie ist nach wie vor am Stärksten, wenn sie einfach singt, singt, singt. Sie könnte all diese Songs auch alleine an einer Strassenecke oder in einer U-Bahn Station in Neukölln umsetzen. Da ist keine heisse Studioluft, die irgendetwas künstlich aufpumpt, was eigentlich nicht da ist.

Das Lustige daran: Oftmals hat sie den perfekten Pop-Dreh raus, schreibt aus reiner Gefühligkeit an Radiohits gemahnende Songs wie «The Circle» oder Mantras wie «Encore».

Wallis Birds Gesang klingt, wenn sie will, wie ein Befreiungsakt. Er lässt Mauern zerbröseln wie ausgetrocknete Sandburgen. Genau darum tut ihre Musik so gut.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.
Wallis Bird tritt am Mittwoch, dem 19. Juli um 19.30 Uhr auf der Seebühne der Roten Fabrik auf.

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