Weihnachten 1983 lag ein neuartiges Gerät unter Hunderttausenden westeuropäischer Weihnachtsbäume: Eine dicke Plastiktastatur zum Anschliessen an den Fernseher, im Idealfall mit zusätzlichem Kassetten- oder Diskettenlaufwerk. In Kontinentaleuropa war es vor allem der US-amerikanische Commodore 64, in Grossbritannien der etwas leistungsschwächere, aber deutlich schlankere einheimische ZX Spectrum mit Gummi-Tasten und einem futuristischen Gehäuse. Der Heimcomputer, ursprünglich eine Erfindung US-amerikanischer Bastler, war endgültig auf dem europäischen Massenmarkt angekommen. In den Vorstellungen der Bevölkerung war der Computer jedoch nach wie vor ein mysteriöses Gerät gigantischen Ausmasses, versteckt hinter Verwaltungs- oder Fabrikmauern. Von dort aus trat er seinen finsteren Siegeszug an und brachte die Menschen um Jobs und Privatsphäre. Oder aber, je nach Blickwinkel, ungeahnte kreative Möglichkeiten.

Den technologischen Wandel in der Gesellschaft kritisch zu begleiten, war stets ein wichtiges Bestätigungsfeld der Linken. Für die Computerisierung der 1980er Jahre trifft das um so mehr zu, denn sie betraf auch einige Kernbereiche linker Gesellschaftskritik: Die industrielle Arbeitswelt veränderte sich durch die Automatisierung rasant; das vollmundig angekündigte US-amerikanische «Star Wars»-Rüstungsprogramm war im Kern eine Computerisierung der Kriegsführung; computergestützte Rasterfahndung und maschinenlesbare Personaldokumente schliesslich rückten die Perspektive eines neuartigen Überwachungsstaates auf die Tagesordnung.

Während aber der Grossrechner eindeutig als Machtinstrument wahrgenommen und entsprechend bekämpft wurde (einschliesslich Brandanschlägen auf Rechenzentren, wie etwa 1983 durch die «Revolutionären Zellen»), sorgte der Siegeszug des Heimcomputers zunächst einmal für Verwirrung. Einerseits waren die kleinen Geräte teilweise genauso leistungsstark wie die Grossrechner früherer Jahrzehnte, andererseits wurden sie massenhaft an Jugendliche verkauft, die darauf – und das machte die Geräte in den Augen Erwachsener noch suspekter – vorgeblich primitive und stupide Spiele spielten. Entsprechend ordnete Joseph Weizenbaum, der US-amerikanische Informatiker und Altmeister der akademischen Computerkritik, die neuartigen Geräte in einem 1984 in Zürich erschienen Interviewbändchen ein: Die Heimcomputer seien bloss ein «neues Spielzeug … für Kinder», eine «Modeerscheinung», die in zehn Jahren vergessen sein werde. Doch viele herrschaftskritische Publizisten wollten sich mit solchen Beschwichtigungen nicht zufriedengeben.

Die linke Heimcomputerkritik der 1980er Jahre fusste auf drei Traditionen. Zum einen war es die gewerkschaftliche Kritik an der Automatisierung und Rationalisierung der Arbeitswelt. Dazu kam zweitens die Vorstellung von einer übermächtigen Kulturindustrie, deren Produkte lediglich die realen Machtverhältnisse verschleiern würden. Und schliesslich waren es die in den 1980er Jahren an Fahrt gewinnenden ökologischen und pazifistischen Positionen, die Technologie im Allgemeinen in Widerspruch zur ins Ideal erhobenen «Natur» setzten und den Computer im Besonderen als Ausgeburt des militärindustriellen Komplexes deuteten.

Daraus speisten sich die Deutungsangebote, die einige linke Intellektuelle der deutschsprachigen Öffentlichkeit boten – auch solche, die keine zentralen Protagonisten des linksalternativen Milieus waren, jedoch bewusst an dessen technikskeptischen Diskurs appellierten und dort entsprechend rezipiert wurden. Der Kommunikationswissenschaftler Claus Eurich etwa veröffentlichte 1985 das Buch ‹Computerkinder. Wie die Computerwelt das Kindsein zerstört›, in dem er postulierte, die ganze «Computerkultur» diene nur dazu, einen neuen grossen Markt unter Teenagern zu erschliessen. Alle Initiativen, die auf die Computerisierung der Jugend abzielen, von Informatikunterricht bis zu Computerklubs, erklärte Eurich zu «Förderinstitutionen» dieser Industrieverschwörung. Für Eurich war es alarmierend, dass «Kinder, die drei, vier, fünf Stunden täglich vor ihren Kleinrechnern sitzen, keine Seltenheit (sind) … Bis aufs äusserste konzentriert sitzen sie, gespannt, verkrampft, wollen immer schneller werden, durchs Labyrinth kommen, noch mehr Panzer abschiessen, Programmfehler eliminieren.» Vor allem der letzte Satz ist bemerkenswert: Hier wurde das Beheben von «Bugs», eine Aktivität, die fortgeschrittene Kenntnisse voraussetzt, gleichgestellt mit dem reinen Spielkonsum, der zudem als militaristisch gebrandmarkt wurde.

Der Arbeitspsychologe Walter Volpert schlug mit seinem ebenfalls 1985 erschienen Buch ‹Zauberlehrlinge› in dieselbe Kerbe. Er attestierte Computer-Kids Beziehungsunfähigkeit, Verwahrlosung und Suchtverhalten. Entsprechend wenig hielt er von Informatikunterricht: «Es ist also sehr zu bezweifeln, ob die ‹Bastelkurse›, zu denen sich computersüchtige Schüler und Lehrer heute zusammenfinden und in denen alle mögliche Programmiererei mit der Computer-Sprache BASIC betrieben wird, … irgendwie nützlich und sinnvoll sind. Wir sollten solche Kurse eher als eine moderne Form des Rauch-Zimmers in den Schulen ansehen (zum Haschisch-Zimmer hat es wohl keine Schule gebracht).»

Die Lösung lag für beide Autoren in Verweigerung und Sabotage. Volpert appellierte an den «Widerstand» gegen Computer, während Eurich in seinem Fazit anmerkte, er könne bei Berichten über die «Zerstörung des einen oder anderen digitalen Götzen unserer Zeit … eine gewisse klammheimliche Freude nicht unterdrücken». Hier war man wieder am Feindbild Grossrechner angelangt – doch wie sollte dieser «Widerstand» gegen die Heimcomputer aussehen? Mit dem Vorschlaghammer im heimischen Kinderzimmer? Andere Publizisten wollten sich mit einer solchen Boykotthaltung nicht abfinden. Sie wollten vielmehr verstehen, was die Faszination des Heimcomputers als Spiel- und Experimentiergerät ausmachte. So etwa Matthias Horx, Alt-Sponti und Pflasterstrand-Journalist, der sich in seinem 1984 erschienenen Taschenbuch ‹Chip-Generation› auf einen «Trip durch die Computerszene» begab. Dort entdeckte er ein höchst lebendiges und dezentrales Milieu, bevölkert von verschiedensten Akteuren – von diskettentauschenden Jugendlichen bis hin zu Umweltaktivisten, die Mikrocomputer zur Analyse von Messwerten einsetzten. Im selben Jahr publizierte der linke Kulturtheoretiker Georg Seeßlen unter dem Titel ‹Pacman & Co.› eine brillante, zu Unrecht vergessene Analyse des Mediums Computerspiel – und zugleich ein Plädoyer für die Kids vor dem Bildschirm. In ihrer Computerbegeisterung sah Seeßlen eine Rebellion gegen die auf den Hund gekommene Alternativpädagogik, die sich zu einer Verbotspädagogik gewandelt habe: «In der Tat ist diese Verlogenheit von jedem Kind zu durchschauen, das sich im Kinderkultur-Getto mehr Kraft zur Rebellion holt als aus dem Gesülze seiner Feierabend-Hippie-Eltern.»

Die linksalternative Publizistik für und wider Heimcomputer war lautstark und prägte die öffentlichen Debatten – zumindest bis in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Sozialwissenschaftler das Thema übernehmen sollten. Aber wie sah es in der Praxis aus? Wie gingen politische Gruppen vor Ort mit dem Phänomen um?

Einige Aktivisten hingen maschinenstürmerischen Ansätzen an – etwa die anonymen westdeutschen Verfasser des Flugblattes «Sabotage gegen Computerstaat», die neben der Beschädigung von Automaten und maschinenlesbaren Ausweisen forderten, «Heimcomputer, Telespiele, mikroprozessorbestückte Geräte zu boykottieren». Andere jedoch zogen es vor, das emanzipatorische Potenzial der neuen Geräte auszuloten. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist der Chaos Computer Club, der aus einem 1981 abgehaltenen Treffen linker Computerfreaks in den Redaktionsräumen der taz hervorging.
Aber auch lokale Initiativen widmeten sich den neuen Maschinen. So hielt etwa die Zürcher Rote Fabrik im Januar 1984 die Projektwoche «Die Computer kommen!» ab. Die Organisatoren postulierten zwar, dass die Computerisierung die Gesellschaft schneller überrolle, «als uns lieb ist» – doch die Kernfrage ihrer Ankündigung war eine praktische: «Was machen wir daraus?» Das Ziel sei, «Anwendungsmöglichkeiten für Computer aus der Medienflut heraus(zu)greifen» und sowohl der kritiklosen Begeisterung als auch der Ablehnung der neuen Technologien sachliche Informationen und Erfahrungsberichte entgegenzustellen. Das Programm löste diesen Anspruch voll ein: Neben Diskussionen und Filmvorführungen zu Risiken der Computerisierung wurden Workshops zu Computergrafik und -musik durchgeführt, wie auch diverse künstlerische Aufführungen dargeboten, bei denen Computer kreativ einsetzt wurden.

Die Computerwoche war, wie Beteiligte sich erinnern, auch innerhalb der Roten Fabrik eine umstrittene Angelegenheit. So stiess etwa die elektronische Musik von Bruno Spoerri und Brainticket bei einem Teil des Publikums auf Ablehnung – jemand hatte sogar das Konzert zu sabotieren versucht, indem Deckenkräne in der Aktionshalle in Bewegung gesetzt wurden. Auch wurden einige der von einer Firma geliehenen Vorführ-Computer entwendet – an derer Stelle fand man ein Bekennerschreiben aus dem Umfeld des «Revolutionären Aufbaus». Darin hiess es, die Computer würden nun für die Ziele der Weltrevolution eingesetzt. Was aus ihnen wurde, weiss man nicht – doch auch hier ist es hervorzuheben, dass die Gruppe offenbar Besseres mit den Rechnern vorhatte, als sie in Maschinenstürmer-Manier zu zerstören.

Die Projektwoche 1984 löste grosses Interesse aus – sogar ein Staatsschutzbeamter besuchte die Diskussionsveranstaltung zum Datenschutz und erstattete seinen Vorgesetzten ausführlich Bericht. Doch was war mit den «gewöhnlichen» Computer-Kids ausserhalb der linken Szene? Ein Zürcher IT-Profi, der 1984 als Jugendlicher zusammen mit seinem Bruder die berühmt-berüchtigte Cracker- und Demoszene-Gruppe «Swiss Cracking Association» gegründet hatte, gibt heute zur Auskunft, nichts von der Projektwoche mitbekommen zu haben. Die «Szene» sei «vor allem in zwei Warenhäusern an der Bahnhofstrasse aktiv» gewesen. Dort, und nicht in der Roten Fabrik, habe er sich «rumgetrieben».

Dass computerbegeisterte Jugendliche sich lieber bei Jelmoli und Vilan trafen als im linken Kulturzentrum, ist bezeichnend – nicht jedoch als Illustration für die These damaliger Publizisten, die Computer-Kids seien willenlose Opfer der Industrie gewesen. Schon das Verhalten der Jugendlichen in den Elektroabteilungen der Kaufhäuser, in Zürich und anderswo, spricht eine andere Sprache: Sie lungerten stundenlang im Kaufhaus, vergraulten zahlende Kunden und nutzten die Vorführmaschinen dazu, unerlaubterweise Spiele zu kopieren, ihre ersten Programmierversuche zu machen und allerlei Schabernack zu treiben. Die «Rebellion», die Horx und Seeßlen den Computer-Kids zugutehielten, fand auch im Konsumtempel statt.

Das Warenhaus als Ort jugendlichen Eigensinns hätte die zeitgenössischen Kritiker jedoch auch auf eine andere Spur bringen können. Mit ihrem Abarbeiten am Staat und an mächtigen Konzernen hatten sie übersehen, wie sehr Heimcomputer Medien des neuen, neoliberalen Zeitgeistes waren: Als Werkzeuge und Sinnbilder eines individuellen Unternehmertums, geprägt von flexibilisierten und atomisierten Arbeitsverhältnissen, Ausbeutung und v.a. Selbstausbeutung. Ein SPIEGEL-Reporter, der 1983 einige vor einem Kaufhaus herumstehende 13- bis 15-jährige Jugendlichen befragte, bekam von ihnen auf die Frage, was sie denn so an Computer fasziniere, überdeutliche Antworten: «Ich möchte später nicht am Fliessband irgendwelche Eierchen zusammenklatschen, sondern möglichst mein Geld mit Programmen verdienen.» Ein anderer gesellte sich dazu: «Ich bin doch sowieso schon im Geschäft. Ich bin zu einem Händler hin, der Software aus England importiert, und hab’ gefragt, ob er mir nicht die Programme zu Dealer-Preisen geben kann.» Ein dritter schaltete sich ein: «Hier ist meine Visitenkarte, meine Firma heisst ‹Easysoft›. Ich mach’ das auch so». Auch wenn die Jugendlichen sich durchaus kritisch zum Überwachungsstaat äusserten, war ihr Ansatz nicht, Computerwissen frei zugänglich zu machen – im Gegenteil: «Ich find’ es … schade, wenn sich die Technik so entwickelt, dass jeder Hans und Franz einen Computer bedienen kann.»

Egal, ob die Jungs bloss Aufschneider waren oder tatsächliche Jungunternehmer, hier performten sie ein neues Ideal, das seither nichts an seiner Wirkmächtigkeit eingebüsst hat: Der geniale Nerd, der Technologien zu Geld macht, mit denen «Hans und Franz» zwar den Computer bedienen können, aber nur nach seinen Spielregeln. In den 1980ern sozialisierte Self-Made-Entrepreneure, die mit ebenjenem Modell reich geworden sind, sind heute mächtiger denn je. Die «Rebellion» der Computerkids entpuppte sich zuweilen als eine, die nicht nur gegen den Staat und die Elterngeneration gerichtet war, sondern auch gegen die Gesellschaft.

Gleb J. Albert arbeitet am Historischen Seminar der Universität Zürich. Er forscht zur Geschichte des Heimcomputers und der Computer-Subkulturen in West- und Osteuropa der 1980er Jahre.

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