Die Behauptung, unsere Welt sei schnelllebiger geworden, ist vielleicht das einzige, was derzeit noch länger als einen Newscycle – also knapp zwölf Stunden – Bestand hat. Die FDP ist jetzt plötzlich auch gegen den Klimawandel und das, obwohl sie sich doch sonst eigentlich immer als die Partei des Wandels verkauft hat. Und immer gegen jegliche neuen Gesetze stimmt, weil es davon schon so viele gibt und alles so unübersichtlich geworden ist. Wo soll man da noch Zeit finden, sich in all das einzulesen, wenn man(n) Verwaltungsratssitzungen vorzubereiten hat?

Die SVP will nun plötzlich doch kein teureres Gesundheitswesen und lehnt eine Erhöhung der Minimalfranchise ab – etwa fünf Minuten, nachdem sie eine noch viel höhere Minimalfranchise gefordert hat. Was ist da geschehen? Haben die plötzlich bemerkt, dass sie doch keine Jobs als Versicherungsdetektive finden? Haben Scheininvalide wie Luzi Stamm protestiert? Oder hat das Koks etwa doch genützt?

Aber reden wir über die wichtigen Dinge: Chantal Galladé wechselt die Partei. Und als Sozialdemokrat bleibt mir nichts anderes zu sagen als: Wir sind nicht wütend, liebe Chantal. Wir sind nur enttäuscht. Bei allem Streit, der da vorausgegangen ist, bei all den Haaren, die du Daniel Jositsch gekostet hast: Wir hätten uns so viel Besseres für dich gewünscht als die Nipsterliberalen. Aber wenn du schon gehen musst: Hättest du nicht Mario Fehr mitnehmen können?

Aber vielleicht hat Nicole Müller-Boder ja Recht. Wahrscheinlich sind ja nur die Medien an der ganzen Misere schuld. JournalistInnen, die korrupte Gemeindepräsidenten mit nur einem Telefon stürzen, pädophile Kantonsräte und Priester enttarnen und dafür sorgen, dass sie eben länger als nur einen Newscycle aussitzen müssen, der seit Beginn dieses Textes noch ein paar Minuten kürzer geworden ist. JournalistInnen, die Hochschulen in den Abgrund stürzen können, wenn sie nur den Mut haben, Revisionsberichte und interne Untersuchungen zu veröffentlichen. JournalistInnen, die immer noch glauben, dass es eine Wahrheit geben könnte, der man auf der Grund kommt, wenn man nur genügend Kippen raucht, Webseiten klickt und so lange in die Tasten hackt, bis irgendjemand aufschreckt.

In dem Sinne müssen wir dankbar sein – dankbar für jene Stimmen aus dem off/rechts, die uns belehren, dass auch Wahrheit nur noch relativ ist. Oder eben eine Frage der Perspektive. Dass die Klimaerwärmung, so historisch gesehen, doch vernachlässigbar ist und sowieso, was ist ein Grad unter Freunden, wenn das frostige Klima in der politischen Weltlage das ohnehin wieder wettmacht? Dass 68.5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht doch irgendwie auch nur eine Episode sind – fliehen wir denn nicht alle irgendwann von diesem Planeten, wenn die Sonne sich zum roten Giganten aufbläst? Die einen sagen so, die anderen eben so.

Meanwhile: Jedes Wochenende gehen tausende von Kids auf die Strassen, weil sie die Schnauze voll davon haben, wie wir ihre Zukunft versauen. Und weil sie etwas gecheckt haben: Das Zeitfenster, die Welt zu retten, ist seit Anfang dieses Textes noch etwas kürzer geworden.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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