Nach dem Abwurf der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki setzte in den USA ab 1946 eine Verherrlichung und Trivialisierung der Atombombe ein, in einer Mischung aus Banalität und Glorifizierung, wie sie dem American Way of Life inhärent zu sein scheint. Die Atombombe wurde zu einer Ikone der Popkultur und zu einem Symbol für die Grenzenlosigkeit der eigenen Macht. Friseure boten «Atom-Haarschnitte» an, Fast-Food-Ketten den «Uran-Burger», es fanden «Miss Atomic Bomb»-Wettbewerbe statt, und es entstand eine ganze Reihe bizarrer Atombombensongs. Ob in Werbesongs, Comics oder auf Kaugummipackungen, der Atompilz wurde zum Synonym für eine explosive Erotik und symbolisierte die eigene Potenz. Der Atombombentest des amerikanischen Militärs im Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean wurde als exotisches Medienspektakel inszeniert. Der französische Modeschöpfer Louis Réard wurde von den atomaren Explosionen derart angeregt, dass er seinen Entwurf für einen neuartigen Badeanzug «Bikini» nannte. Die Bombe, die kurz zuvor in Hiroshima und Nagasaki Hunderttausende Menschen getötet hatte, wurde nun zum Inbegriff des Sex-Appeal und damit zum neuesten Schrei am Badestrand. Die Schweiz stand nach dem Ende des Kriegs ebenfalls im Bann des American Way of Life, und die US-Propaganda begünstigte damals auch hier die Verharmlosung der Atombombe.

Auch führende Köpfe des Schweizer Militärs träumten damals davon, die Armee mit Atomwaffen auszurüsten. Die neue bipolare Weltordnung des Kalten Kriegs mit den beiden sich feindlich gegenüberstehenden Militärbündnissen erforderte von der Schweizer Armee eine neue Verteidigungsstrategie. Innerhalb des Schweizer Offizierskorps gab es Anfang der 1950er-Jahre zwei rivalisierende Gruppierungen. Auf der einen Seite standen die Anhänger der Doktrin der «Mobile Defence», die eine bewegliche, offensive und technologisch hochgerüstete Armee mit möglichst vielen Panzern, Flugzeugen und Atomwaffen wollten. Auf der anderen Seite standen die Anhänger einer defensiven, statischen Verteidigungsstrategie, der Doktrin der «Area Defence». Aufgrund der beschränkten militärischen und finanziellen Möglichkeiten der Schweiz als Kleinstaat sprachen sie sich für einen defensiven Abwehrkampf und für die statische Verteidigung von strategischen Stützpunkten und Stellungen aus. Die Anhänger der «Mobile Defence» zielten auf eine möglichst vollständige Vernichtung des Gegners. Sie träumten von einer «Grossmachtsarmee im Taschenformat», um sich im Kriegsfall auf Augenhöhe mit der Sowjetunion duellieren zu können. Die Unabhängigkeit der Schweiz konnte ihrer Ansicht nach nur durch eine technisch hochgerüstete, bewegliche Armee garantiert werden. Die Verwendung von Atomwaffen betrachteten sie als eine Voraussetzung für die Verteidigung der Schweizer Neutralität. Die Verfechter einer defensiven Verteidigungsstrategie gingen demgegenüber von der technologischen und zahlenmässigen Überlegenheit eines potenziellen Gegners aus und beschränkten sich in ihrem defensiven Abwehrkampf auf einen lang andauernden, hartnäckigen und zähen Widerstand. Mitte der 1950er-Jahre setzten sich die Anhänger der «Mobile Defence» in diesem militärstrategischen Richtungsstreit vorerst durch. Unterstützung bekamen sie vom Waadtländer FDP-Bundesrat Paul Chaudet, der seit 1955 Chef des Militärdepartements war. Nach der Suezkrise und dem Ungarn-Aufstand 1956 wurde Bundesrat Paul Chaudet zum energischen Fürsprecher der atomaren Bewaffnung. Bereits 1956 machte das Militärdepartement eine erste Schätzung, was Atombomben kosten würden. Für zwölf Bomben des Typs «Hiroshima», die innerhalb von sechs Jahren erhältlich wären, wurde mit 600 Millionen Franken gerechnet.
Mit der Gründung des Vereins zur Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaften 1956 wurde die Propagierung dieser Ideen dem Zürcher Pressebüro Dr. Rudolf Farner übertragen, das dafür einen eigenen Mitarbeiter, Gustav Däniker jun., engagierte. Rudolf Farner führte ab 1950 eine eigene Werbe- und Public-Relations-Agentur in Zürich. In der Schweiz popularisierte er in den 1950er-Jahren mit neuen Marketing- und Werbemethoden den American Way of Life. Er machte Werbung für Coca-Cola, Philipp Morris, Nestlé, Maggi, Marlboro oder die Barbie-Puppen. Er war aber nicht nur ein gradliniger Verfechter der freien Marktwirtschaft, sondern auch ein senkrechter Schweizer Patriot und Antikommunist. Der Journalist und Historiker Marc Tribelhorn schrieb über ihn: «Rudolf Farners Weltbild ist wie das seiner Gegner: schwarz-weiss. Grautöne mag er nicht, schliesslich droht der Kalte Krieg beständig zu einem heissen zu werden. Die Angst, von der Freiheit in die Knechtschaft zu geraten, treibt ihn an.» Und weiter: «Dennoch gleicht der mächtige Meinungsmacher einem Chamäleon: Er ist zugleich Pionier und Konservativer, Betonkopf und Visionär, weltgewandter Turbokapitalist und Heimatschützer, Feingeist und Haudrauf.» Ab Mitte der 1950er-Jahre stellte Farner sein innovatives Propagandainstrumentarium in den Dienst der Rüstungsindustrie und betrieb politische Lobbyarbeit für die Anhänger der «Mobile Defence» in der Schweizer Armee. 1957 startete er dann eine Propagandakampagne gegen die Anti-Atom-Initiative, welche ein Verbot von Atomwaffen in der Schweiz forderte. Die Initianten wurden dabei öffentlich als Fanatiker, Sektierer, Unruhestifter und Landesverräter diffamiert. Die Kommunisten seien die «Drahtzieher der Atomkampagne» wurde suggeriert. Nach seinem Tod setzte der St. Galler Historiker, Journalist und Schriftsteller Niklaus Meienberg dem mächtigen Werbekönig Farner ein Denkmal, indem er dessen Abdankungszeremonie im Zürcher Fraumünster 1984 in einer seiner legendären, polemischen Reportagen beschrieb. Sarkastisch kommentierte Meienberg die Leichenrede von Oberdivisionär Gustav Däniker jun., auch er ein glühender Verfechter von Schweizer Atombomben: «Farner habe Geld machen wollen mit seiner Werbung und nicht Kunst, die Zahlen mussten stimmen, er habe erfolgreich für Coca-Cola, Renault und Nestlé geworben, sagte Däniker von der Kanzel herunter, auch für die Armee, wofür ihm die Armee dankbar sei, habe er erfolgreich und hart geworben, sei, wenn nötig, auch ein harter Vorgesetzter gewesen, habe selektioniert und stimuliert, klirrend ereifert sich Däniker, ein Savonarola der Public Relations, ein Kanzelprediger des Konsums, ein Evangelist des Sozialdarwinismus, ein Abraham a Santa Clara des Reklamebluffs, wird laut und schneidend, setzt seine Fistelstimme werbetechnisch ganz richtig ein, und die Kanzel, von der naturgemäss die Seligpreisungen der Bergpredigt verkündet werden, werden sollten, werden müssten, seit jeher sind Kanzeln in den Gotteshäusern dafür gebaut, selig die Friedfertigen, selig die Sanftmütigen, selig die Armen, die Kanzel beginnt nicht zu schwanken, zu zittern oder zu wanken, sie schüttelt ihn nicht ab, speit ihn nicht aus, eigentlich müsste es Schleuderkanzeln geben für diesen Fall, analog den Schleudersitzen in verunfallenden Flugzeugen, die Kanzel erträgt, mit dem allergrössten Gleichmut, die Direktwerbung von Oberstdivisionär Gustav Däniker, Teilhaber der Rudolf Farner AG, für die Rudolf Farner AG.»
Die Armeeführung verfolgte ihre Atombombenpläne Mitte der 1950er-Jahre gezielt weiter. Generalstabschef Louis de Montmollin schuf 1957 eine Studienkommission für die Beschaffung eigener Atomwaffen. In der Sitzung der Landesverteidigungskommission vom 29. November 1957 kamen die geheimen Pläne der Militärs dann erstmals offen zur Sprache. Oberstdivisionär Etienne Primault, der Kommandant der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen, sagte an der Sitzung: «Wenn man ein Flz. [Flugzeug] hätte wie beispielsweise den Mirage, der fähig sei, mit Atombomben bis nach Moskau zu fliegen, so könnte man sich einen Einsatz auch im Feindesland vorstellen. Der Gegner würde dann genau wissen, dass er nicht erst bombardiert werde, wenn er den Rhein überschreite, sondern dass auch Bomben in seinem eigenen Land abgeworfen würden.» Diese hochfliegenden «Atombombenträume» einiger führender Köpfe im Generalstab der Schweizer Armee waren ein Ausdruck der antikommunistischen Hysterie, die in der Schweiz nach der Suezkrise und dem Ungarn-Aufstand 1956 ihren Höhepunkt erreichte. Einer der heikelsten Punkte in diesen militärstrategischen Planspielen war das Problem eines Einsatzes von Atomwaffen auf dem eigenen Territorium. In der Diskussion vom 29. November 1957 sagte Generalstabschef Louis de Montmollin: «Es gebe aber Fälle, in denen wir unbedingt Atomwaffen einsetzen müssten, selbst auf die Gefahr hin, dass die Zivilbevölkerung einen grossen Schaden erleiden würde. […] Man könnte unmöglich darauf verzichten, nur aus Rücksichtnahme auf die Bevölkerung.» Sein Nachfolger, Oberstdivisionär Jakob Annasohn, der 1958 Generalstabschef wurde, pflichtete den haarsträubenden Ansichten seines damaligen Vorgesetzten bei. Er meinte sogar, es werde «Sache des Führers sein zu entscheiden, ob er in eigene bewohnte Gebiete schiessen lassen wolle oder nicht». In diesen militärischen Allmachtsfantasien der Schweizer Offiziere paarten sich Zynismus und Wahnsinn. Der rabiate Antikommunismus löste bei einigen Mitgliedern der Schweizer Armeeführung einen gefährlichen Grössenwahn aus. Nach dem antikommunistischen Schlagwort «Lieber tot als rot» hätten sie einen irrationalen, kollektiven Suizid in Kauf genommen, um im Kriegsfall einen atomaren Gegenschlag gegen die Sowjetunion führen zu können. Der Einsatz von Atomwaffen auf eigenem Territorium hätte in der kleinräumigen und dicht besiedelten Schweiz für die eigene Bevölkerung verheerende Folgen gehabt. Einige ranghohe Angehörige der Schweizer Armee waren bereit, im Kriegsfall die eigene Bevölkerung zu opfern, um die Sowjetunion mit Atomwaffen zu vernichten. Sie hatten ihre atomaren Hirngespinste aber nicht alleine im stillen Kämmerlein in einem fieberhaften, dunklen Wahn zusammenfantasiert, sondern vertraten ihre abstrusen, grössenwahnsinnigen Pläne ganz unverblümt in der Öffentlichkeit und bekamen in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre dafür auch noch Rückendeckung vom Bundesrat.

Am 11. Juli 1958 veröffentlichte der Bundesrat eine Erklärung, in der er erstmals eine eigene Bewaffnung mit Atombomben in aller Deutlichkeit befürwortete. Die Erklärung war eine Reaktion auf die Anti-Atom-Bewegung, die sich im Frühjahr 1958 in der Schweiz in Opposition zu den immer lauter werdenden Forderungen der Offiziere nach eigenen Atomwaffen zu formieren begann. Bundesrat Philipp Etter, Chef des Eidgenössischen Departements des Innern, wollte dieser «defätistischen Propaganda» nicht mehr länger tatenlos zusehen. Daraufhin verfasste Bundesrat Paul Chaudet die besagte Pressemitteilung, die am 11. Juli 1958 in allen Schweizer Zeitungen veröffentlicht wurde. Darin heisst es: «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung unserer Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören die Atomwaffen.» Die Erklärung vom 11. Juli 1958 war durchaus ernst gemeint. Ohne jegliche Diskussion erteilte der Bundesrat am 23. Dezember 1958 in einem geheimen Beschluss dem Militärdepartement den Auftrag, die Abklärungen zur Beschaffung von Atomwaffen einzuleiten. Obwohl die Armeeführung nun freie Hand hatte, ihre Atombombenpläne weiterzuverfolgen, kam die konkrete Umsetzung in den folgenden Jahren nur sehr schleppend voran. Nachdem Frankreich am 13. Februar 1960 seine erste Atombombe erfolgreich getestet hatte, wandte sich Generalstabschef Jakob Annasohn an Bundesrat Paul Chaudet, um die Beschaffung von Atomwaffen im Ausland abzuklären. Bundesrat Paul Chaudet wandte sich in einem geheimen Schreiben am 21. März 1960 an Bundesrat Max Petitpierre, den Vorsteher des Politischen Departements. In seinem Schreiben meinte er, nachdem nun auch Frankreich zur Atommacht geworden sei und das kommunistische China voraussichtlich in zwei bis drei Jahren ebenfalls eigene Atombomben besitzen würde, sei es an der Zeit, nun endlich mit den Abklärungen im Ausland zu beginnen. Bundesrat Petitpierre hielt den Zeitpunkt allerdings für denkbar ungeeignet, da die Schweiz damit die geplanten Abrüstungskonferenzen in Genf sabotieren würde.

Nachdem die Absichtserklärung vom 11. Juli 1958 vonseiten der Sowjetunion dermassen heftige Reaktionen ausgelöst hatte, nahm der Bundesrat im Verlauf der 1960er-Jahre immer mehr eine zögerliche Haltung ein. Der Gesamtbundesrat beschloss am 5. April 1960, dass die vorgesehenen Abklärungen im Ausland auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden sollten. Die «zur Beschaffung von Atomwaffen vorgesehenen Abklärungen bei ausländischen Stellen dürfen erst auf Grund eines späteren Bundesbeschlusses vorgenommen werden». Mit diesem Verbot von Auslandskontakten zur Beschaffung von Atomwaffen hatte der Bundesrat die atomaren Ambitionen gewisser Offiziere des Generalstabs erstmals gebremst. Die Armeeführung führte derweil ihre Studien weiter und hielt unbeirrt an ihren Atombombenplänen fest. 1963 wurde eine Studiengruppe damit beauftragt, die Möglichkeit einer eigenen Atomwaffenproduktion zu untersuchen. Der Bericht rechnete mit 750 Millionen Franken für 50 Fliegerbomben zu 60 bis 100 Kilotonnen und 50 Artilleriegeschosse zu 5 Kilotonnen innerhalb von 13 Jahren. Der Bericht schlug dazu eine intensivere Suche nach Uran, die Entwicklung von Uranzentrifugen, Extraktionsverfahren für Plutonium, eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ausland und weitere waffentechnische Grundlagenforschungen vor. Am 26. Februar 1964 forderte der Bundesrat vom Militärdepartement eine Studie an, die klären sollte, ob in der Schweiz Atombombentests möglich wären. Unterirdische Atombombentests, die unbemerkt vom Ausland im Innern der Schweizer Alpen durchgeführt werden sollten, hielt die Armeeführung damals für möglich.

Michael Fischer, geboren 1981, studierte an den Universitäten Bern und Luzern Philosophie, Geschichte und Ethnologie. Er schrieb als Kulturjournalist für den Tages-Anzeiger, die NZZ am Sonntag und die Süddeutsche Zeitung.
Vorliegender Text ist ein Auszug aus Michael Fischer (2019). Atomfieber. Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz. Baden: Hier und Jetzt.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert