Wohnungen und Häuser waren Bastionen des Privaten. Das ist längst vorbei, da sich gerade das Wohnen mit den smart homes grundlegend verändert.

Mit dem Einzug in Smart Homes ist endgültig Schluss mit der Illusion von Privatheit. Das häusliche Leben findet zwar nicht notwendig in der Öffentlichkeit statt, aber das Heim wird mehr oder weniger zu einem Subjekt, das auf die Bewohner reagiert und deren Verhalten beeinflusst. Zuhause ist man seit dem Telefon, das das erste Loch in die Gemäuer geschlagen hat, nicht mehr alleine; der Bewohner wird selbst zum Gast, der neben den vielfältigen Interaktionen mit seinem häuslichen Internet der Dinge und dem Dialog mit dem «Homeserver», dem neuen sprechenden und verstehenden Diener, direkt an der Weltöffentlichkeit teilnimmt und in der virtuellen Weltmetropole lebt.

Aber erst einmal ein Blick zurück. Es ist noch nicht lange her, da war der Inbegriff des Privaten, räumlich gedacht, das Haus oder die Wohnung. Damals war vor den Gehirnscannern und Implantaten; die Gedanken waren frei und das Heim eine Festung: My Home is my Castle. Ein Versteck, in dem man vor Überraschungen gemeinhin bewahrt wird, beruhigt Tätigkeiten nachgehen, ohne Angst ausruhen und ununterbrochen für Stunden tief schlafen kann. Das Wohngehäuse war vermutlich vor der Stadt und nach der Erfindung der ersten Werkzeuge und Waffen ein, wie man heute sagen würde, disruptiver Beschleuniger der kulturellen Innovation, ein Brutkasten der im Geheimen sich ausprägenden Individualisierung und eines sich durch Erholung und unabgelenkter Konzentration bildenden kreativen Geistes.

In das mit Mauern oder Wänden geschützte Heim zog man sich aus der Öffentlichkeit zurück und gewährte als Wirt möglichst nur erwünschten Gästen Eintritt und Aufenthalt. Durch Türen oder Fenster konnte man die Öffentlichkeit ausschliessen oder eine regulierbare räumliche, thermische, visuelle und akustische Verbindung zwischen Innen und einem lokalen öffentlichen oder halb-öffentlichen Raum herstellen. Schlösser und Fensterläden dienten der Sicherheit, Vorhänge wehrten die Einsicht ab, falls ein Garten vorhanden war, gab es in der Regel Mauern, verschliessbare Zugänge oder Hecken als vorgeschobenen Sicht- und Zugangsschutz, später mit Bewegungssensoren, Überwachungskameras oder anderen Techniken ausgestattet. Können die Ein- und Ausgänge vom Bewohner nicht nach eigenem Willen geöffnet und geschlossen werden, wird aus dem Wohngehäuse der private Raum eines Gefängnisses. Der Rückzug in den privaten Raum verkehrt sich dann zu einem Schutz der Öffentlichkeit durch Abschliessung in das tiny home der Zelle.

Das Heim war auch das Daheim, das nach den jeweiligen Möglichkeiten und gemäss den Traditionen, Normen und persönlichen Vorlieben gebaut oder auch nur eingerichtet wurde. Dort ist man bei sich im narzisstischen Spiegel der persönlichen Ausstattung und der auserwählten Objekte, die angesammelt werden. Es ist ein ebenso privater wie vertrauter Raum, aus dem das Fremde und Irritierende ausgesperrt wird. Das Wohngehäuse ist nach der Kleidung die zweite Schicht um den Körper. Schützt und verbirgt die Kleidung den eigenen Körper, so ist die Wohnung, wie Marshall McLuhan dies vorgeschlagen hat, eine erweiterte, kollektive Bekleidung, die einen Raum für den Aufenthalt von mehr als einer Person schafft.

Der Rückzug aus der Öffentlichkeit in die Wohnung eröffnet aber auch die Möglichkeit, aus dem geschützten Inneren das Leben in der Öffentlichkeit zu beobachten, zum unbeobachteten Zuschauer zu werden, letztlich zu einem Überwacher, der durch Spione an den Türen oder verborgen durch die Fenster den Raum draussen ausspäht. Mit Radio und Fernsehen hat sich diese Beobachterposition auf die Welt erweitert, die damit aber eben auch in das abgeschottete Wohngehäuse eindringt. Mit dem Telefon wurden dann die Menschen auch über grosse Entfernungen direkt miteinander verbunden, das Internet wölbt den Cyberspace über den realen Raum und ermöglicht schliesslich mit Sensoren und Effektoren, beispielsweise mit Drohnen und anderen Robotern, von Zuhause aus die Welt mit den Fernlingen zu bereisen und sogar über Tausende von Kilometern hinweg in sie einzugreifen. All das hat das Haus oder Wohngehäuse an die Weltöffentlichkeit angeschlossen, seiner Privatheit beraubt und es wurde Teil der virtuellen Weltmetropole.

Mit den Smart Homes beginnt aber eine neue Entwicklung, denn das Haus oder die Wohnung wird mit seinen vernetzten Objekten zu einem Gegenüber und der ehemalige Hausherr, der noch meint, sein Haus von innen oder auch aus der Ferne als Master steuern zu können, wird zu einem Gast, der nun auch in den Räumen nicht mehr allein sein und sich ausklinken kann. Das mag an die Zeiten erinnern, als die reicheren Mitglieder der Feudal- und bürgerlichen Gesellschaft ebenfalls umgeben mit Dienern waren, die auf Befehle reagierten und die Herrschaften beobachteten. Das moderne Konzept der Privatheit entstand erst im bürgerlichen Zeitalter. Im künftigen Smart Home übernimmt aber ein lernendes KI-System die steuernde Rolle, auch wenn es den Bewohnern hörig zu sein scheint und deren Wünsche vorwegnimmt. Dazu kommt, dass das prinzipiell undichte Smart Home, aus dem Sicherheitslücken nie ausgeschlossen werden können, schon allein, weil es immer mit anderen Systemen vernetzt ist, auch von aussen von Hackern, Terroristen, Kriminellen, Geheimdiensten, der Polizei oder anderen KI-Systemen übernommen werden kann. Der Bewohner wird dann zum Gefangenen, der nicht einmal mehr Türen oder Fenster öffnen kann, um dem Haus zu entkommen oder in es zu gelangen. Bei Pannen, einem Systemcrash oder bei einem Stromausfall friert das nicht durch einen Notstromgenerator gesicherte Smart Home ein, es wird abgeschaltet und unbedienbar, zu einer Falle.

Überhaupt entziehen sich die Smart Homes, die doch den Bewohnern ihre Wünsche von den Augen ablesen sollen, der wirklichen Beherrschung, da die komplexen Systeme und Programme von den meisten Menschen nicht mehr einsehbar, geschweige denn reparierbar sind. Komplexere lernende KI-Systeme sind selbst für ihre Programmierer Schwarze Löcher; es ist im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar, in welchen Schritten der Input zu diesem oder jenem Output führt. Kaum jemand wird in der Lage sein, selbst grössere Probleme oder Pannen von Smart Homes zu beheben, die Komplexität ist zu gross, das Wissen zu gering, die Abhängigkeit von Experten wächst, wenn es nicht mehr um einzelne Maschinen geht, sondern die Wohnung oder das Haus selbst zu einem lernenden und sich verhaltendem System geworden ist. Mit der zunehmenden Elektronik in Maschinen, Fahrzeugen und Häusern ist jetzt schon die Selbstreparatur durch Laien, das Do it Yourself, schwierig, wenn nicht unmöglich geworden, zumal wenn die Nutzer von den zentralen kommerziellen Programmen ausgeschlossen sind.

In der deutschen Sprache erinnert die Verbindung von Heim (auch Heimat) und Heimlichkeit daran, dass die im früher starren Gehäuse Wohnenden sich der Öffentlichkeit und der kollektiven Kontrolle entziehen. Die Privaträume waren intransparente Löcher, die aus Herrschafts- und Ordnungssicht gefährlich waren. Im Deutschen gibt es zu dieser ambivalenten Heimlichkeit aber auch das Gegenteil der Unheimlichkeit. Unheimlich können eben gerade auch die Heime werden. Das war auch früher so: Das Spukhaus, das sich spätestens seit der Romantik und mit der beginnenden Industrialisierung und Mechanisierung in der Fantasie und der Literatur und den Märchen verbreitete, war oft ein Schloss, eine Burg oder ein anderes altes Gemäuer aus der Vergangenheit, baufällig, düster und meist von Menschen schon länger nicht mehr bewohnt. Im romantischen Spukhaus lebt die Vergangenheit, dort hausen längst verstorbene Bewohner. Sigmund Freud hatte in seiner Abhandlung «Das Unheimliche» (1919) auf Anregung eines Aufsatzes des Psychologen Ernst Jentsch darauf hingewiesen, dass es das Wort «unheimlich» eigentlich nur in der deutschen Sprache gibt und es sich nicht in andere Sprachen übersetzen lässt, da das Un-heimliche aus dem «Heim» entsteht, also aus dem Vertrauten und Bekannten, in dem man sich sicher fühlt und in das man sich zurückzieht. In anderen Sprachen würde man unheimlich beispielsweise als «uncanny» (von canny = schlau, pfiffig), «étrange», «sospechoso», «sinistro» etc. übersetzen. Allerdings hat Freud übersehen, dass das englische Wort «haunted» (verfolgt, heimgesucht oder eben Spukhaus für «haunted house») auch ethymologisch mit dem «Heim» zusammenhängt, nämlich mit dem Wort «haimaz» aus dem Ur- oder Protogermanischen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt das Wort die Bedeutung von spuken.

Aber ein modernes, hochtechnisiertes, cleanes und glattes Hightech-Haus oder Smart Home spukt nicht im romantischen Sinn, unheimlich wird es auch nicht nach der These des «uncanny valley» von Masahiro Mori. Nach diesem werden Menschen humanoide Roboter, die dem Menschen gleichen, oder Roboter, die Tieren täuschend ähnlich sind, dann unheimlich, wenn sie fast echt wirken, aber dennoch irgendwie erkennen lassen, dass etwas nicht stimmt. Nähern sie sich aber weiter der Menschenähnlichkeit an, soll die Unheimlichkeit angeblich wieder verschwinden und werden sie als menschenähnliche Personen oder tierähnliche Lebewesen akzeptiert. Hingegen finde man Maschinen oder auch Tiere, die ein ähnliches Verhalten zeigen, aber sich im Aussehen unterscheiden, nicht beunruhigend, zumindest so lange nicht, wie deren Verhalten nicht den Charakter des rücksichts- und mitleidlosen «Bösen» annimmt und sie den Menschen bedrohen. Ähnlich ist dies bei den Smart Homes. So lange diese uns umhüllen und unseren Befehlen und Wünschen wie eine herkömmliche Maschine oder ein unterwürfiger Diener zu folgen scheinen, wird man sich heimisch und als Herrscher fühlen. Sobald sich das Smart Home aber fremdgesteuert oder eigenmächtig gegen Bewohner wendet und einen anderen Willen zu offenbaren scheint, wird es auf neue Art unheimlich. Das Haus, dieser umbaute Raum der Sicherheit und Vertrautheit, wird zur Person, mit der man wie mit einer Person spricht. Wir lernen das gerade mit den Alexas, Siris oder Cortanas, die noch als weibliche und damit als weniger gefährliche «Assistenten» dargestellt werden, aber schon begonnen haben, unser Verhalten und unsere Welt zu formen.

Es ist nicht mehr das alte Gebälk, die Spinnweben, knarzende Treppen, schlagende Fenster, unheimliche Schatten, Bewegungen im Clair-Obscur, düsteres Mobiliar, Dinge, die anderen Menschen gehört haben, kurz: eine verschwindende Vergangenheit, die noch in die Gegenwart reicht und die von aussen das tote Gemäuer und die dunklen Fenster als Augen bewohnt. Nun sind es die der Zukunft zugewandten Gebäude und Räume: Clean, ordentlich und hell, mit Glasfassaden, glatten Wänden, spiegelnden Böden, technische Niemandsorte und unwirtliche Nicht-Orte, die unpersönlich sind und funktional erscheinen, die sich schon im äusseren Anschein gegen die Besiedlung von Parasiten und anderen unerwünschten Eindringlingen richten, in denen Menschen wie in Flughäfen nur als Passagiere vorkommen, vorübergehend wohnen, aber bald weiterziehen und auch im längerem Bleiben nur auf dem Sprung sind, sich nicht wirklich einrichten, sondern sich vorfinden.
Eine Architektur, in der die Menschen bestenfalls Gast sind, aber keine Einwohner, die ein Gebäude zu dem ihrem machen, was umso befremdlicher ist, weil doch die «intelligenten» Gebäude gerade versprechen, personalisiert zu sein, sich an die jeweilige Person anzuschmiegen und sich ihr als Server/Diener zur Optimierung der Abläufe unterzuordnen. Aber weil sie nicht mehr als dumme Befehlsempfänger auftreten sollen, sondern fortlaufend durch Beobachtung das Verhalten der menschlichen Bewohner erfassen und Gebäudefunktionen von der Sicherheit über die Beleuchtung, Heizung/Kühlung, Reinigung oder Versorgung bis hin zu Benachrichtigungen, Vorschlägen oder Warnungen automatisch optimal regeln sollen, werden sie, unabhängig davon, ob das Smart Home abstrakt bleibt oder durch einen Avatar personalisiert wird, zu einem Gegenüber. Man ist schlicht nicht mehr alleine zuhause, sondern wird permanent überwacht von Kameras und anderen Sensoren in einem digitalen Kokon, der sich einerseits dem Bewohner anpasst, sich aber gleichzeitig um diesen legt, wodurch er zum Teil des Optimierungssystems wird, in dem sich Herr- und Knecht- bzw. Server-Verhältnisse in den Schaltkreisen auflösen und Privatheit zu einem Gespenst wird.

Florian Rötzer ist ein deutscher Journalist. Er studierte in München Philosophie, Pädagogik sowie Psychologie und ist Chefredakteur beim Online-Magazin Telepolis, zu dessen Gründern er gehört.

Ein Kommentar auf “Die neue Un-Heimlichkeit

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  1. […] Adrian Lobe hat bei Telepolis einen Artikel mit dem Titel Die Plattformen haben das partizipative Web gekapert veröffentlicht, der vorher bereits bei der schweizerischen Fabrikzeitung erschienen ist. Dort im Schwerpunkt zu der Neuen Öffentlichkeit. […]

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