Keine Angst vor Kitsch, langem Nackenhaar und heroischen Posen: Crimer ist froh, dass die lange Zwangspause vorbei ist. Er präsentiert am 11. Dezember sein neues Album «Fake Nails» in der Roten Fabrik. Zeit für einen flinken Austausch via Sprachnachrichten.

 
Adrian Schräder: Alex, das letzte Mal haben wir vor etwas mehr als zwei Jahren miteinander kommuniziert. Seither ist viel passiert in der Welt. Wie ist es dir ergangen? Konntest du die Pandemie kreativ nutzen?

Crimer: Insgesamt geht’s mir tibeditop. Ich habe seither viel erlebt und ganz viele Konzerte gespielt. Die Lockdowns sind mir jedoch weniger gut bekommen – wie den meisten. Ich konnte sie kreativ nicht wirklich nutzen. Irgendwie fehlte da der Input. Aber vielleicht wissen wir dafür ja jetzt Bescheid, wie wir das nächste Mal mit so einer Situation umgehen müssen. 


Fühlen sich Konzerte jetzt anders an?

Ja, auf jeden Fall. Viel emotionaler. Nicht, dass ich das früher nicht geschätzt hätte, aber man geht heute anders an ein Konzert, weil man weiss, wie es ist, wenn es nicht möglich ist. Diese Ohnmacht war schon sehr furchteinflössend, als es auf einmal hiess: keine Konzerte, Schluss, aus. Nicht mehr das machen, was man eigentlich am liebsten und am besten macht. Bei den letzten beiden Konzerten war ich den Tränen sehr, sehr nahe.

Damals, vor zwei Jahren, warst du etwas unsicher in Bezug auf deine Zukunft. Du hattest gerade den Vertrag mit Ultra Music unterschrieben und wusstest nicht, ob der Druck bzw. die Einflussnahme auf deine Musik nun zunimmt. Wie hat sich das entwickelt?

Es gab keine Einflussnahme. Ich bin da immer noch sehr autonom. Aber ich war da schon eine Weile in einer schwierigen Phase. Ich wusste nicht genau, wo ich hin will musikalisch. Aber jetzt bin ich mega zufrieden damit, wie sich das entwickelt hat.

Hat der Deal dir neue Türen geöffnet?

Bislang erst was Remixes und dergleichen anbelangt. Die ganz grossen Türen sind noch nicht aufgegangen. Aber ich bin da geduldig.  

Im Video zu «Home Alone» sieht man dich in bzw. auf einem roten BMW Cabrio über die Landebahn eines Flugplatzes rollen. Eine Fahrerin ist nicht zu sehen. Darf man davon ausgehen, dass es telepathisch gesteuert wird?

Dieses legendäre Auto gehört meiner Frau. Ein Relikt aus den Neunzigerjahren – und damit leider auch nicht telepathisch steuerbar. Wir haben natürlich mit einer Fernsteuerung geliebäugelt. Einiges billiger war dann aber die Variante mit einem guten Freund, der sich vornedrin versteckt hat… 

Letztes Mal sprachen wir über deine Vorliebe zu Rick Astley, Human League oder Duran Duran. Aber da steckt ja mehr in deiner Musik. Natürlich deine Kreativität, aber auch zeitgenössische Einflüsse. Welches war deine letzte musikalische Entdeckung?

Ich glaube, das war Vendredi sur Mer. Aber das ist auch schon ein, zwei Jährchen her. Sie flirtet allerdings auch mit alter Musik und verpackt diese neu. Vielleicht hat mich das darum so geflasht.

Wie ergeht es dir eigentlich mit Depeche Mode? Ich habe kürzlich wieder eine Dokumentation gesehen und es mag sein, dass ich den Dokumentaristen auf den Leim gegangen bin, aber ich glaube wirklich, dass diese Band bei gewissen Leuten eine ganz tiefe Verbundenheit auslöst. Eine Verbundenheit, die einen immer wieder erschüttert. Sind sie, über Jahrzehnte gesehen, vielleicht die universellste Band der Welt?

Ja, Depeche Mode ist schon eine Band, die sich verdammt crazy gehalten hat über all diese Jahrzehnte. Und sie halten sich weiterhin. Ich habe mal ein lustiges Diagramm mit ganz vielen Kreisen gesehen. Die Kreise standen für Gesellschaftsgruppen: 40-jährige weisse Männer, Gays, alleinstehende Mütter, indische Softwareingenieure, und, und, und, und. Und es gab da nur eine Schnittmenge: Depeche Mode. Das war natürlich scherzhaft gemeint, aber irgendwie stimmt es auch.

Wir haben damals auch über Boybands gesprochen. Deine heimliche Liebe damals, zu den Kirchenchor-Zeiten. Welches ist eigentlich die beste?

Die besten Boyband ist mit Abstand… schwierig… aber ich glaube schon, es sind die Backstreet Boys. Hinter N’Sync stand der Trick des Managers sie und sich selber zu kopieren, bevor es jemand anders tut. Aber das hat man irgendwie gemerkt. 

Dein neues Album «Fake Nails» klingt erfrischend (sorry for the lack of a better term…) Vor allem was die Beats und die Arrangements angeht, ist das neue Material um einiges ausgeklügelter. Wie bist du da vorgegangen?

Das hat wohl damit zu tun, dass ich ein Stück weit losgelassen und mich aus dem Fenster gelehnt habe. Rhythmisch ist es jetzt nicht immer nur Bumm-Zack, Bumm-Zack. Da gehen die Lorbeeren vor allem an Ben Christophers, dem Produzenten aus England, mit dem ich zusammengearbeitet habe. 

Ich habe kürzlich die Biografie von Falco gelesen. Ein Mann, der die Pose liebte und beherrschte. Auf der Bühne eine Macht. Du beherrscht das auch. Übt man das eigentlich zuhause vor dem Spiegel oder lässt man sich einfach gehen?

Ich glaube, da kann man vor dem Spiegel so lange üben wie man will – das kriegt man nie so hin wie auf der Bühne. Im Ernst: Das kommt einfach von selbst. Ich lasse mich da von der Emotion mitreissen. Mir ist das wohl ein Stück weit in die Wiege gelegt worden. Ich weiss zwar nicht genau, von welchem Familienmitglied…

Falco schlitterte immer mehr in eine Schreibblockade hinein, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. Scheiterst du manchmal vor dem weissen Blatt oder fliegen dir die Songideen zu? 

Bei mir sind das so Phasen. Wenn’s mir extrem gut geht, dann bin ich viel kreativer. Letztes Jahr hat mir die missliche Weltlage die Stimmung versaut – und deswegen passierte da nicht viel. Aber momentan flutscht es wieder ganz gut. 

Faber singt auf dem neuen Stereo Luchs Album, wäre auch Crimer im Urban-Kontext denkbar?

Ich bin mega offen für solche Experimente. Faber ist ein grosser Stereo Luchs Fan. Drum funktioniert das natürlich. Und so würde ich auch vorgehen, wenn ich so etwas anpeilen würde. Es müsste also eine Künstlerin oder ein Künstler und eine Stilrichtung sein, die mir liegt.

Was hat Crimer im nächsten Jahr vor?

Viele Konzerte spielen. Wir haben ein neues Liveset am Start. Sogar mit Lichtshow und Laser. Hoffen wir, dass uns die Weltlage erlaubt, durchs Land zu ziehen und den Laser auszupacken. 

Wovon bist du derzeit besessen?

Von in Schokolade getränkten Orangenschnitzen. Eine extrem gute Sache.



Crimer tritt am 11. Dezember um 20 Uhr in der Aktionshalle auf. Special Guest: Veronica Tention.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert