«Ich bin ein Berliner», sagte John F. Kennedy am 26. Juni 1963 in seiner Rede in West-Berlin als Zeichen seiner Verbundenheit mit den Bürgern der eingeschlossenen Stadt. Die Worte stammen nicht überraschend nicht von Kennedy selbst, sondern von seinem Redenschreiber Ted Sorensen. In Washington erzählte man sich, dass wenn der Präsident sich in den Finger schneidet, Sorensen blutet. Dass die Beziehung zwischen Ghostwriter und Autor nicht immer so stimmig sein muss, zeigt sich bei Heribert Schwan, der Ghostwriter von Helmut Kohls mehrteiliger Biographie; nachdem die Veröffentlichung eines vierten Bandes auf Eis gelegt worden war, entschloss er sich, aus der Anonymität herauszutreten und den vierten Band unter eigenem Namen zu publizieren. Darüber, ob das juristisch und moralisch zulässig ist, streiten Kohl und Schwan seit Monaten vor Gericht.

Letztlich geht es dabei aber auch um die Frage der wahrgenommenen Autorenschaft. In der Pop-Musik ist es seit langem kein Geheimnis mehr, dass bereits Frank Sinatra oder Elvis sich ihre Hits von Songwritern schreiben liessen; und auch heute schreiben Songwriterinnen wie Sia Furler für zahlreiche andere Musiker Charthits anstatt selbst im Rampenlicht zu stehen. Jeder weiss Bescheid und dennoch spricht man nicht überall gerne darüber. Musiker wie Bob Dylan, John Lennon oder Sting haben dafür gesorgt, dass es als chic gilt, seine Songs nicht nur selber zu performen, sondern auch selbst geschrieben zu haben. In der heutigen Musikwelt, in der man idealerweise jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen sollte, ist das jedoch für viele unrealistisch.

Dieses gesteigerte Tempo bekommen auch die Medien zu spüren. Die bisherige Schranke «Redaktionsschluss» existiert online nicht mehr. Das Zeitfenster, in der man noch an Qualität und Stil schleifen konnte, ist gegen null geschrumpft. Belohnt wird vor allem, wer als erster berichtet; und wer könnte das besser als ein Algorithmus? Die Digitalisierung hat nicht nur zu einer Zunahme von Plagiaten geführt, sondern auch zu neuen Möglichkeiten der automatischen Texterstellung. In Bereichen, in denen wie z.B. im Sport oder an der Börse umfangreiche statistische Daten zur Verfügung stehen, ist es bereits heute möglich computergenerierte Texte zu erstellen. Doch während diese oft als solche gekennzeichnet sind, tummeln sich in den Kommentarspalten immer häufiger sogenannte Sockenpuppen – künstliche, durch Software koordinierte Identitäten, die auf die öffentliche Meinung Einfluss nehmen sollen, indem sie sachliche Diskussionen stören oder verzerren. Online-Demokratie wird zur Farce, wenn wir nicht mehr sicher sein können, ob hinter einem Kommentator eine tatsächliche Person oder lediglich eine Software steckt. Wie nahe wir bereits an diesem Punkt sind, hat dieses Jahr auch Eugene Goostman bewiesen, der als erste Software, wenn auch unter erleichterten Bedingungen, den Turing-Test bestanden und damit ein menschliches Gegenüber von seiner Echtheit überzeugt hat. Während der Spot in der Regel immer auf den Redner oder die Performerin gerichtet ist, sucht diese Ausgabe nach Spuren der Geister zwischen diesen beiden Polen, von Kennedy bis zu Katy Perry.

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