Ich weiss nicht, ob die Queen noch lebt, wenn diese Ausgabe erscheint. Ich rechne nicht damit. Aber ich rechne schon seit Jahren mit ihrem baldigen Ableben. Seit ebenso vielen Jahren arbeite ich an ihrem Nachruf. Ich habe noch nie so lange an einem Nachruf geschrieben. Nicht einmal an dem für H.R. Giger. Der war schon auch eine längere Baustelle. In seinem Fall aus Liebe. In ihrem Fall nicht nur. In ihrem Fall ist es die ungeheure Grösse. Nicht die Grösse ihrer Person, erstens ist sie körperlich eher klein geraten, zweitens scheint sie inwendig eine eher langweilige Frau zu sein. Aber als roboterartig funktionierende Amtshülle ist sie vollendet, und seit Angela Merkel nicht mehr an der Macht ist, gibt es keine einflussreichere Frau auf Erden. 

Hallo, ich möchte Königin werden.

Wie Giger liebt und besitzt die Queen Schlösser. Gut, er hatte nur eins, sie residiert auf mindestens acht. Wie Giger beherrscht sie die Kunst der ins Surreale abgleitenden Inszenierung. Sie ist sowas wie sein Alien, dem alle Zähne gezogen worden sind. Im Gegensatz zu ihren Vorgänger-Aliens, die die Welt mit Kriegen und Kolonien überzogen hatten. Aber ich wollte gar nicht böse werden. Und schon gar nicht wollte ich die Queen mit einem Mann und seinem Monster vergleichen. Ich wollte erklären, wieso sie mir in meinen sehr jungen Jahren sehr viel bedeutet hat. Sonst wäre mein erster Berufswunsch nicht Königin gewesen. Ich stellte mir das ganz einfach vor: Ich würde zur Berufsberatung gehen und sagen: Hallo, ich möchte Königin werden. Die Berufsberatung würde erkennen, dass es sich dabei um einen völlig gerechtfertigten Wunsch handelte, und Türen würden sich öffnen. 

Meine Qualifikationen waren, dass ich als Kind am liebsten verkleidet herumlief und das Magazin «Die schönsten Kronjuwelen der Welt» auswendig gelernt hatte. Es war damals, weit, weit im letzten Jahrtausend, eine einmalige Beilage der «Schweizer Illustrierten» oder «Schweizer Familie» oder «Glückspost» gewesen, ich weiss es nicht mehr genau. Auf jeden Fall hatte ich es so oft durchgeblättert, dass die Saphire und Smaragde allmählich Farbe und Glanz verloren und nur noch als bunte Brösel an meinen Fingern klebten. Es war wie in diesem Märchen von Oscar Wilde, «Der glückliche Prinz», in dem eine Schwalbe die Juwelen und das Blattgold von einer sprechenden Prinzenskulptur pickt und unter den Armen verteilt. Wobei ich zugeben muss, dass die Armen in meinen Königinnenfantasien keine Rolle spielten. 

Wie jedes Kind wurde ich älter und erkannte zwei Dinge: Erstens gab es keine Königin, die den ganzen Tag lang im Krönungsmantel und mit Krone herumlief. Zweitens war meine einzige Möglichkeit, auch nur in die Nähe einer Krone zu gelangen, die Heirat mit einem Prinzen. Und drittens wäre das Wichtigste an dieser Ehe nicht meine wunderbare Selbstverwirklichung, sondern Zeugung und Aufzucht von Nachkommen. Es gab genau vier Dinge, die mich damals, mit ungefähr sieben Jahren, für meine künftige Lebensplanung nicht interessierten: Salatsauce, Prinzen, Heiraten und Kinderkriegen. Woran sich bis heute noch nichts geändert hat. Mir dämmerte, dass aus mir niemals eine Royale werden würde.

Ich beschloss, vielleicht doch lieber Balletttänzerin zu werden, was ich bekanntlich auch nicht geworden bin, und habe meine royale Schwärmerei zusammen mit meiner Grossmutter ausgelebt. Sie war eine einfache Frau, eine Fabrikarbeitertochter, eine Näherin, eine Hausfrau; sie hatte nie Geld, aber einen untrüglichen Sinn für den tröstlichen Schein des Symbolischen. Und die vier oder fünf Jahre jüngere Queen, deren Existenz selbstverständlich nicht mit den Steuern meiner Grossmutter finanziert werden musste, gab ihr viel. Machte ihr Leben zusammen mit ein paar Hollywoodstars aus den 50ern und 60ern nicht nur ein bisschen, sondern wesentlich reicher. Die Auftritte der Queen waren für meine Grossmutter noch wichtiger als der schweizerische Medaillensegen an den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972. Die regelmässige Teilhabe am Leben der Queen in Wort und Bild war das Tor zu einer Welt, die einer wie ihr normalerweise verschlossen blieb. 

Sie versuchte, sich mit ihren bescheidenen Möglichkeiten all dem anzunähern, sie nähte sich aus billigen, oft bunten Stoffen Hüllen, die eleganter und aufsehenerregender waren als alles auf dem Dorf. Sie trug ihr Leben lang ihre Schuhe eine Nummer zu klein, weil sie so zierliche Füsse haben wollte wie ihre Stars; das war ein Fehler, aber alles andere war keiner. Ihr Luxus waren grosse Sonnenbrillen, und als sie eines Tages in einer ihrer Kreationen, mit einer grossen Sonnenbrille und zu kleinen Schuhen von einem vornehmen Herrn mit der Schauspielerin Ingrid Bergmann verwechselt wurde, war das einer der schönsten Momente ihres Lebens. Wenn ich Königin geworden wäre, hätte ich ihr noch viel mehr solcher Momente ermöglichen können. 

Aber vielleicht wäre das für uns beide am Ende gar nicht gut gewesen. Wahrscheinlich wären unsere Märchenvorstellungen bald am Realitätsschock zerplatzt, oder wir wären Prinzessinnen im Elend geworden, wie Diana oder Charlène oder Meghan. Es ist besser, dass es nicht so gekommen ist. Die Sonne scheint, die Queen scheint; beide sind unendlich viele Lichtjahre weit weg. Eine wird lange vor der anderen verglüht sein, und das ist gut so.

Simone Meier ist Redaktorin bei watson, wo sie über allerlei Realitäten zwischen Judith Butler und «Bachelor» schreibt. Daneben schreibt sie noch mehr. Zu ihrem grössten Erstaunen sind daraus auch die Gesellschafts-Romane «Fleisch», «Kuss» und «Reiz» (Kein & Aber) entstanden.

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