Ich habe gerade einen Stadtführer geschrieben. Für die Stadt, in der ich wohne. Die Idee für diesen Stadtführer kam nicht von mir. Das Konzept dafür gibt es schon lange. Der Guide ist Teil einer ganzen Reihe von Stadtführern, die alle nach demselben Prinzip funktionieren. Ich wurde nur dafür angefragt. Die Herausgeberin sucht sich für jede Stadt eine passende Kuratorin beziehungsweise Chefredakteurin aus. Sie kann ja nicht überall wohnen und sich überall auskennen. Das Konzept ist genial. Die Guides verkaufen sich wie geschnitten Brot. Wahrscheinlich wird das Sprichwort bald andersherum gehen: Geschnitten Brot verkauft sich so gut wie diese Guides. Ich bin vor allem Freiberuflerin und brauche Aufträge. Also habe ich Ja gesagt, als sie mich fragte. Das Problem ist nur: Ich war von Anfang an nicht ganz im Reinen damit.

Aber aber, denken Sie jetzt, wer wird denn gleich? Was ist denn nun so schlimm an einem Stadtführer?

Schlimm ist ein grosses Wort. Sagen wir lieber: Kompliziert.

Kompliziert ist auch ein grosses Wort. Aber ein freundlicheres. Ein Wort, das sich das Urteil spart, ein Wort, dem es reicht, zu beschreiben, was ist, und das dabei immer für eine Überraschung zu haben ist. Schlimm bleibt schlimm, aber aus kompliziert kann, zum Beispiel, auch abenteuerlich werden. Bleiben wir also bei kompliziert, bleiben wir bereit für ein Abenteuer und kommen wir zur Sache.

Die Sache ist die: Es ist ein Stadtführer für Frauen. Nein, stimmt gar nicht! Bis vor kurzem war es ein Stadtführer für Frauen. Jetzt ist es ein Stadtführer NUR für Frauen. Dieses Wort haben sie extra ergänzt. Ich versuche die ganze Zeit herauszufinden, was das für einen Unterschied macht. Ich stelle mir die Toilette in dem Haushalt eines Hetero-Paars vor. Dort liegt also der Guide. Bis vor kurzem hätte sich der Mann auf dem Klo gedacht: Ach, was liegt denn da? Ein Stadtführer für Frauen? Na, ich bin zwar keine Frau, aber ich werde doch mal einen Blick hineinwerfen!

Nun aber, da dieses leicht aggressive NUR draufsteht und mit seinen geprägten Goldbuchstaben funkelt wie ein Vorhängeschloss – ach, es müssen für den Mann fürchterliche Stunden auf dem Klo sein. Keine Lektüre mehr für ihn, aber gar keine! Der Guide ist so dermassen und ausschliesslich für Frauen, dass es wohl ganz und gar sinnlos ist, ihn aufzuschlagen. Es wird doch ohnehin nur etwas drinstehen über, ja – was eigentlich?

Er denkt nach und hat es auch schon bald, so schwer ist das ja nicht, so viele Dinge gibt es ja nicht, mit denen ein interessierter Mann nicht wenigstens ein bisschen etwas anfangen könnte. Ja, es wird darin sicherlich um Tampons gehen! Und Binden. Die Spirale. Spezial-Büstenhalter. Bikinipassformen. Unterhosen, die ihm sowieso zu klein wären. Ganz generell: Frauenabteilungen und Damen-Sauna-Tage.

Als er das Bad verlässt, klopft er an bei seiner Frau und sagt: Ich denke, es ist Zeit für getrennte Toiletten.
Warum? fragt die Frau. Weil es auf dieser, angeblich unseren Toilette jetzt nur noch Frauenbücher gibt.
Dann musst du dir eben ein Männerbuch hinlegen, sagt die Frau. Stimmt, sagt der Mann. Männerbücher, also so etwas Sexistisches, schimpft die Frau.

Halt nein, der Dialog, dieser ganze Text beginnt ja völlig aus dem Ruder zu laufen. Oder nicht? Ich weiss es selbst nicht mehr. Ich weiss nur noch: Wir sind schon mittendrin im Komplizierten.

Als ich die Anfrage für diesen City-Guide bekam, habe ich jedenfalls gleich gewusst: Ich mache es nicht. Das unterstütze ich nicht. Ich kann nichts schreiben, das ich selber nicht kaufen würde. Wer kauft Stadtführer, auf denen «Nur für Frauen» draufsteht? Das machen doch nur Frauen, die ihren Töchtern rosa Überraschungseier kaufen. Und ihren Söhnen empört auf die Finger klopfen, wenn sie sagen:

«Will auch so’n!»
«Will auch so’n was, Schatz?»
«Will auch so’n rosa!»
«Nein Schatz, für dich sind die blauen.»

Und dann wird der Vater angerufen. Und der kommt – nach der Arbeit – sofort. Er weiss, was zu tun ist. Er ruft bei der Firma Sigikid an, die in ihrem Warenkatalog von 2017 diese schönen Plüsch-Spieluhren in Form von Baumaschinen angeboten hatten, wie hiessen sie noch? «Papa & me», genau, hoffentlich haben sie sie noch, ist ja nicht so lang her – wie waren sie noch beschrieben, achja so: «Dieses Spielzeug lässt das Herz jedes passionierten Heimwerker-Vaters höher schlagen: die erste kleine Bohrmaschine für seinen Sohn!»

Das Mädchen wird hoffentlich nicht traurig sein, so eine Plüsch-Bohrmaschine ist natürlich teurer als ein rosafarbenes Überraschungsei. Der Vater ruft die Mutter an. Sie kommt – nach der Arbeit – sofort. Sie weiss, was zu tun ist. Sie schlägt den Jako-O-Katalog von 2017 auf, blättert zur Mädchenseite, auf der nicht, wie auf der nebenan liegenden Jungs-Seite eine Spiel-Werkbank abgebildet ist. Sondern eine Spiel-Nähmaschine. Und ein Nähkästchen. Wie heisst das noch gleich? «Zucker-süsses erstes Nähkästchen».

Das Mädchen schaut der Mama über die Schulter. Es drückt den schokoladenverschmierten Finger aufs Katalogpapier.

«Will so’n!»
«Will so’n was, mein Schatz?»
«So’n da!»

Oh je! Es hat sich nach rechts verirrt, zu der Jungenseite. Das worauf das Mädchen zeigt, sind die Jungs-Holzbrettchen aus der Holzwerkstatt mit Werkbank. «Früh übt sich», heisst es dort. Ergänzung: «Perfekt zum Brennen mit dem Brennstab». «Schatz, nein! Das macht Aua bei Mädchen! Du kriegst das zuckersüsse Nähkästchen!» Und zugeschlagen wird der Katalog!

Jedenfalls trafen wir uns doch, die Herausgeberin und ich. Das Konzept des Guides ist ganz harmlos, es ist wie das jedes Stadtführers, nur noch etwas besser, weil es nicht nur Tipps und Texte, sondern auch Interviews mit interessanten Persönlichkeiten aus der Stadt gibt. Die einzige Kategorie, von der man vielleicht noch behaupten könnte, sie interessiere mehr Frauen als Männer, wäre wohl die Kategorie Beauty. Also, wenn man nicht gerade ein Mann ist wie zum Beispiel mein Mann, der Parfums liebt, und zwar vorrangig Boutique-Düfte, die weder nach diesem herben for men-Getue riechen, noch dezidiert for men sind. Sondern für alle, die es aufregend finden, wenn etwas nach Zuckerwatte, Leder und barockem Blumenbouquet zugleich riecht. Aber das nur nebenbei.

Die interessanten Persönlichkeiten, mit denen für den Guide Interviews geführt werden sollten, hatten allesamt Frauen zu sein. Logisch. «Also eins sage ich gleich», sagte die Herausgeberin, «es wäre wirklich nicht so gut, wenn Männer darin vorkämen.» «Klar», sage ich. «Es sollen ja die Frauen dieser Stadt vorgestellt werden. Verstehe ich. Finde ich gut. Gibt ja genügend.» «Nein, Sie verstehen nicht ganz», sagte die Herausgeberin. «Ich meine, GAR keine Männer. Auch nicht als redaktionelle Mitarbeiter. Höchstens noch als Fotograf. Aber nicht als Autor.»
«Oh», sagte ich. «Sie können freilich Männer beauftragen. Aber bitte geben Sie Ihnen dann Frauennamen!»

Ich bekam ein Angebot, schlief einige Nächte darüber und dachte: Wird schon. Und wenn ich Männern Frauennamen geben darf, habe ich ja doch noch mein Kunstprojekt an der Sache! Und schliesslich, wer hätte das gedacht: Die Arbeit an dem Buch hat grossen Spass gemacht. Ich habe die Stadt, in der ich lebe, noch einmal ganz neu kennengelernt, weil ich sie so gut durchrecherchiert habe, wie noch nie zuvor. Ich beauftragte einen einzigen Mann und sonst nur Frauen. Der Mann machte die Fotos. Na gut, er schrieb auch einige Texte. Unter Frauen-Pseudonym. Seither sage ich ihm, wenn er etwas besonders gut gemacht hat: «Du bist wirklich eine ganz tolle Frau. So stark, irgendwie!»

Ich traf viele, viele Frauen dieser Stadt. Unternehmerinnen, Künstlerinnen, Autorinnen, Barkeeperinnen, Musikerinnen, Köchinnen, Handwerkerinnen.

Ich merkte: Auf einige wäre ich tatsächlich niemals gekommen, wenn nicht das women only-Gebot gegolten hätte. Das meine ich nicht ironisch. Viele grosse Namen dieser Stadt sind männlich. Viele Männer wären mir vor vielen Frauen eingefallen.

Es war sehr viel Arbeit. Das Buch wird schön. Auch das meine ich ganz unironisch. Es wird wirklich schön. Es beinhaltet unterhaltsame, kluge Texte, schöne Interviews, gute Tipps und hübsche Fotos. Es steht halt bloss leider dieses Nur für Frauen-Ding drauf. Was mir natürlich ein wenig leid tut für alle Männer und Trans- und Intersexuelle, die ebenfalls gern ins Museum gehen, sich für Architektur interessieren, Konzerte besuchen, Schwimmbäder mögen oder mal einen neuen Mantel brauchen. Oder, Gott bewahre: ein gutes Interview mit einer Frau lesen.

Ich würde ja behaupten, dass es wirklich nicht besonders geschäftstüchtig ist, Männer und sonstige Geschlechter vom Verkauf dieses Buches abzuhalten. Aber da sagen die Statistiken etwas anderes. Es wird sich gerade eben deshalb so gut verkaufen, weil «Für Frauen» drauf steht. Es wird an mehr Frauen verkauft und verschenkt werden, als es ohne Geschlechter-Slogan an Frauen UND Männer zusammen verkauft würde!

Wer sind diese Frauen? Ich glaube: Es sind Frauen, die ihren Töchtern rosa Überraschungseier kaufen und ihre Söhne anbrüllen, sofort den Nagellack wegzulegen. Frauen, deren Männer seit dem neuen Gilette-Werbespot nur noch Wilkinson-Rasierer benutzen.

Aber stimmt das überhaupt? Ich weiss nur: Es sind viele Frauen in dem Buch portraitiert, die ihren Töchtern jederzeit Bohrmaschinen schenken und ihre Söhne jederzeit im Glitzerkleid in die Schule schicken, wenn diese es wünschten. Frauen, die Männer-Rasierer kaufen, weil sie billiger sind als Frauenrasierer. Keine von diesen Frauen hat sich für das Frauen-Buch geschämt. Es hat ihnen geschmeichelt drinnen zu sein. Sie fanden es toll. «Ich bin bei dem tollen Frauen-Projekt dabei», habe ich einige von ihnen sagen hören. «Ich bin gern dabei, unbedingt, ich will auf jeden Fall in einer Reihe mit lauter klugen Frauen stehen», habe ich andere sagen hören.

Ich habe lange nachgedacht. Und bin noch immer damit zugange. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, mich dafür zu schämen, eine Frau zu sein.

Leona Distel ist Autorin und Journalistin in einer deutschen Stadt.

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