Eine Frau müht sich im Wald mit zwei braunen, schweren Ledertaschen ab, die sie an deren Lederriemen über die Schultern trägt. Zusätzlich hält sie die Lederriemen an den Schultern mit den um die Lederriemen geschlossenen Fäusten fest, damit diese nicht wegen der schlingernden Taschen abrutschen. Es ist ein mühseliges Fortkommen.

Auf einmal taucht aus dem Schatten der Bäume eine Horde Banditen auf, die düstere Gesichter machen. «Gib die Taschen her!»

Die Frau bleibt stehen. Es ist hörbar, dass sie vom Tragen stark atmen muss. Sie würde sich noch so gern der Taschen entledigen, jedenfalls macht sie schon Anstalten, ein erleichtertes Gesicht zu machen.

Da tritt aber aus dem Schatten der Bäume eine weitere Frau hervor. «Halt, stopp! Dies ist das Gold der Schweizer, ich bin Schweizerin, dies ist Costalena Rauch, historisch betrachtet eine echte Gräfin, die nun das Gold der Schweizer nach einer kleinen italienischen Insel namens Mangenta verbringt. Diese Verbringung darf nicht unterbrochen werden. Die Schweizer haben das Gold nicht verdient, aber es ist ihnen reichlich zugetragen worden und darum darf man es ihnen nun einmal nicht mehr wegnehmen. Ich selber bin Schweizerin. Wenn ihr nicht von der Gräfin Costalena Rauch ablassen und Abstand nehmen wollt, werde ich mit meinem allerneusten Mobiltelefon die Szene filmen und den Film sofort an die internationale Polizei schicken, die euch Schweinebande zum vogelfreien Abschuss freigeben wird. Fertig, Schluss!» Schon steht die Schweizerin mit dem Mobiltelefon bereit.

Die Banditen zögern und ziehen sich dann unter vereinbarlichen Blickwechseln zurück. «Lassen Sie sich nicht beirren, Gräfin, fahren Sie fort!»

Wohl oder übel setzt Costalena Rauch ihren Weg nach Kräften fort.

Irgendeinmal trottet die Gräfin dann mit den geschulterten braunen, schweren Ledertaschen, die Fäuste um die Riemen geschlossen, mitten auf einer Landstrasse vor sich hin. Das Brummen eines schweren Motorrades auf der Landstrasse nähert sich ihr. Je näher das Motorrad kommt, desto mehr ist auch hörbar, wie es nicht nur brummt, sondern mindestens ebenso fest knattert. Auf der glänzenden Maschine mit Seitenwagen nähert sich eine Horde Banditen, die Drohgebärden machen. Es sieht ganz danach aus, dass sie im Vorbeifahren einen Lederriemen einer Tasche erhaschen und der Gräfin mindestens eine Tasche entreissen wollen. Die Gräfin macht sich, so gut sie es in ihrem entkräfteten Zustand noch kann, für das Manöver bereit.

Da tritt eine Frau aus dem Schatten der Gräfin. «Halt, stopp! Ich bin eine Schweizerin. Dies ist die Gräfin Costalena Rauch, und dies ist das Schweizer Gold. Und wenn es sich die Schweizer schon nicht erarbeitet haben, so haben sie sich dennoch irgendwie darum verdient gemacht.»

Das Motorrad bremst ab und kommt zum Stehen. Die Banditen machen grosse Augen.

«Die Gräfin verbringt das Schweizer Gold nach einer kleinen italienischen Insel namens Mangenta. Diese Verbringung darf nicht gestört werden. Wenn ihr der Gräfin die Taschen entreissen wollt, werde ich die Szene mit meinem allerneusten Mobiltelefon filmen und den Film der internationalen Polizei schicken.» «Erkennst du uns nicht wieder, du dumme Frau, wir sind die gleiche Horde wie jene zuvor im Wald. Nur haben wir uns diesmal nicht durch die Bäume, sondern auf diesem schicken Seitenwagenmotorrad genähert. Aber dein dummes Gerede haben wir uns im Wald schon einmal in voller Länge angehört, lass gut sein, behalte dein Gold, aber halt bitte einfach den Schnabel, du Schnepfe!»

Das Motorrad wendet und brummt und knattert über die Landstrasse davon.

Aus: «Hotel der Zuversicht» (Der gesunde Menschenversand, 2022).

Michael Fehr ist Erzähler. www.michaelfehr.ch

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert