Diese Geschichte handelt von einem Vermächtnis und einem Schatz, den er hüte, wie Heribert Schwan betont, aber auch von einem Verrat, den ihm Kritiker vorwerfen. Diese Geschichte legt offen, was normalerweise verborgen bleibt: das komplizierte Verhältnis zwischen einem prominenten Autor und seinem Ghostwriter. Der Streit zwischen dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem Ghostwriter Heribert Schwan spielt sich seit Monaten in aller Öffentlichkeit ab. Seinen Höhepunkt erreichte er, als der Ghostwriter plötzlich aus dem Schatten von Kohl trat und zum Autor wurde.

Zusammen mit dem Autor Tilman Jens veröffentlichte Schwan im Oktober im Heyne-Verlag das Buch ‹Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle› und zitiert darin auf 250 Seiten aus umfangreichen Gesprächen, die er 2001 und 2002 eigentlich als Ghostwriter mit Kohl geführt hatte. Auf deren Grundlage schrieb er mit Kohl ein Tagebuch sowie drei Bände seiner Erinnerungen – der letzte Band steht noch aus. Kohl habe allerdings nur zehn Prozent der Protokolle verwendet, schreibt Schwan und deshalb veröffentlichte er nun auch Inhalte, die Kohl nicht veröffentlichen wollte. Ist das juristisch und moralisch zulässig? Darüber streiten Kohl und Schwan seit Monaten vor Gericht. Die einen werfen Schwan Verrat und Diebstahl von Kohls Erinnerungen vor. Sie sprechen den Zitaten von Kohl, in denen er sich beleidigend über Weggefährten äußert, zugleich die Brisanz ab, die Schwan darin sieht, um sein ungewöhnliches Vorgehen zu begründen. Die anderen verstehen seine Motivation, öffentlich zu machen, was Kohl wirklich dachte – und wollen an der Empörung teilhaben. Der Spiegel widmete seinem Buch immerhin eine Titelgeschichte, die sich erstaunlich gut verkaufte. Seit Wochen steht das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste auf einem der Spitzenplätze.

Das Buch erschien, obwohl die Anwälte von Kohl vor Gericht erfolgreich die Herausgabe der Tonbänder erstritten hatten und im März mit einem Gerichtsvollzieher morgens vor der Tür von Schwan standen und sich alle Tonbände aushändigen ließen. Schwan besitzt allerdings eine 3000 Seitem umfangreiche Abschrift und eine Kopie der Tonbänder, die er im außereuropäischen Ausland vor staatlichem Zugriff gesichert habe. Er sieht sich in einer Mission, das Dokument der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Streit machte die Komplexität des Verhältnisses zwischen Autor und Ghostwriter deutlich. So erreichte Kohl zwar eine einstweilige Verfügung gegen den Abdruck von mehr als 100 Zitaten (115 Zitate wollte er verbieten lassen). Den Abdruck aller Zitate sowie die Auslieferung des Buches konnte er aber nicht gerichtlich verhindern. So wertet die Branche das Verbot der Zitate als symbolischen Erfolg; 200.000 Buchexemplare sind laut Verlag ausgeliefert und bleiben im Verkauf. Der Verlag hat zudem gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Den Augenblick, in dem der Journalist Heribert Schwan zum Ghostwriter von Helmut Kohl wurde, beschreibt er so: Gekannt habe er ihn seit 1984 (da war Kohl seit zwei Jahren Kanzler) und ihn immer wieder zu Interviews und Gesprächen getroffen, um einen Film für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) zu produzieren und später ein Buch über ihn zu schreiben, das regelmäßig aktualisiert wurde. Nach dem Ende der Kanzlerschaft 1998 habe er Kohl beiläufig gefragt, ob Kohl nicht seine Memoiren schreiben möchte. Auf dessen Wunsch habe er Angebote eingeholt und Kohl habe ihn gebeten, ihm «als Schreiber zur Seite zu stehen». Selbstverständlich, habe Kohl ihm gesagt, werde sein Name auf dem Buchcover genannt. Weil Schwan beim WDR fest angestellt und Kohl dort nicht sehr gelitten war, habe er abgelehnt und sich mit Kohl verständigt, «dass ich die Autobiographie zunächst als Koordinator und wissenschaftlicher Berater begleiten und auch die Interviews führen würde». Das habe der WDR ihm als Nebentätigkeit genehmigt.

Das muß man wissen, um zu verstehen, wieso sich der Journalist Schwan, der sich heute im Ruhestand befindet, als gleichberechtigter Autor sieht, obwohl er eigentlich die Rolle eines Ghostwriters ausfüllte. Kohl und Schwan schlossen 1999 beide Verträge mit dem Verlag Droemer Knaur ab. Allerdings habe er sich nie gegenüber Kohl zur Verschwiegenheit verpflichtet, betont Schwan. Im Gegenteil – und Kohl sei sich dessen voll bewusst gewesen: Während der Interviews, die er aufzeichnete, habe Kohl ihm mehrfach gesagt: «Das kannst du später einmal schreiben.» Fraglich ist dennoch, ob Kohl wirklich klar war, dass Schwan Zitate veröffentlichen wird, ohne dass er gefragt wird.

Kohl erhielt eine Million Mark Garantiehonorar, wie Schwan schreibt. Er selbst habe «deutlich weniger» erhalten, um 200 Stunden Interviews zu führen. Es wurden dann aber mehr als 600 Stunden. Vielleicht erklärt das, warum Schwan dafür einen Betrag von fast einer halben Million Euro erhalten haben soll, wie die Zeitschrift Focus berichtet. Warum Schwan diese Summe nicht selbst nennt, bleibt rätselhaft. Wäre sie nicht der beste Beleg, dass er gleichberechtigt war? Das zu zeigen, darauf kommt es Schwan doch an.

Um das Verhältnis zu Kohl zu veranschaulichen, beginnt Schwan sein Buch mit zwei Fotos, die ihn zusammen mit dem Politiker zeigen: Die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Sie wirken wie alte Freunde. Schwan hebt die Hand und richtet den Finger auf Kohl, so als würde er ihm erzählen, was Sache ist. Gleichberechtigt, auf Augenhöhe. Und falls das jemand nicht verstanden hat, steht auf der folgenden Seite dieser Bildtext: «Entspannt, wie man ihn in der Öffentlichkeit kaum kennt: Helmut Kohl im Gespräch mit seinem Ghostwriter Heribert Schwan. Ganz offenkundig ein vertrautes Verhältnis, in dem beide Seiten aussprechen, was sie bewegt.» Dies sei die Atmosphäre, in der die Kohl-Protokolle entstanden seien.

Dies ist die Botschaft, die Schwan hat: Obwohl er die Rolle des Ghostwriters ausfüllte, sei er keineswegs ein Stenograph der Erinnerungen von Kohl gewesen, sondern habe den Stoff der Bücher gemeinsam mit dem Kanzler erarbeitet. Einen Bruch habe es erst gegeben, als Kohls zweite Frau sich immer stärker in das Manuskript eingemischt habe. 2009 habe Kohl die Zusammenarbeit mit ihm aufgekündigt. Seitdem fühlt Schwan sich ausgebootet.

Ein Gericht entschied, dass seine journalistische Leistung weniger wert sei als ein Interview, das ein Journalist auf der Straße führt. Das Landgericht Köln ist der Meinung, dass nicht der Journalist Schwan mit Kohl sprach, sondern «ein von dem Verlag beauftragter und bezahlter, verdeckt arbeitender Schriftsteller (Ghostwriter)», den Kohl jederzeit hätte austauschen können – sofern er ihm nicht mehr vertraut hätte. Schwan habe «dienende Funktion» gehabt und keine Zusage, die Endfassung herzustellen. Laut Vertrag hatte er das Skript «nach den Vorgaben und Angaben des Autors» (also Kohl) zu erstellen. Daß Kohl und Schwan lediglich Verträge mit dem Verlag hatten, aber nicht untereinander, spiele keine Rolle. Eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit benötige keine ausdrückliche Vereinbarung zur Autorisierung. Mit anderen Worten: Schwan hätte nur das veröffentlichen dürfen, was Kohl freigibt. Es ist ein Urteil, das in Verlagen kursieren wird – sofern es nicht aufgehoben wird. Möglich, dass der Streit auch deshalb weitergeht, weil die Stimme Kohls angeblich nur mehr auf rund 40 der 200 Tonbänder zu hören ist. Schwan sagte, er könne sich das nicht erklären.

Es gibt einen weiteren ähnlich kuriosen Fall, der sich allerdings darin unterscheidet, dass der Prominente der Ghostwriter und eigentliche Autor hinter dem Autor sein wollte. Kompliziert? Im Fall des ehemaligen Krupp-Managers Berthold Beitz wollte der Journalist Norbert F. Pötzl als Ghostwriter fungieren, doch Beitz wollte, dass er als Biograph schreibt. Der 1913 geborene Beitz, der 2013 starb, war eine lebende Legende. Er hat Großes geleistet, indem er während der Nazi-Zeit im besetzten Polen Hunderte Juden rettete. Wie kommt ausgerechnet einer wie er dazu, die Leitung des Kanonenbauers des Kaisers und der Nazis zu übernehmen und wieder aufzubauen? Beitz hatte in Interviews und Porträts immer wieder darüber gesprochen. Aber es gab keine Darstellung, die alles anschaulich vereinte: Die Erfahrungen im Krieg mit dem Aufbau von Krupp, den Einsatz für eine neue Ost-Politik Deutschlands mit seinem Einfluß auf die deutsche und internationale Politik. All das wollte Pötzl liefern: Wie der Judenretter in den Fünfziger und Sechziger Jahren aufsteigt, Hitlers ehemalige Waffenschmiede übernimmt und schließlich den iranischen Staat am Unternehmen beteiligt, wie ihn der letzte Krupp zu seinem Generalbevollmächtigten macht und Beitz damit lebenslang einer der mächtigsten Wirtschaftsbosse in Deutschland wird. Was aber wollte Beitz?

Es geht beim Autorisieren immer um Macht und Kontrolle. Wer darf bestimmen, wie die Öffentlichkeit eine Person sehen soll? Der Autor? Oder der, der beschrieben wird? Und wohin führt das, wenn der Beschriebene am Ende als Autor im Hintergrund – quasi als versteckter Ghostwriter hinter dem Autor, den die Öffentlichkeit als Urheber wahrnimmt – ein Veto einlegen darf gegen Formulierungen und Darstellungen, die ihm nicht gefallen? Führt das Wissen um eine drohende Endabnahme nicht zu ständigen Kompromissen, die bereits bei der Recherche beginnen? Und mit welchem Recht stellt sich der Autor als übergeordnete Instanz dar, obwohl er doch eigentlich nur Ghostwriter ist? Erst im Nachhinein kann sich Pötzl eingestehen, dass er etwas versucht hat, was nicht möglich war: eine unabhängige Darstellung, obwohl ihm «schnell klar war, dass Beitz eine Heldendarstellung wollte».

Um es deutlich zu sagen: Da versteckt sich also der Ghostwriter hinter dem Autor, denn der Biografierte ist der eigentliche Autor, der seine Autorenschaft aber verschleiern will, um dem Werk die Glaubwürdigkeit der Unabhängigkeit vorzuspielen. Das ist kein Einzelfall und das Problem wird wie im Fall Beitz nur deshalb öffentlich, weil es zum Konflikt kam. Von den meisten ähnlichen Fällen erfährt die Öffentlichkeit nichts.

Anfang 2004 gab Pötzl sein fast fertiges Manuskript ab und im Mai 2004 ließ Beitz Pötzl überraschend mitteilen, dass er das Manuskript nicht zum Druck freigeben werde. Es gab ein letztes Gespräch mit Beitz. «Dabei wollte ich natürlich wissen, ob ihm die Qualität meines Textes nicht genüge, was er ausdrücklich verneinte. Gründe seiner Ablehnung wollte er mir jedoch nicht nennen.» In der formalen Kündigung des Vertragsverhältnisses schrieb er dann, er habe sich «aus übergeordneten Gesichtspunkten» dazu entschlossen.

Im Rückblick ist Pötzl klar geworden: Was er berichten sollte, waren «bestellte Wahrheiten», wie er es im Prolog seines Buches formuliert. Pötzl hatte sich vertraglich gebunden, dass er im Falle der Nichtveröffentlichung aus den Gesprächen mit Beitz keine Zitate verwenden würde und keine Dokumente oder Quellen und Gesprächspartner, die Beitz ihm zugänglich gemacht hat. Normalerweise bedeutet eine Absage bei so einer Abmachung das Ende eines Buchprojekts: Zumindest gingen Beitz und seine Berater in der Villa Hügel in Essen davon aus. Doch Pötzl gab sich nicht zufrieden mit der Entscheidung von Beitz.

Ein ganzes Jahr später entschloss er sich, weiter zu recherchieren und suchte nun in Archiven nach Dingen, die Beitz nicht zugelassen hatte. «Ich wusste anfangs nicht, ob ich eine Biografie würde schreiben können ohne die mir von Beitz zugänglich gemachten Quellen, die ich aufgrund unserer Vereinbarung nicht verwenden durfte. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet, je länger ich recherchierte.»

Plötzlich erschien ihm Vieles in einem neuen Licht: Es sei eine Legende, dass Beitz ein überaus erfolgreicher Wirtschaftsführer gewesen sei. Tatsächlich habe er den Weltkonzern Krupp wiederholt an den Rande des Abgrunds gesteuert. Eine Legende sei es auch, dass Krupp auf Beitz’ Betreiben freiwillig und als erstes deutsches Unternehmen ehemaligen Zwangsarbeitern Entschädigungen gezahlt habe. In Wahrheit mussten Beitz, der die Verhandlungen führte, mühsam Almosen abgerungen werden, schreibt Pötzl.

Es liege auf der Hand, daß Beitz eine solche Darstellung nie geduldet und autorisiert hätte. Derselbe Mann, der im Krieg auf heldenhafte Weise Juden gerettet hat, pflegte anschließend einen seltsam unbekümmerten, auch geselligen

Umgang mit alten Nazis. Derselbe Mann, der die Situation ausgebeuteter jüdischer Zwangsarbeiter aus eigenem Erleben kannte, speiste die ehemaligen Krupp-Zwangsarbeiter mit Almosen ab, weil Alfried Krupp nicht mehr zu zahlen bereit war. Der gar zu freundschaftliche Umgang mit Erich Honecker sei Beitz im Nachhinein peinlich.

Pötzl hatte nun einen geschärften Blick dafür, wie Beitz Berichterstattung über sich und Krupp zu beeinflussen oder zu unterdrücken versuchte. In den Siebziger Jahren hat Beitz den Historiker und Schriftsteller Golo Mann mit einer Biografie über Alfried Krupp beauftragt, den Beitz verehrt. (Alfried Krupp hat Beitz einst zu Krupp geholt.) Als Golo Mann den letzten Krupp als «ziemliche Null» beschrieb, durfte das Manuskript nicht erscheinen. Im Skandal um den Mord an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt zahlte Krupp in den fünfziger Jahren auf Veranlassung von Beitz 50.000 Mark Schweigegeld an einen Bekannten der Prostituierten, damit nicht bekannt würde, dass Harald von Bohlen und Halbach, der jüngere Bruder des Firmeneigentümers Alfried Krupp, zu den Freiern zählte. Im Buch erwähnt Pötzl weitere Beispiele, wie Beitz unliebsame Veröffentlichungen verhinderte.

Finanziell musste er keine Verluste hinnehmen, denn ThyssenKrupp hatte ihm im Auftrag von Beitz ein Ausfallhonorar gezahlt. «Im Grunde war die Konstellation, wie sie sich letzten Endes ergeben hat, für mich ein Glücksfall. Ohne den ersten Versuch einer autorisierten Biografie wäre ich Berthold Beitz niemals so nahe gekommen. Dieses Begreifen seiner Persönlichkeit kam mir bei dem jetzt veröffentlichten Werk zugute, ohne dass ich mich dafür in irgendeiner Weise verbiegen musste.»

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