Mit der Eröffnung des Autonomen Jugendzentrums (AJZ) am 28. Juni 1980 waren in Zürich keineswegs ruhige Zeiten angebrochen. Es brauchte Geld für dringende Renovationen. Der Betrag von Fr. 140’000, den der Stadtrat beschlossen hatte, war völlig ungenügend. Es wurde weiter demonstriert: gegen die Wohnungsnot, für Freiräume, gegen verschiedene Formen von Unterdrückung. Das AJZ hatte eine schlechte Presse. Es sei ein rechtsfreier Raum, biete Unterschlupf für alle möglichen Verbrecher und polizeilich Ausgeschriebene, es herrsche ein Chaos, die hygienischen Verhältnisse seien ungenügend. Der Stadtrat geriet von bürgerlicher Seite und durch die Staatsanwaltschaft immer mehr unter Druck. Am 4. September kam es zur grossen Razzia im AJZ und zum Eklat. 137 Personen wurden verhaftet. Das AJZ wurde polizeilich geschlossen und mit Stacheldraht abgesperrt. Die fast wöchentlichen Demonstrationen und Zusammenstösse zwischen Polizei und Bewegungsaktivisten wurden von Mal zu Mal härter. Immer mehr Leute wurden verletzt. Die Sachbeschädigungen heizten das Klima noch weiter an. Bürgerwehren wurden gefordert. Die Gewaltspirale drehte sich immer schneller. Nirgends zeigten sich Kräfte und Gruppierungen, die bereit waren, zwischen die Kampfparteien Bewegung auf der einen Seite und politische Behörden, Parteien, Polizei und Teile der Bevölkerung auf der andern Seite zu treten.

Der Kirchenrates des Kantons Zürich war im Herbst 1980 der Meinung, es genüge nicht mehr, nur zu reden, zu erklären und zu deuten. Die Kirchen setzten sich auf unterschiedliche Weise ein: Im Dezember waren es vor allem die Pfarrer und Seelsorgerinnen der reformierten, katholischen und christkatholischen Kirchgemeinden der Stadt Zürich, unter ihnen die Dekane und Pfarrer Ernst Sieber. Sie mobilisierten für die Weihnachtstage viele Helfer und Helferinnen und waren präsent bei der grossen Vollversammlung (VV) der Bewegung am 24. Dezember 1980 am Bürkliplatz und beim anschliessenden Demonstrationszug von ca. 5000 Personen durch die Bahnhofstrasse zum geschlossenen AJZ. Sie trugen zu einem relativ friedlichen Verlauf der Demonstration bei. Lediglich beim AJZ kam es zu Auseinandersetzungen und Scharmützeln, die bis zum folgenden Tag dauerten.

Kirchliche Initiative für eine Trägerschaft fürs AJZ

Die Verantwortlichen der evangelisch-reformierten Kirchenrats des Kantons Zürich, der römisch-katholischen Zentralkommission, des Generalvikariats, des katholischen Stadtverbands und der Pro Juventute kamen überein, dem Stadtrat ihre Bereitschaft für die Übernahme der Trägerschaft für ein AJZ an der Limmatstrasse zu bekunden. Am 26. Februar überbrachte ich die Bereitschaftserklärung Stadtpräsident Sigmund Widmer. Das dämmrige Licht in seinem Zimmer und das grosse Bild von Hunziker mit dem Schafe hütenden David sind mir noch lebhaft vor Augen. Der Stadtpräsident überflog das Geschriebene und legte die Blätter, wie mir schien, etwas unwillig auf die Seite und sagte: «Wenn die Kirchen dafür sind, können wir nicht dagegen sein.»

Es gehört zum Auftrag der christlichen Kirchen, den ‹Dienst der Versöhnung› zu leisten

Die Bekanntgabe der baldigen Wiedereröffnung des AJZ war eine Sensation. In den Unterlagen zur Medienkonferenz heisst es: «Die kirchlichen Behörden haben sich zu ihrem Einsatz entschlossen, weil es zum Auftrag der christlichen Kirchen gehört, den ‹Dienst der Versöhnung› zu leisten. Sie hoffen gemeinsam mit Pro Juventute, dass es so möglich ist, den Teufelskreis von Gewalt zu durchbrechen. Denn sie lehnen alle Gewaltanwendung gegen Sachen und Menschen ab. Sie setzen sich aber für ein Ernstnehmen der Probleme ein, welche im Zusammenhang mit der Bewegung sichtbar geworden sind».

Der Vertrag mit der Stadt wurde auf drei Jahre abgeschlossen. Der Stadtrat erklärte sich darin bereit, für die baulichen Einrichtungen des Gebäudes einen Betrag von mindestens einer Million Franken zu sprechen. Die Kirchen und Pro Juventute verpflichteten sich für die Jahre 1981-83 gemeinsam jährlich maximal Fr. 500’000 aufzubringen.

Gratwanderung

So klar die Kirchen und Pro Juventute auch ihre Bereitschaft erklärt hatten, «in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Bewegung die Trägerschaft für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum im Rahmen der Gesetzgebung, aber ohne zusätzliche Vorschriften, zu übernehmen», so wurde doch von Seiten der Öffentlichkeit, der Parteien und auch der Behörden immer wieder die Erwartung an sie gestellt, sie hätten Führungsverantwortung zu übernehmen und die Bewegungsaktivisten zu disziplinieren. Andererseits standen die Vertreter der Trägerschaft bei den AJZ-Gruppen im Verdacht, verlängerter Arm des Stadtrates oder gar der Polizei zu sein. Da war nach allen Seiten klar zu machen: Wir sind Berater, Vermittler, Fürsprecher und zeigen auf, was noch im Rahmen der Gesetze möglich ist, und welche Konsequenzen beim Überschreiten dieser Grenzen von der Polizei und den Behörden zu erwarten sind. Die Verantwortung liegt bei jedem selber, nicht bei der Trägerschaft.

Angesichts dieser Gratwanderung war Einigkeit, Solidarität und Vertrauen in der Trägerschaft unumgänglich. Es gab auch einen weiteren Kreis von Personen, auf die die Trägerschaft zählen konnte: Besonders wichtig war der Architekt Jakob Schilling. Er war zuständig für die bauliche Sanierung der AJZ-Liegenschaft, stellte den Bauführer zur Verfügung und machte es möglich, dass die AJZ-Leute selber die Arbeiten ausführen konnten und eine bescheidene Entschädigung erhielten.

Wer konnte sich ein AJZ ohne Alkoholausschank vorstellen?

Schwierigkeiten bereiteten uns hingegen die Verantwortlichen der Kantonalen Finanzdirektion, welche über das Wirten im AJZ zu befinden hatten. Eine Person mit Wirtepatent war jeweils leicht zu finden. Aber die Genehmigung, einen Gastbetrieb – und gar mit Alkoholauschank – zu führen, war während des ganzen AJZ-Jahres ein ungelöstes Problem. In der ersten Phase war es zwar möglich, jeweils am Freitag für das bevorstehende Wochenende eine «Festbewilligung» zu erhalten. Dann aber wurde diese nicht mehr gewährt mit der Begründung, damit würde das ordentliche Bewilligungsverfahren unterlaufen. Das vom Stadtrat offiziell eingereichte Gesuch wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass sich im Umkreis von 300 Metern bereits drei Restaurants mit Recht auf Alkoholausschank befänden. Das Gesetz begrenze die Anzahl Restaurants in einem Quartier aufgrund des Quotienten «Anzahl Einwohner geteilt durch Anzahl Restaurants». In solchen Situationen war es schwierig, nicht bitter zu werden und auf das Einhalten der Rechtsordnung zu pfeifen. Denn im Ernst: Wer konnte sich denn schon ein AJZ ohne Alkoholausschank vorstellen? Die Folgen zeigten sich umgehend: Die Leute schleppten Bierharasse an und liessen sich vollaufen. Dies verursachte Radau und belastete die Stimmung. Oft war es schwierig, an den guten Willen der Amtsinhaber zu glauben.

Schritte voran und Schritte zurück

Die Wiedereröffnung des AJZ sorgte inmitten des Chaos für Aufbruchstimmung. Plötzlich war Geld vorhanden, um die notwendigsten Renovationen zu realisieren. Teile aus der ehemaligen AJZ-Projektgruppe nahmen unter den nun günstigeren Bedingungen ihre Arbeit wieder auf. Auch die anderen Arbeitsgruppen im AJZ formierten sich neu. Die Stimmung war im Allgemeinen friedlich. An schönen Wochenenden im Frühsommer kamen bis zu 3000 junge Leute ins AJZ, sassen am Schatten, lagen an der Sonne, redeten miteinander und genossen den Tag. Die Arbeitsgruppen waren die eigentlichen Träger des Betriebs. Sie übernahmen all die Funktionen, die sich in einem Zentrum mit so vielen Menschen ergeben, etwa als «Animatoren», als «Mädchen für alles», als Sozialarbeiterinnen und Sanitäter. Als materiellen Anreiz erhielten die Aktiven der Arbeitsgruppen ein Wochenhonorar von Fr. 250.

Das AJZ war Notschlafstelle und Lebensraum

Dass das AJZ nicht nur ein Zentrum für Alternativkultur war, zeichnete sich von Anfang an ab. Es war gleichzeitig ein Sozial- und Sozialhilfezentrum und wollte dies auch sein. Alkoholiker, jugendliche Ausreisser, Drogenabhängige und Obdachlose fanden sich in wachsender Zahl ein. Für sie war das AJZ Notschlafstelle und Lebensraum. Sie fühlten sich hier geschützt und akzeptiert. Sie brachten aber auch Probleme mit ins AJZ, die nicht einfach durch repressionsfreie Selbstregulierung gelöst werden konnten. Dies traf in besonderem Masse für die Drogenabhängigen zu. Ihnen gegenüber galt die AJZ-interne Devise «Fixer ja – Dealer nein». Es zeigte sich aber immer deutlicher, dass Fixen und Dealen nicht voneinander zu trennen waren. Dies wurde später ein wichtiger Grund für den Niedergang und das Ende des AJZ.

Trotz gegenteiligen Gerüchten wurde ansonsten niemand am Betreten des AJZ gehindert. Der Eingang war immer offen. Ich selber wurde weder angerempelt noch bedroht, obgleich ich in Bezug auf Alter und Kleidung nicht als typischer «AJZler» daherkam. Auch war ich im AJZ den Wenigsten als «einer von der Trägerschaft» bekannt. Natürlich war ich nicht in der Lage zu beurteilen, ob im AJZ, wie draussen immer wieder befürchtet wurde, Schwerverbrecher untergetaucht waren. Auf Anzeichen bin weder ich noch die mit der Situation ungleich besser vertrauten Mitglieder des Arbeitsausschusses gestossen. Eltern, die erregt oder besorgt anriefen, weil sie ihr Kind im AJZ vermuteten, konnte man getrost raten, selbst zu kommen und nachzusehen – ein Mitglied des Arbeitsausschusses werde sie begleiten.

Wer die Bierflasche halbvoll auf ein Fenstersims stellte und das AJZ verliess: Das musste ein Polizist sein

Trotzdem hielt sich in rechtsbürgerlichen Kreisen und bei anderen Gegnern des AJZ hartnäckig die Redewendung vom «Ärgernis eines rechtsfreien Raumes». Es wurde gerügt, dass die Polizei das AJZ nicht betreten könne. Das stimmte so nicht. Wenn ich selber im AJZ war, sah ich immer wieder athletisch gebaute jüngere Männern in Turnschuhen und Sportjacken paarweise auf dem Areal herumschlendern – jeder ein Bier in der Hand. Wenn sie dann die Bierflaschen halbvoll auf ein Fenstersims stellten und das AJZ verliessen, wurde mir klar: Das mussten Polizisten sein.

An unerwarteten Rückschlägen fehlte es nicht. Als ich mich einmal dem AJZ näherte, hörte ich von weitem das Dröhnen eines Kompressors. Ich sah wie ein junger Mann auf dem geteerten Carparkplatz neben dem AJZ bereits einen beträchtlichen Teil des Bodenbelags aufgebrochen hatte. Dieser Carparkplatz war eines der Kampfobjekte der AJZ-Bewohner. Sie beanspruchten ihn als Teil des AJZ. Den geteerten Boden wieder in Naturboden zu verwandeln, galt überdies wohl als kulturelle Tat. Ich hörte im Geist bereits die Vorwürfe, die bei der nächsten Sitzung mit der Stadtratsdelegation an uns gerichtet werden würden. Probleme gab es auch immer wieder mit AJZ-Gästen, die sich in benachbarten Restaurants mit Dealern trafen, nicht bezahlten oder durch ihre Anwesenheit die Kundschaft vertrieben. Obwohl die Demonstrationen auf der Strasse und die Sachbeschädigungen seltener geworden waren, hatten sie trotz AJZ und gerade ums AJZ herum nicht völlig aufgehört. Bei all diesen Problemen bestand bei den Behörden und in der Öffentlichkeit die Neigung, diese der Trägerschaft anzulasten. Wir wurden dauernd in Atem gehalten.

Hin und Her mit dem Stadtrat

Der Stadtrat stellte der Trägerschaft eine ständige Delegation und geeignete Personen aus der Verwaltung zur Seite, die sich zusammen mit der Trägerschaft der auftauchenden Probleme annehmen sollten. Die Delegation bestand aus Stadtpräsident Sigmund Widmer, dem Polizeivorstand Stadtrat Hans Frick, der Sozialvorsteherin Stadträtin Emilie Lieberherr und dem jüngsten Stadtrat Thomas Wagner. Mit dieser Delegation traf sich die Trägerschaft während des knappen AJZ-Jahres insgesamt zu 35 Sitzungen, meistens frühmorgens um sieben Uhr. Auch die Stadtratsdelegation musste sich daran gewöhnen, dass ein autonomes Jugendzentrum selbst darüber befindet, was zu tun und zu lassen ist. Im Verlaufe der Zeit wuchs das gegenseitige Vertrauen, und wir fühlten uns als ehrliche Makler akzeptiert. Besonders mit Stadtrat Hans Frick, der als Polizeivorstand den Problemen am nächsten stand, ergab sich mit der Zeit ein sehr gutes gegenseitiges Verhältnis. Ähnliches gilt für den Chef der Kriminalpolizei, während wir uns vom Kommandanten nie ernst genommen fühlten. Er hielt sich an die Schlagworte des Kalten Krieges und blieb bei der Behauptung, Demonstranten würden mit Geldern aus Moskau bezahlt. Nach Indizien oder erhärteten Beispielen befragt, schwieg er unter Berufung auf sein Berufsgeheimnis.

Es gab Verhaftungen, Schwerverbrecher waren keine darunter

Auf Grund politischen Drucks und wohl auch wegen polizeiinterner Befürchtungen führte die Polizei im Juni 1981 allgemeine Personenkontrollen im AJZ durch. Alle, die keinen Ausweis auf sich trugen, wurden mit auf die Polizeiwache genommen. Im AJZ entstand grosse Unruhe, Wut und Angst. Auf unseren Rat hin wurde bei der zweiten Kontrolle Ende Juni der mobile Fahndungscomputer mit ins AJZ genommen. Die aus dem Schlaf geweckten Insassen wurden genau informiert, worum es gehe und dann gleich an Ort und Stelle überprüft. So hielten sich Wut, Unsicherheit und Widerstand in Grenzen. Weitere Personenkontrollen verliefen nach folgendem Muster: Stadtrat Frick rief mich jeweils frühmorgens an und sagte: «Wir beginnen jetzt mit einer Kontrolle im AJZ. Ich melde das, damit Sie kommen und das Ganze beobachten können.» Ich stand dann jeweils rasch auf, setzte mich aufs Velo, fuhr ins AJZ und konnte mich Mal für Mal überzeugen, dass die Polizei überlegt und im Ganzen rücksichtsvoll vorging. Das galt auch für den unangenehmen Fall, dass gewisse Räume verschlossen waren und sich kein Schlüssel auftreiben liess. Jedes Mal gab es auch Verhaftungen, Schwerverbrecher waren aber keine darunter.

Schlechte Erfahrungen mit der Polizei machte André Eisenstein, ein Mitglied unseres Arbeitsausschusses. Im Gefolge einer gewalttätigen Demonstration drang die Polizei ins AJZ ein. Eisenstein wurde in die Enge getrieben und zusammengeschlagen, als er sich als Mitglied der Trägerschaft zu erkennen gegeben hatte. Die nachträgliche Untersuchung führte zu keinem Ergebnis.

Kirchensolidarität und Kirchenaustritte

Schon am 17. März 1981, also noch bevor der Vertrag mit dem Stadtrat unter Dach und Fach war, beschloss die Synode die Erhöhung des Kredits für Jugendarbeit und Jugendberatung um Fr. 300’000. An einer späteren Sitzung bewilligte sie für die Jahre 1992 und 1993 nochmals je Fr. 300’000. Auch dem Beitritt zum «Verein für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in der Stadt Zürich» stimmte die Kirchensynode zu. Ebenso positiv verliefen alle kirchlichen Veranstaltungen zum Thema, an denen ich im Herbst/Winter 1981 unser Engagement zu vertreten hatte. Gewiss gab es jedes Mal kritische Einwände, ablehnende Voten und heftige Emotionen. Aber der Grundtenor war in allen Gemeinden positiv. Dass die Kirche nicht nur Solidarität zu spüren bekam, zeigte sich an der Zahl der Kirchenaustritte. Diese schnellten 1981 um 800 auf 2348. Viele begründeten ihren Austritt mit dem landeskirchlichen Engagement im AJZ.

Der Niedergang des AJZ

Der Leitsatz «Fixer ja – Dealer nein» erwies sich zunehmend als unrealistisch. Die Drogen spielten im AJZ eine immer grössere Rolle, vor allem als das für den Umbau und den Betrieb bewilligte Geld knapp wurde. Viele mussten sich ein anderes Auskommen suchen und blieben weg. Auf diese Weise wurden die aktiven Gruppen geschwächt. In das entstandene Vakuum strömten neue, drogenabhängige AJZ-Besucher. Dieser Teufelskreis verstärkte sich bis gegen Ende des Jahres. Die Drogengruppe versuchte einen Fixerraum einzurichten, obwohl solche Institutionen damals noch strikt verboten waren. Im AJZ entbrannnte ein heftiger Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern eines solchen Raumes, ohne dass sich eine der Parteien durchzusetzen vermochte. So wurde im AJZ weiter offen gedealt. Als ich um die Weihnachtszeit einmal bei Dunkelheit das AJZ betrat, wurde ich bei den Toiletten gefragt: «Ziehsch öppis ie?» Als ich den Kopf schüttelte: «Laasch öppis use?» Als ich wieder verneinte: «Warum bisch dänn da?» Über Weihnachten wurde trotz Widerstand ein Fixerraum eingerichtet. Er bot ein Bild des Elends.

«Ziehsch öppis ie?» – «Laasch öppis use?» – «Warum bisch dänn da?»

Die Trägerschaft beschloss, vom Vertrag mit der Stadt zurückzutreten, wenn sich die Situation im AJZ rund um die Drogenfrage nicht bis Ende März 1982 entspannen würde. Eine Feuersbrunst im Dachstock führte am 6. Februar 1982 zu grossen Schäden und verstärkte die Endstimmung. Als letzter Versuch wurde um das ganze Areal eine Holzwand errichtet, um das AJZ abzuriegeln und es so gegen den Drogenhandel zu schützen. In der Nacht darauf wurde die Wand niedergerissen und verbrannt. Zwei Tage später, am 17. März 1982 trat die Trägerschaft vom Vertrag mit dem Stadtrat zurück. Die Polizei räumte das Gebäude. Das AJZ war am Ende. In den frühen Morgenstunden liess der Stadtrat die Bagger auffahren und die Gebäude abbrechen. Es regte sich kein Widerstand. Die Bewegung – oder was von ihr übrig geblieben war – hatte das AJZ aufgegeben.

Die Trägerschaft hat in einem Schlussbericht Rechenschaft über ihre Tätigkeit abgelegt und Folgerungen für die Zukunft gezogen. Auf der kulturellen Ebene wurden neben der Roten Fabrik weitere Freiräume für jugendliche Alternativkultur gefordert. Manches davon ist inzwischen realisiert worden, wenn auch oft unter kommerziellen Vorzeichen. Im sozialen Bereich wurde das Hauptaugenmerk auf die Drogenproblematik gerichtet. Gefordert wurden Präventionsmassnahmen, begleitende Präsenz in der Szene, un­komplizierte Auffang- und Entzugsstationen, geschützte Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten, das Schaffen der Stelle eines Drogendelegierten sowie unkonventionelle Methoden polizeilicher Präsenz in der Jugendszene. Manches davon ist erst unter dem Druck der offenen Drogenszene ernsthaft an die Hand genommen worden.

Werner Kramer war langjähriger Direktor des Evangelischen Lehrerseminars Zürich-Unterstrass und emeritierter Professor an der theologischen Fakultät der Universität Zürich. Als Vizepräsident des Kirchenrates des Kantons Zürich präsidierte er die Trägerschaft des Autonomen Jugendzentrums (AJZ).
Nachdruck aus: Heinz Nigg (Hrsg.) Wir wollen alles, und zwar subito! Die Achtziger Jugendunruhen in der Schweiz und ihre Folgen. Zürich 2001: Limmat Verlag

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