Was ist Diversity? Wenn wir uns das Wort vornehmen – was verstehen wir darunter? Ist es ein Modewort? Ist es eine Art auszudrücken, dass wir in einer modernen Gesellschaft leben? Die Schweiz ist hip, offen für alle, ein Land grosser Toleranz; warum sollte man das hinterfragen?

Diversity ist jedoch kompliziert. Ihr schaut sie euch nur oberflächlich an, aber wir schauen unter die Oberfläche der Vielfalt – dorthin, wo die historisch rassistischen Unterströmungen lauern.

Eine Person mit Schwarzer Hautfarbe und Afrohaar sticht aus der Menge heraus. Das ist Realität und geht weit in unsere Geschichte zurück, zu Zeiten als wir eher als Tiere denn als Menschen gesehen und so auch häufig in Geschichts- und Schulbüchern sowie Dokumentationen dargestellt wurden. Autor*innen in Europa und der ganzen Welt haben uns mit den wildesten Stigmata, reichlich Hass und bestialischen Worten bedacht. Das geht tief unter die Haut.

Wir lebten wie Durchreisende in unseren Ländern, uns wurden die Überreste unseres eigenen Landes zuteil, wir haben in unserem Land die Häuser der weissen Herren geputzt. Und so wandern wir schliesslich aus, weil uns wenig geblieben ist von unserem eigenen Land. Auch heute leiden wir noch immer unter der Verwüstung, welche die Entdecker Jahrhunderte zuvor hinterlassen haben. Jeden Tag begeben sich Schwarze auf gefährliche Reisen, um die europäischen Aussengrenzen zu erreichen, im Glauben, nur dort könnten sie ihre Ziele erreichen, ihre Träume leben. Aber nicht nur sind sie nicht willkommen und werden abgewiesen, sie passen nicht recht ins europäische Bild, man sieht sie als Bedrohung für Europas Ansehen als einen sicheren, wohlhabenden, wundervoll gebildeten und inklusiven Ort. Auf ihrer Reise kommt ihnen nicht für einen Moment in den Sinn, dass sie nicht in so ein vielfältiges Land passen könnten, sie denken nicht daran, dass sie Schwarz sind. Sie beginnen ihren gefährlichen Weg aus Not, auf der Flucht vor ihren Lebensumständen, sei es Krieg, Armut oder politische Unruhen. Diese unwillkommene Menschengruppe bringt Kultur, Literatur, Musik, Tanz, Kulinarik, Stil und farbenfrohe Mode mit sich, egal ob aus Afrika, Brasilien, der Karibik … wir bringen Wissen, Kultur und Würze in die Schweizer Alpen.

Was heisst Diversity also für euch? Wie sieht sie aus? Wie sollte sie aussehen? Und sind auch wir Teil eures multikulturellen Füllhorns?

Zu sagen, dein Land sei doch vielfältig und offen, ist einfach. Es ist ein Selbstbild, das sich viele Länder gern auf die Fahne schreiben. Schaut man aber tief hinein in die kulturellen Verhaltensweisen, speziell gegenüber Schwarzen Menschen, dann sieht die Sache ganz anders aus. Schwarze Menschen werden gern ignoriert; wir existieren, aber wir sind nicht wirklich hier, als hätte man eine unsichtbare Mauer um uns gezogen, während andere Minderheiten angehört und integriert werden und man ihnen hilft, ihre Ziele zu erreichen. Diese Mauer umschliesst uns so eng, lässt uns so wenig Raum, dass es schwer für uns ist, das Gleiche zu erreichen, wie andere Minderheiten, die gesehen und gehört werden, denen Hilfe zuteilwird.

Also noch einmal, was bedeutet Diversity für euch? Was wir darunter verstehen, ist Folgendes: Wir wünschen uns, dass ihr uns aufgrund unseres Charakters beurteilt, aufgrund unserer Qualifikationen und dessen, womit wir eure Kultur bereichern können – was im Gegenzug uns allen nützt –, und kommt uns dabei doch einen Schritt entgegen und hört mal tiefer in euch rein.

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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