«I really miss you, I really miss your mind, I haven’t heard ideas like that for such a long, long time» (Songs for Drella)

Ich wollte es wissen.
Ich wollte es wirklich wissen.
Und stürzte mich auf die Wühltische beim großen
Ausverkauf der Utopien,
Als brauche man sich bloß die abgetragenen
Gedanken anzuziehen
Und schon sei man Teil von all dem,
Als könne man mit ein bisschen Budenzauber und
Wortalchemie all das heraufbeschwören:
Die Träume aus Brokat,
Die Troubadoure in bunten Gewändern, die Vagabunden,
die Propheten und angetörnten Sternenkinder,
Die Lieder & Mantras, das I Ging & die Blumensprache,
Die Mondscheinmagier in Abbruchhäusern, das Geheul &
das Unterwegssein,
Die Desillusion & die Verletzung,
Den Verrat & die Trostpflastersteine unter den Pflastersteinen.
Wann war er,
Der Tag, an dem die Musik starb,
Der Tag, an dem Kunzelmann Orgasmus-Schwierigkeiten hatte,
Der Tag, an dem die wiederholt gestellte Gewaltfrage mit ja
beantwortet wurde,
Der Tag, an dem die Kaufhäuser brannten
(um dieses knisternde Vietnam-Gefühl zu vermitteln),
Der Tag, an dem der Kampf weiterging,
Der Tag, der der Wahrheitsfindung diente,
Der Tag, an dem Conny Kramer starb,
Der Tag, von dem an nicht mehr Blumenwiesen
und Universitätsbibliotheken,
Sondern Gefängnisse
Die Ausbildungsorte der Revolutionäre waren,
Der Tag, an dem die Situation unübersichtlich wurde
Und keiner mehr so genau wusste, wer von wem
Bezahlt wurde – und
Zu welchem Preis?

Ich wollte es wissen.
Ich wollte es wirklich wissen.
Ich soff eure Wörter, als würde der von ihnen
Ausgelöste Rausch die Zeit, die zwischen uns lag, nivellieren,
Als gäbe es das nicht: Das Zuspätgeborensein,
Als gäbe es das: Das zeitversetzte Dabeigewesensein,
Als ließe sich ein Gefühl rezitieren,
Als ließe sich ein Regenbogen konservieren,
Als würde alleine das Wort CATBURY nach Schokolade riechen,
Als seien eure Tagebücher mit Benzedrin geschrieben, das
Durch das reine Berühren der Seiten in mein Blut überging,
Als ließe sich ein Aufschrei ausborgen,
Ein Aufschrei gegen das Schweigen der Väter,
Gegen die Amerikaner in Vietnam,
Gegen die Nazis in der Justiz,
Gegen das Heucheln,
Gegen das Preußische,
Gegen die alten Schulen und alten Bärte,
Gegen das Eigentum,
Gegen den Kapitalismus und den
Eindimensionalen Menschen, gegen die
Illusion der Möglichkeit eines richtigen Lebens im Falschen.
Ich glaubte, Gold zu schürfen in den Vinylrillen von
Jefferson Airplane, von
Dylan und
Grateful Dead und auch wenn es Goldstaub war, der sich
Dabei unter meinen Fingernägeln ansammelte, war es eben
doch nur
Staub.

Ich wollte es wissen.
Ich wollte es wirklich wissen.
Ich hastete mit Stöckelfingern durch eure Parolen
Und Dogmen, durch eure LSD-Paläste,
Ich hatte Keine Zeit für Trips auf der Suche nach dem,
wie es gewesen sein könnte.
Denn ich war nicht dabei,
Als die Burg Rothenfels zum Schlachtfeld der Liebe wurde,
Als Heidi und Brummbär und du angetörnt versuchten,
Nachtreste
Aus dem Shop zu kehren,
Als Captain Ahab den Überblick verlor,
Als Nico unter dem Olivenbaum saß,
Als die amerikanischen Soldatensender eure
Nachkriegsneuronen kitzelten,
Als ihr den Kriegsdienst verweigertet, nur um euch kurz darauf
Im Krieg gegen euch selbst wiederzufinden,
Als alles ein Geheimnis war,
Als du deine Blumen verloren hast,
Als du in der Fußgängerzone von Wuppertal Passanten nach
Ihrer Erlaubnis fragtest,
Als die Revolution ihre Eltern fraß
Und jeder nur noch sein Ding machte, ohne zu fragen,
Wie es anfing, und vergaß, an was sein Leben hing,
als es noch Leben war.
Auch nicht, als du im Frühjahr ‘69 mit Heidi
nach Marrakesch fuhrst,
Als du hofftest, dort Frieden zu finden,
Als du mit einem Klumpen Shit in der Backentasche und
Riesenangst vor dem Weltuntergang den Zoll von Tanger passiertest,
Als dein Herz Allah anflehte, dich zu reinigen, und du
Besänftigt den langen Weg zurück
Zu dem alten Opel Blitz trottetest.

Ich wollte es wissen.
Ich wollte es wirklich wissen.
Verschluckt vom hypnotischen Rhythmus deiner
Wörter, die zur Kriegstrommel deiner Dämonen mit
Verwelkten San Francisco-Gänseblümchen im Haar
Ballett tanzten,
Berauscht von druckerschwarzen Be-Bop-Nächten,
Deren Flüchtigkeit sich nur notdürftig in Buchstaben
übersetzen ließ,
Mit American Spirit in der Lunge
Und Micky Maus als Dschinn in einem amerikanischen
Albtraum,
Der das Kehlkopfchakra stimulierte.
Sick, so sick, so mighty sick,
Während der Punk-Mund Burroughs’ den Absolventen der
Academy 23 das Stille-Virus ins Ohr hauchte,
Und die Partisanen des Schweigens (Ploog)
Das Bewusstsein mit Schnitten und Drogen und
Flickermaschinen
Sezierten
Und ich um ein Haar selbst geglaubt hätte,
bei euch in Rockland zu sein, wo
Einer verrückter als der andere war
Und die Fanfaren der apokalyptischen Be-Bop-Reiter
Die Exegese der Stille empfindlich störten,
Als Charly Parker als Jazz-Sanitäter die Hungrigen,
Hysterischen und Nackten, vom Wahnsinn zerstörten
Engelsköpfigen Hipster zu heilen versuchte und
Die Junky-Relations von New York über Mexiko City bis
Frankfurt und Tanger gesponnen wurden.
Ich hätte noch so viele Fragen gehabt, but:
Things always seem to end before they start.

*Frage, die mir Hadayatullah 2009 in einem Brief stellte. Es sollte einer der ersten von unzähligen Briefen sein, in denen es um Manuskripte, um Lesungen, um Alltägliches, um Marokko, den Islam – kurz: um Gott und die Welt ging. Obwohl ich gerade erst mein Studium beendet und einen kleinen Verlag gegründet hatte, vertraute er, der mehr als 100 Bücher veröffentlicht hatte, mir einige seiner Manuskripte zum Verlegen an. Nicht unkritisch, aber immer wohlwollend. Selber extrem diszipliniert, doch nachsichtig, wenn ich es mal nicht war. Selbst das zerfledderte Taschentuch von Hermann Hesse sah er mir nach – aber das ist eine andere Geschichte. Leider war unsere gemeinsame Zeit zu knapp für all die Fragen, die ich ihm gerne noch gestellt hätte. Aber, wie schrieb Hadayatullah in eben jenem Brief?

«[…] und plötzlich ist
Die Wirklichkeit ein Traum, der mehr ist als
Die Wirklichkeit, wie du sie kanntest, und du
Nimmst die Zeitung in die Hand und liest etwas
Von Toren, und der Narr auf dem Hügel fliegt davon
Und der Mond hat zwei Seiten und du weißt nicht,
Auf welcher du gelandet bist, und dann denkst du
Dir, schön, dass es Wildblumen gibt, die wuchern
Überall, und du bist froh, dass du diesen Roman
Nicht gelesen hast, der nie geschrieben wurde.»

Miriam Spies ist Autorin und Verlegerin. Sofern sie nicht gerade durch die Welt tingelt, um literarische Psychogramme über die Gattung Mensch zu erstellen, verlegt, liest und schreibt sie in Mainz. Zuletzt erschien «Im Land der kaputten Uhren – Mein marokkanischer Roadtrip» (Conbook, 2019). In ihrem Gonzo Verlag gab sie u.a. Hadayatullah Hübschs Gedichtsammlungen «Marock’n’Roll» (2010) und «beat manna – Eine Hommage an die Beat Generation» (2011) heraus sowie «Kaleidoskopidschi – Erinnerungen an Hadayatullah Hübsch» (2011).

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