Im Zeitalter der allgemeinen technischen Reproduzierbarkeit steigt das gesellschaftliche Verlangen nach Authentizität und Originalität. Erlebnisse und Objekte sollen möglichst «echt», «wahr» und «rein» sein, ohne Verfälschung, Verzerrung und Umweg. So auch in den politischen und medialen Institutionen: Politiker und Politikerinnen «reden Klartext» und sagen direkt, «was Sache ist»; Medien sind um «exklusive Infos» bemüht und wollen auf keinen Fall als «Fake News» gelten. Und beide beschuldigen sich gegenseitig, gerade diese Authentizität zu unterminieren oder falsch abzubilden – Klagen von Politikerinnen und Politikern, dass sie von der Presse falsch abgebildet würden, sind deutlich älter als die Administration von Donald Trump, genauso wie auch die Beteuerungen von braven Journalistinnen und Journalisten, unabhängig und unbestechlich gegenüber Instrumentalisierungsversuchen zu sein. Solange es Politik und Medien gibt, gibt es auch Propaganda.

Dabei stehen Politik und Medien eigentlich immer schon in einem Austauschverhältnis und sind aufeinander angewiesen: Politische Akteure haben die Quellen und die «heissen Stories», die Medien haben das Publikum. Ohne die Medien kann die Politik keine breite Öffentlichkeit erreichen, und ohne die Politiker und Politikerinnen können Medienschaffende keine politi-sche Berichterstattung betreiben. Doch das Verhältnis ist auch geprägt von gegenseitigen Instrumentalisierungsversuchen: Politische PR- und Marketingmassnahmen, inszenierte Events, Exklusivinterviews, Pressekonferenzen ohne echte Informationen und andere politische Schachzüge zielen darauf ab, erwünschte Inhalte gezielt in Massenmedien zu platzieren und dabei selbst möglichst vorteilhaft dazustehen. Die Medien wiederum wirken als «Gate-Keeper» und filtern die Inhalte nicht immer nur nach professionellen Gesichtspunkten (wie etwa gesellschaftliche Relevanz), sondern oft auch danach, was sich am besten verkauft (wie etwa Inhalte mit viel Konflikt- und Provokationsgehalt oder mit starker Fokussierung auf charismatische Persönlichkeiten). Inhalte politischer Kommunikation sind also immer das Resultat einer ganzen Reihe von Filterungsprozessen, welche nicht immer durchsichtig sind – weil das Publikum z.B. nicht erfährt, was eben nicht berichtet wird. Die schiere Menge und Komplexität an potentiellen Themen und Stories sowie der Druck, möglichst aktuelle News zu produzieren, bedingen eine solche Auswahl auch naturgemäss – es gibt viel mehr potentielle Themen, als wirklich veröffentlicht werden. Mit der gros-sen Menge und dem schnellen Tempo von News ergibt sich auch das Risiko für Falschmeldungen, denn es bleiben so weniger Ressourcen übrig, um alle Meldungen sauber zu authentifizieren. Die Glaubwürdigkeit, die das Publikum dem journalistischen System dabei entgegenbringt, ist dabei entscheidend, denn ohne diese wird weder das politische PR-Material, noch der mediale Filter als authentisch und somit vertrauenswürdig aufgefasst.

Durch das Aufkommen Sozialer Medien wird dieser Mechanismus in Frage gestellt und die Filter werden bis zu einem gewissen Grade aufgehoben (bzw. verlagert): Für politische Akteure steht nun plötzlich ein Forum bereit, mit dessen Hilfe sie sich direkt ans Publikum wenden können, ohne die Hürden der klassischen Massenmedien passieren zu müssen. Auch andere Filter und Unannehmlichkeiten werden für die Politik abgemindert, etwa in der nun viel billiger möglichen Verbreitung politischer Werbung: Auf Youtube kann man gratis Videos posten, während ein Werbeslot bei einem traditionellen Fernsehsender ganz schön ins Geld gehen kann. Auf der anderen Seite gewinnen Journalisten und Journalistinnen durch Soziale Medien einen völlig neuen Fundus an Quellen, weil plötzlich jede und jeder als potentielle «Leserreporterin» und potentieller «Lesereporter» gilt. Das Gleiche gilt natürlich auch für die politischen Analysten und Kommentatoren, die für Regierungen und Parteien Medienspiegel erstellen und die Berichterstattung überwachen und analysieren. Und da Werbeeinkünfte in den Onlinebereich abwandern und den Redaktionen fehlen, liegt es nahe, Journalismus so billig wie möglich betreiben zu wollen. Tweets von Donald Trump abzuschreiben und diese dann mit erhobenem Zeigefinger zu kritisieren, ist billiger als echte investigative Recherche, welche zeit- und personalintensiv ist. Die institutionelle Bindung zwischen Medien und Politik nimmt also genauso ab wie die Qualitätskontrolle innerhalb der beiden Bereiche. Naturgemäss wird so viel Müll produziert, weil jeder Politiker und jede Politikerin einfach in die Welt posaunen kann, was ihm oder ihr grade durch den Kopf geht – und die Medien dieses Geplapper dann auch noch als seriöse Quelle betrachten. Die Politik wiederum wird so dazu animiert, damit auch zukünftig weiterzumachen. Das Signal-Rausch-Verhältnis ist niedrig und damit sinkt auch die wichtigste Ressource, die politische und mediale Institutionen besitzen: Glaubwürdigkeit.

Soziale Medien bringen eine weitere Neuerung, die in diesem Ausmass vorher nicht vorhanden war:

Die Möglichkeit, Feedback aus dem Publikum (bzw. der Wählerschaft) zu erhalten. Man kann z.B. auf Facebook problemlos Posts an Politikerinnen und Politiker richten, Online-Abstimmungen initiieren, Diskussionsthreads eröffnen, usw. Doch aus grossem

Potential folgen grosse Erwartungen: Es kostet Geld, diese Foren auch effektiv zu bewirtschaften. Nichts ist schlimmer für die Glaubwürdigkeit, als diese Kanäle zu Informationswüsten verkommen zu lassen. Meist bedeutet dies, einen ganzen Schwarm an PR-Leuten, Spin Doktoren, Online Content Managers und anderen Marketingexperten zu beschäftigen, die sich um diese Inhalte kümmern. Ähnlich ist es auch bei den Medien, die Zensoren brauchen, um die Kommentarspalten unter ihren Onlineartikeln nach Hasskommentaren zu durchkämmen (sofern die Kommentarfunktionen nicht einfach wieder abgeschafft werden, was natürlich billiger und einfacher ist). Insofern verlagern sich die traditionellen Filter von politischer PR und journalistischem Gate-Keeping in der neuen Onlinewelt zu «Kommuni-kationsspezialisten».

Hinzu kommt ein Phänomen, das man generisch als «Globalisierung» bezeichnen könnte. Konkret gemeint ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass politisch zu lösende Probleme immer weniger an den willkürlich gezogenen Grenzen des Nationalstaates haltmachen; beispielhaft seien hier der Klimawandel, glo-bale Armutstendenzen, die Kapitalmobilität, Fragen zum geistigen Eigentum, Gentechnik, die Lebensmittel- und Energieproduktion, etc. genannt. Diese Probleme bedingen eine Betrachtung, Beurteilung und Bearbeitung jenseits des Nationalstaates, denn per Definition machen sie nicht an von Menschen gezogenen geografischen Grenzen Halt. Doch politische und mediale Systeme bleiben mehrheitlich in nationalstaatlichen Institutionen gefangen: Medien berichten immer durch eine «nationale Brille» und die Politik verspricht insbesondere im Wahlkampf Lösungen, die sie im Rahmen des Nationalstaates unmöglich einlösen kann. Denn nationale Lösungen sind in einer globalisierten Welt oft nicht mehr sinnvoll. Folglich sinkt die Glaubwürdigkeit beider Institutionen weiter und es entsteht ein Legitimationsdefizit.

Die Tatsache, dass technischer und gesellschaftlicher Fortschritt dialektischen Charakter annehmen, ist Ausdruck von Klassengesellschaften. So auch in diesem Fall: Die Netzwerklogik Sozialer Medien und die Nivellierung nationalstaatlicher Grenzen durch die Globalisierung versprechen in einer losgelösten und kontextlosen Betrachtung einen weiteren Schritt in der Emanzipation der Menschheit. So sah man das grosse Potential für internationale Solidarität und für die Mobilisierung zu transnationalen Protesten etwa beim diesjährigen Women’s March. Doch vor allem die Kehrseite der Versprechen wird eingelöst, so z.B. die totale Überwachung dank omnipräsentem Netzwerk oder die Auflösung der Grenzen nur für das Kapital, aber nicht die Menschen. Dieser Doppelcharakter zeigt sich auch für politische und mediale Produkte. Sie besitzen einen gesellschaftlichen Geltungsanspruch, der normativ betrachtet für die Funktionen steht, welche durch die Institution eingelöst werden sollen. Auf der anderen Seite steht der faktische Mechanismus, mit dem der Geltungsanspruch realisiert werden kann. Der Geltungsanspruch medialer Produkte (z.B. Artikel, Fernsehbeiträge, Posts, usw.) besteht entweder in qualitativ hochwertiger Information, Unterhaltung, Zeitvertreib, sozialem Vergleich, Eskapismus, usw. Der Geltungsanspruch von politischen Produkten (insbesondere Gesetzen, Erlässen, usw.) besteht in der Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme. Um diese Funktionen realisieren zu können, braucht es einen Mechanismus, der Ressourcen entsprechend bindet. Um qualitativ hochwertige Inhalte zu produzieren, müssen Medien Ressourcen einsetzen, welche sie nur aus der Grösse ihres Publikums gewinnen können (je mehr Rezipienten, desto mehr Werbeeinnahmen, desto mehr Ressourcen für hochstehende Produkte). In der Politik ist es ähnlich: Zur Realisierung des Geltungsanspruchs müssen Politiker und Politikerinnen politische Macht erhalten, welche sie ebenfalls nur aus der Grösse ihres Wähleranteils gewinnen können. Damit entsteht jedoch ein Teufelskreis: Um das Publikum und die Wählerschaft möglichst hoch zu halten, wird der antizipierte Geltungsanspruch qualitativ zurückgeschraubt oder ins Unermessliche projiziert: Medien benutzen reisserische Headlines und fokussieren auf unwichtige Skandale, Wahlkämpfende versprechen das Blaue vom Himmel. Damit wird die Glaubwürdigkeit und Legitimation der beiden Institutionen weiter untergraben. Insbesondere die Rechtspopulisten sind momentan in der Lage, daraus politisches Kapital zu schlagen und sich als Aussenseiter, die nichts mit diesem System zu tun haben, zu präsentieren. Solange die Linke keine glaubwürdige und authentische Erzählung liefern kann, werden vom politischen und medialen Glaubwürdigkeitsdefizit weiterhin nur die Rechten profitieren.

Florin Büchel ist Post-Doc und Dozent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit politischer Kommunikation, Mediensoziologie, Erkenntnistheorie und normativer Medien- und Demokratietheorie.

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